Frankreich: Krisen- statt Feierstimmung

Grund zum Feiern gibt es am heutigen französischen Nationalfeiertag keinen.
Es ist der Tag, an dem sich Frankreich selbst feiert. Doch der 14. Juli, der traditionell mit einer Militärparade auf den Pariser Champs-Élysées beginnt und in vielen Städten mit einem Feuerwerk endet, steht in diesem Jahr unter einem schlechten Stern. Erstmals ist die Schallmauer der 3000 Milliarden Euro Staatsverschuldung geknackt worden. Außerdem ist die Erinnerung an die Aufstände, die Frankreich Anfang des Monats erschüttert haben, noch zu frisch, die Verwüstungen noch gut sichtbar.
Macron verschiebt traditionelle Rede
Emmanuel Macron hat deshalb das Fernsehinterview, das der Präsident traditionell an diesem Tag gibt, verschoben. In vielen Städten sind die Feuerwerke abgesagt worden. Frankreichs Innenminister befürchtet, dass Jugendliche den Feiertag für erneute Krawalle nutzen könnten. Deswegen steht in allen Städten nach 22 Uhr der öffentliche Nahverkehr still. Weil die Randalierer während der Aufstände tonnenweise Römische Lichter als Waffen eingesetzt haben, ist auch der Verkauf von Feuerwerkskörpern verboten.
Die traditionelle Militärparade dürfte einer der wenigen Lichtpunkte in diesen Tagen für Macron sein. Als Ehrengast ist der indische Premier Narendra Modi eingeladen. 240 indische Soldaten nehmen an der Parade teil, auch Jagdflugzeuge der indischen Luftwaffe werden neben den französischen am Himmel über Paris zu sehen sein. Der offizielle Anlass ist der 25. Jahrestag einer strategischen Partnerschaft mit Indien. Allerdings verdichten sich die Zeichen dafür, dass Neu-Delhi mit Paris einen Waffendeal abschließen will. Indische Medien sprechen von 26 französischen “Rafale M”-Kampfflugzeugen und fünf U-Booten der Scorpène-Klasse. Ein Auftrag, welcher der französischen Waffenindustrie mehr als willkommen sein dürfte.
Aktuelle Probleme überschatten pompöses Fest
Der 14. Juli mit seiner Militärparade bietet Frankreich jedes Jahr Gelegenheit, militärische Stärke und vor allem nationale Einheit zu demonstrieren. Das ist dieses Jahr bitternötig. Auch wenn die jugendlichen Randalierer keine politischen Forderungen formuliert haben, geht es doch um Diskriminierung. Viele fühlen sich als Bürger zweiter Klasse. Der Hass gegen alles, was den Staat symbolisiert, ist allgegenwärtig.
Der Komiker Yassine Belattar hat das in einer Nachricht an Duzfreund Macron auf den Punkt gebracht: “Warum fühlen sich manche Franzosen weniger französisch als andere?”, schrieb er. Berechtigte Frage.
Der Soziologe Jean Viard hat eine Antwort. Er macht das französische Modell des Universalismus dafür verantwortlich und sieht in der Diskriminierung des arabisch-muslimischen Teils der Gesellschaft die Nachwirkungen von Kolonialisierung und Algerienkrieg am Werk. Anstatt wie in den angelsächsischen Ländern den Einwanderern ihre kulturelle und religiöse Freiheit zu lassen, haben die Franzosen auf Gleichheit gepocht, die sie ihnen aber, kaum waren die Wirtschaftswunderjahre vorbei und ihre Arbeitskraft nicht mehr nötig, verweigerten. „Frankreich ist in dieser Frage der universellen Menschenrechte und der Gleichheit messianisch“, sagt Viard. Der Messianismus gehe so weit, dass es keine offiziellen Statistiken über ethnische oder religiöse Zugehörigkeit gibt. „Man kann den arabisch-muslimischen Anteil der französischen Gesellschaft auf zehn bis 15 Millionen Personen schätzen. Knapp 20 Prozent der neugeborenen Jungen erhalten einen arabischen oder afrikanischen Vornamen. Das ist eine enorm große Gruppe, die direkt oder indirekt mit dem brutalsten aller Dekolonialisierungskriege in Verbindung steht“, so Viard. Gemeint ist der Algerienkrieg.
Seit Jahrzehnten schon ziehen sich tiefe Gräben durch die Gesellschaft Frankreichs. „Starke Fliehkräfte sind am Werk“, sagt auch Bestseller-Autor Jérôme Fourquet. Die Nation, die sich so viel auf ihre Devise von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit einbildete, sei dabei, in ihre Einzelteile zu zerfallen.