Opernkrimi mit Geisterspuk und Hollywoodglitzer

Regisseur Philipp Stölz präsentierte bei der Festspielpremiere am Mittwoch einen filmischen Freischütz mit neuen Dialogen und viel Bühnenzauber.
Nach der abgebrochenen Generalprobe vom Montag konnte die Premiere von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ bei lauen Temperaturen und goldenem Abendlicht über Lindau über die Bühne gehen. Die Eingriffe in den Dialog-Text und auch in die Musik übermalen die romantische Oper von 1821 kräftig, was zum Teil gelungen ist, zum Teil aber auch nicht wirklich überzeugt.

Kitschige Impressionen
Philipp Stölzl, der mit seiner Inszenierung von Verdis „Rigoletto“, dem so wandelbaren Clownskopf und dem Ballon, der sich in den Nachthimmel erhob, 2019 und 2021 Festspielgeschichte geschrieben hatte, präsentiert nun ein von Krieg und Überschwemmung gezeichnetes Dorf. Als sein eigener Bühnenbildner hat er einen Hügel mit vereisten Wegen, windschiefen, teils winzigen Hütten, einem zweistöckigen Wirtshaus, einer Mühle, deren Mühlrad sich mit dem Beginn der Ouvertüre zu drehen beginnt, und einem schiefen Kirchturm gebaut. Über den Hütten hängt ein zunächst blasser Vollmond, später wird er zur Projektionsfläche für allerlei atmosphärische oder kitschige Impressionen.


Davor zieht sich ein Wasserbecken mit abgestorbenen Bäumen, Eisschollen, Steinen, die ihre „Eigendynamik“ entwickeln, und einer eigenen „Insel“ für eine Bühnenmusik bis an den Rand der Tribüne: Wenn der See in früheren Inszenierungen für vereinzelte Gags oder spektakuläre Auftritte zu Wasser miteinbezogen wurde, so wird jetzt fast permanent im Wasser gespielt. Darüber hinaus greifen Stölzl und sein Team kräftig in die Trickkiste der Beleuchtungs- und Toneffekte, angefangen von den Krähenrufen noch vor Beginn der Oper über Hundegeheul, Gewehrschüsse, ein unheimliches Grundrauschen bis hin zur „wilden Jagd“ in der Wolfsschluchtszene. Der romantische Wald, der sich in Webers blühender, von Hörnern und Holzbläsern durchtränkter Musik spiegelt, hat sich hier komplett verabschiedet.

Wuselndes Leben
Man merkt, dass Philipp Stölzl vom Film kommt, die Hütten erinnern an die aus der Verfilmung des „Medicus“, die unlängst im Fernsehen gezeigt wurde, er versteht es, in den Chorszenen eine Bühne mit wuselndem Leben zu füllen. Die Menschen und ihr Dorf sind von den Erschütterungen des Dreißigjährigen Kriegs und zusätzlich einer Flutkatastrophe traumatisiert: Zwei Männer, der erfolgreiche Schütze Kilian und Max, der wie in der originalen Volkssage ein „Schreiber“, also ein Kopfmensch ist, als Schütze aber versagt, werben um Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno. Da wird getrickst, gehänselt, gesoffen, gekotzt. Die überwiegend erdfarben dunklen Kostüme von Gesine Völlm deuten auf die alte Zeit.



Andererseits will Stölzl vor allem dem altmodischen Frauenbild neues Leben einhauchen, zeigt Agathe und Ännchen als enge Freundinnen von heute, wobei Ännchen Agathes Liebe zu Max immer wieder in Frage stellt und durchaus eigene Interessen an ihr hat. Diese Dialoge haben Stölzl und sein Textgestalter Jan Dvořák in einem etwas merkwürdigen Bühnendeutsch ganz neu gefasst (bis dahin, dass Agathe schwanger ist und das Brautkleid nicht mehr passt), wobei Webers Musik freilich eine andere Sprache über die romantischen Gefühle der Agathe spricht.

Ironische Brechung
Spannender ausgeweitet ist da die Rolle des Samiel, der in seinem hautengen roten Kostüm gleichsam omnipräsent als Spielmacher, Einflüsterer, Magier zugegen ist: Er eröffnet das Spiel, indem Agathe in einem eisigen Grab beerdigt und Max von den Dörflern am Baum gehenkt wird: Die Geschichte, die Samiel dann erzählt („aus gestern werde heute“), endet freilich durch das Eingreifen des Eremiten in einer hollywoodnah pink ausgeleuchteten Hochzeitsszene mit Kutsche und Fürst Ottokar in der Maske von König Ludwig – dass dies nicht im Sinne von Samiel/Mephisto ist, zeigt der letzte Lichtwechsel. Dass dieser Samiel aber auch in die Musik eingreift, sich die Gedanken von Agathe und Max zu eigen macht und weitersingt, verstärkt die ironische Brechung, die sicher nicht allen gefällt.




Dieser „Freischütz“ ist opulent bebildert, mit Untoten, die sich aus dem Wasser erheben, mit dem Teufel auf einem Pferdegerippe, das die Kutsche des finsteren Kaspar zieht. Dem magischen Feuerkreis, den Kaspar zum Freikugelgießen auf dem Wasser beschwört, steht das glitzernde Wasserballett der Mädchen im Nixenkostüm gegenüber, zum tosenden Lärm der Wolfsschluchtszene kommt eine Lichtorgie in Pink und Türkis. Dass Stölzl dem christlichen Überbau des Endes misstraut und es mit überbordendem Kitsch flutet, wundert nicht.




Da rückt die Musik manchmal fast in den Hintergrund, obwohl die Wiener Symphoniker unter Enrique Mazzola mit warmem Hörnerklang, beweglichen Holzbläsern, samtigen Streichern oder gespenstischem Brausen zu imponieren wissen. Der Klang des Prager Philharmonischen Chors wirkt etwas gedämpft, da kann die Tontechnik wohl noch ein bisschen nachbessern, wie überhaupt die Koordination zwischen Seebühne und dem Dirigenten mit seinen aus dem Festspielhaus agierenden Klangkörpern noch nicht perfekt ist.

Die Besetzung der Hauptrollen mit dem aus dem Lyrischen kommenden Schweizer Tenor Mauro Peter als Max, der leuchtenden und beweglichen Sopranstimme von Nikola Hillebrand (Agathe), dem feinen, weniger soubrettenhaften Ännchen von Katharina Ruckgaber und Christof Fischesser, der als Kaspar noch ein wenig mehr Dämonie verströmen könnte, ist ausgewogen und charaktervoll. Moritz von Treuenfels gibt den Samiel mit farbenreich suggestiver Sprechstimme und großer körperlicher Beweglichkeit und Präsenz. Dieser „etwas andere Freischütz“ präsentiert sich als Opernkrimi mit reichlich Geisterspuk und Höllenfeuer, Wasserspielen und Hollywoodglitzer und wurde vom Premierenpublikum mit großem Beifall für die musikalische Kraft und durchaus einigen Buhs für die szenische Umsetzung bedacht.

Katharina von Glasenapp