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Frankreich: Krisen- statt Feierstimmung

14.07.2023 • 13:57 Uhr
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat derzeit keinen Grund zur Freude.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat derzeit keinen Grund zur Freude. APA/AFP/POOL/LUDOVIC MARIN

Grund zum Fei­ern gibt es am heutigen fran­zö­si­schen Na­tio­nal­fei­er­tag kei­nen.

Es ist der Tag, an dem sich Frank­reich selbst fei­ert. Doch der 14. Juli, der tra­di­tio­nell mit einer Mi­li­tär­pa­ra­de auf den Pa­ri­ser Champs-Élysées be­ginnt und in vie­len Städ­ten mit einem Feu­er­werk endet, steht in die­sem Jahr unter einem schlech­ten Stern. Erst­mals ist die Schall­mau­er der 3000 Mil­li­ar­den Euro Staats­ver­schul­dung ge­knackt wor­den. Au­ßer­dem ist die Er­in­ne­rung an die Auf­stän­de, die Frank­reich An­fang des Mo­nats er­schüt­tert haben, noch zu frisch, die Ver­wüs­tun­gen noch gut sicht­bar.

Macron verschiebt traditionelle Rede

Em­ma­nu­el Ma­cron hat des­halb das Fern­seh­in­ter­view, das der Prä­si­dent tra­di­tio­nell an die­sem Tag gibt, ver­scho­ben. In vie­len Städ­ten sind die Feu­er­wer­ke ab­ge­sagt wor­den. Frank­reichs In­nen­mi­nis­ter be­fürch­tet, dass Ju­gend­li­che den Fei­er­tag für er­neu­te Kra­wal­le nut­zen könn­ten. Des­we­gen steht in allen Städ­ten nach 22 Uhr der öf­fent­li­che Nah­ver­kehr still. Weil die Ran­da­lie­rer wäh­rend der Auf­stän­de ton­nen­wei­se Rö­mi­sche Lich­ter als Waf­fen ein­ge­setzt haben, ist auch der Ver­kauf von Feu­er­werks­kör­pern ver­bo­ten.

Die tra­di­tio­nel­le Mi­li­tär­pa­ra­de dürf­te einer der we­ni­gen Licht­punk­te in die­sen Tagen für Ma­cron sein. Als Eh­ren­gast ist der in­di­sche Pre­mier Na­ren­dra Modi ein­ge­la­den. 240 in­di­sche Sol­da­ten neh­men an der Pa­ra­de teil, auch Jagd­flug­zeu­ge der in­di­schen Luft­waf­fe wer­den neben den fran­zö­si­schen am Him­mel über Paris zu sehen sein. Der of­fi­zi­el­le An­lass ist der 25. Jah­res­tag einer stra­te­gi­schen Part­ner­schaft mit In­di­en. Al­ler­dings ver­dich­ten sich die Zei­chen dafür, dass Neu-De­lhi mit Paris einen Waf­fen­deal ab­schlie­ßen will. In­di­sche Me­di­en spre­chen von 26 fran­zö­si­schen “Ra­fa­le M”-Kampf­flug­zeu­gen und fünf U-Boo­ten der Scorpène-Klas­se. Ein Auf­trag, wel­cher der fran­zö­si­schen Waf­fen­in­dus­trie mehr als will­kom­men sein dürf­te.

Aktuelle Probleme überschatten pompöses Fest

Der 14. Juli mit sei­ner Mi­li­tär­pa­ra­de bie­tet Frank­reich jedes Jahr Ge­le­gen­heit, mi­li­tä­ri­sche Stär­ke und vor allem na­tio­na­le Ein­heit zu de­mons­trie­ren. Das ist die­ses Jahr bit­ter­nö­tig. Auch wenn die ju­gend­li­chen Ran­da­lie­rer keine po­li­ti­schen For­de­run­gen for­mu­liert haben, geht es doch um Dis­kri­mi­nie­rung. Viele füh­len sich als Bür­ger zwei­ter Klas­se. Der Hass gegen alles, was den Staat sym­bo­li­siert, ist all­ge­gen­wär­tig.

Der Ko­mi­ker Yas­si­ne Belat­tar hat das in einer Nach­richt an Duz­freund Ma­cron auf den Punkt ge­bracht: “Warum füh­len sich man­che Fran­zo­sen we­ni­ger fran­zö­sisch als an­de­re?”, schrieb er. Be­rech­tig­te Frage.

Der So­zio­lo­ge Jean Viard hat eine Ant­wort. Er macht das fran­zö­si­sche Mo­dell des Uni­ver­sa­lis­mus dafür ver­ant­wort­lich und sieht in der Dis­kri­mi­nie­rung des ara­bisch-mus­li­mi­schen Teils der Ge­sell­schaft die Nach­wir­kun­gen von Ko­lo­nia­li­sie­rung und Al­ge­ri­en­krieg am Werk. An­statt wie in den an­gel­säch­si­schen Län­dern den Ein­wan­de­rern ihre kul­tu­rel­le und re­li­giö­se Frei­heit zu las­sen, haben die Fran­zo­sen auf Gleich­heit ge­pocht, die sie ihnen aber, kaum waren die Wirt­schafts­wun­der­jah­re vor­bei und ihre Ar­beits­kraft nicht mehr nötig, ver­wei­ger­ten. „Frank­reich ist in die­ser Frage der uni­ver­sel­len Men­schen­rech­te und der Gleich­heit mes­sia­nisch“, sagt Viard. Der Mes­sia­nis­mus gehe so weit, dass es keine of­fi­zi­el­len Sta­tis­ti­ken über eth­ni­sche oder re­li­giö­se Zu­ge­hö­rig­keit gibt. „Man kann den ara­bisch-mus­li­mi­schen An­teil der fran­zö­si­schen Ge­sell­schaft auf zehn bis 15 Mil­lio­nen Per­so­nen schät­zen. Knapp 20 Pro­zent der neu­ge­bo­re­nen Jun­gen er­hal­ten einen ara­bi­schen oder afri­ka­ni­schen Vor­na­men. Das ist eine enorm große Grup­pe, die di­rekt oder in­di­rekt mit dem bru­tals­ten aller De­ko­lo­nia­li­sie­rungs­krie­ge in Ver­bin­dung steht“, so Viard. Ge­meint ist der Al­ge­ri­en­krieg.

Seit Jahr­zehn­ten schon zie­hen sich tiefe Grä­ben durch die Ge­sell­schaft Frank­reichs. „Star­ke Flieh­kräf­te sind am Werk“, sagt auch Best­sel­ler-Au­tor Jérôme Four­quet. Die Na­ti­on, die sich so viel auf ihre De­vi­se von Frei­heit, Gleich­heit, Brü­der­lich­keit ein­bil­de­te, sei dabei, in ihre Ein­zel­tei­le zu zer­fal­len.