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Vor einem heißen Ritt in Portugal

21.07.2024 • 09:32 Uhr
Vor einem heißen Ritt in Portugal
Die Portugal-Rundfahrt beginnt am Mittwoch – Thomas und Johannes Kofler stecken in den letzten Vorbereitungen für die Volta. Stiplovsek (3)

Das Team Vorarlberg geht mit Vorjahressieger Colin Stüssi als Titelverteidiger in die Portugal-Rundfahrt. Ein exklusiver Einblick in die Vorbereitungen des Radstalls.

Auf dem Parkplatz vor dem Radhaus in Rankweil. Team-Vorarlberg-Manager Thomas Kofler sowie sein Zwillingsbruder und Team-Vorarlberg-Chefmechaniker Johannes Kofler beladen den Arlberg Express.

Mit dem Teambus geht es an diesem Wochenende nach Portugal zum Start der Portugal-Rundfahrt. Beim Verstauen des Gepäcks in den Bauch des imposanten Gefährts werfen die beiden einen Blick in eine flache kreisförmige Tasche und ziehen ein Rad heraus. „Das ist ein Zeitfahr-Rad“, sagt Johannes Kofler, sein Bruder nickt. Beide sind gut gelaunt. Wie alle im Team freuen sie sich auf die Portugal-Rundfahrt, zu der das Team als Titelverteidiger anreist: Im Vorjahr gewann Colin Stüssi die Einzelwertung der so prestigeträchtigen Radrundfahrt.

Besichtigung

Als die letzten Utensilien eingeladen sind, steigen die beiden Koflers in den Bus, mit einem Handzeichen lädt Thomas Kofler die NEUE zur Besichtigung ein. Das Ambiente im Businneren ist imposant, die Atmosphäre erinnert an die Einrichtung eines Privatjets. Die Sitzreihen sind licht, die Stühle glänzen in einem edlen Lederstoffbezug in Gold und Nachtblau, der Stoff fühlt sich angenehm weich an. „Mein Platz ist da vorne“, sagt Thomas Kofler lachend und zeigt auf den Fahrersitz. „Ich bin der Fahrer“, unkt der Team-Manager, ehe er einen Augenblick später die Verwunderung auflöst: „Das war nur Spaß. Bei der Fahrt nach Portugal bin ich der Beifahrer von Rene, unserem Freund und Chauffeur vom Arlberg Express.“

Vor einem heißen Ritt in Portugal
Thomas (l.) und Johannes Kofler vor dem Arlberg Express.

Der Bus ist natürlich vollklimatisiert, im hinteren Bereich befindet sich eine Lounge, in der das Team nach den Etappen die ersten Lagebesprechungen durchführen wird. Für die Anreise nach Portugal wird der Bereich noch als Ladezone verwendet. Nach der Busbesichtigung geht es ins Radhaus, wo Thomas Kofler im Besprechungszimmer bei einem Kaffee auf die Herausforderung Portugal-Rundfahrt vorausblickt: Vom 24. Juli bis 4. August dauert der Rundfahrt-Klassiker auf der iberischen Halbinsel, die Volta beginnt am Mittwoch mit einem Zeitfahren über 5,6 Kilometer, anschließend warten zehn Etappen über 1534,5 Kilometer, bei nur einem Ruhetag. „Im Vorjahr haben uns alle unterschätzt“, erinnert sich Thomas Kofler im Gespräch nochmals an den größten Erfolg der Teamgeschichte. „Die Konkurrenz dachte, dass wir mit der Hitze nicht klarkommen würden. Wenn wir attackiert haben, ließen sie uns fahren, im Glauben, dass wir das Tempo nicht halten können. Dieses Mal werden sie versuchen, uns sofort zu stellen, wenn wir einen Fluchtversuch machen.“

Neue Taktik

Kofler sagt diese Worte nicht ohne Stolz – denn bei einer UCI-Rundfahrt der hohen Kategorie 2.1 so ernstgenommen zu werden, ist ein Ritterschlag für das kleine, aber feine Team Vorarlberg. Schließlich trifft man in Portugal auf Teams wie Euskaltel, das an der Vuelta, also der Spanien-Rundfahrt, teilnimmt. „Wir müssen dieses Mal mit einer anderen Taktik in die Rundfahrt gehen“, offenbart der 52-Jährige unumwunden und sagt: „Wir werden alles dafür tun, um wieder zu überraschen. Aber wir dürfen nicht mit Übermut starten. Im Vorjahr haben wir uns einen Top-Ten-Platz als Ziel gesetzt – das ist fürs Erste auch dieses Mal das Ziel.“


Diese Zielsetzung ist eine bewusste Mischung aus Understatement und Respekt vor der Aufgabe. Denn das Team Vorarlberg geht als Gejagter in die Portugal-Rundfahrt. So warten auf Vorjahressieger Stüssi vor dem Rundfahrt-Beginn zwei Live-TV-Interviews. „Das ist eine Ehre, kostet aber natürlich auch Kraft und Konzentration“, weiß Kofler und zielt dabei auch darauf ab, dass seine Fahrer solch große Live-Auftritte nicht gewöhnt sind.

Schmaler Grat

Die Volta wird in Portugal live im Fernsehen übertragen, die Straßen im westlichsten Land Europas werden an den elf Renntagen gesäumt von vielen Zuschauern sein. Zwei Millionen Radsportfans werden erwartet, die Königsetappen werden 300.000 Zuschauer live verfolgen. „Das ist einer der Gründe, warum wir uns alle so sehr auf die Rundfahrt freuen. In Portugal wird der Radsport gelebt, die Euphorie der Menschen ist eine unbeschreibliche Motivation“, erklärt Kofler, der sich bewusst ist, wie schmal der Grat für sein Team sein wird.


Die gesamte Teamtaktik ist auf Teamleader Stüssi ausgerichtet, kommt der Schweizer nicht ins Fahren, könnte die Rundfahrt eine zähe Angelegenheit werden, zumal wohl wieder durchgängig tropische Hitze zu erwarten ist, wie Kofler betont: „Als Colin die Wetterprognose gehört hat, dass es wieder so heiß wird wie im Vorjahr, hat er laut Jawohl gesagt und die Faust geballt. Colin mag es, wenn es heiß ist.“ Der 31-Jährige ist nämlich ein wilder Hund. Der Mann trainiert zur Mittagszeit in der prallen Sonne, absolviert dabei monotones Bergauf- und Bergabfahren, trainiert dabei ausschließlich auf Wattleistung und fährt in Intervallen.

Über 40 Grad

Dass sich nicht alle Fahrer des Teams Vorarlberg auf die Hitze Portugals freuen, überrascht nicht, schließlich sind Temperaturen von über 40 Grad vorhergesagt. „Die meisten unserer Fahrer konnten in diesem Jahr gar kein Hitzetraining machen, denn in unseren Breitengraden hatte es in diesem Sonner nur wenige heiße Tage“, erklärt Kofler. Nicht nur deshalb reist sein Team mit einigen Fragezeichen nach Portugal an. Der Vorarlberger Radstall ist nur schleppend in die Saison gestartet, weil die Leistungsträger um Kapitän Lukas Meiler, Alexander Konychev, Jan Knolle und eben Colin Stüssi immer wieder von Krankheiten und Verletzungen zurückgeworfen wurden. Kofler analysiert: „Bei Stüssi fehlt nicht viel, ihm hätte die letzte Etappe der Tour of Austria sehr gut getan.“

Team Vorarlberg
Das Bild zeigt Colin Stüssi (2.v.l.) im Vorjahr auf seiner Fahrt zum Volta-Sieg. Matias Novo

Jetzt ändert sich Koflers Mimik schlagartig. Es ist geradezu greifbar, dass der Radsport-Macher an die Geschehnisse des 6. Juli dieses Jahres denkt, als bei der Abfahrt vom Großglockner hinunter nach Heiligenblut der Norweger André Drege zu Tode stürzte. „Im Ziel in Kals kam jemand von unserem Team auf mich zu und sagte, dass es einen Todesfall bei uns gibt. Ich habe das zuerst so verstanden, dass jemand von unserem Team gestorben ist, und war mit den Nerven am Ende, bis ich herausgefunden habe, dass mit ‚uns‘ ein Teilnehmer gemeint war. Im ersten Moment fühlt man da eine gewisse Erleichterung, weil einem als Team-Manager die eigenen Fahrer natürlich noch näher sind, aber jeder Todesfall erschüttert die gesamte Radsport-Familie.“


Kofler erzählt davon, wie zunächst die Identität des Verstorbenen unklar war. Mit eindringlichen Worten schildert der Mitorganisator der Tour of Austria, dass sein Fahrer Konychev wenige Minuten vor dem Unglück mit Drege den Anstieg auf den Großglockner absolviert hat. „Wir haben Alexander so wie allen anderen unseren Fahrern psychologische Hilfe angeboten. Wir haben über den Unfall gesprochen, das ist wichtig“, verdeutlicht Kofler und gesteht: „Mir ist es zwei, drei Tage lang beschissen gegangen. Ich muss das in dieser Deutlichkeit sagen. Aber danach wird einem wieder bewusst, dass Unfälle im Rennsport nicht vermeidbar sind. Das wissen wir alle.“

Beim Weltverband gibt es nun Überlegungen, bei gewissen UCI-Rennen ein Mindestalter einzuführen. Dem kann Kofler einiges abgewinnen: „Ich glaube, das wäre vielleicht eine überlegenswerte Maßnahme, denn völlig unabhängig vom Todesfall am Großglockner haben öfters junge Fahrer zu wenig Respekt vor den Gefahren oder der Konkurrenz. Wir leben überhaupt in einer Zeit, in der immer mehr Menschen einen gewissen Grundrespekt vermissen lassen.“
Es ist der Punkt im Gespräch, an dem Koflers Miene wieder heller wird. Er spricht davon, wie hoch inzwischen die Sicherheitsstandards sind und verweist darauf, dass ein Restrisiko immer bleibt. „Die Großglockner-Straße ist eine der am besten ausgebauten Passstraßen Europas. Wenn hier was passiert, dann kommt man, so tragisch es ist, fast unweigerlich zur Weisheit, dass man seinem eigenen Schicksal nicht auskommt, wenn einem die Stunde geschlagen hat.“ Im Fahrerlager kursiert, dass Drege womöglich aufgrund eines Platten zu Sturz kam, was Kofler nicht kommentieren kann. Vielmehr erzählt er davon, wie ein solcher Todessturz plötzlich die Perspektive verändere: „Bei manchen Fahrern erkennt man mit freiem Auge, dass sie bei Abfahrten nicht alles riskieren. Das sind wahrscheinlich die Fahrer, die schon ein Mal gestürzt sind und wissen, wie nahe der Tod bei einer Abfahrt mit über 100 Stundenkilometern ist. Als Team-Manager darf man solche Fahrer nicht kritisieren, denn oft sind das genau diejenigen, die beim Anstieg schneller sind, sonst wären sie keine Profis.“

Leichte Beine

Was den Kreis zur Portugal-Rundfahrt schließt. Dort warten Berge mit 20 kilometerlangen Anstiegen. „Das wird brutal“, bringt es Kofler auf den Punkt. Schon die zweite Etappe ist eine Bergankunft und wird das Feld selektieren, für Stüssi kommt dieses erste schwere Teilstück fast zu früh. Der Titelverteidiger ist nämlich einer, der die ein oder andere Etappe braucht, um leichte Beine zu bekommen. Die große Hoffnung ist, dass den Eidgenossen wieder die Euphorie trägt.


Klar ist jedenfalls, dass sich auf einer so langen Rundfahrt eine ganz eigene Dynamik entwickelt und es oft kleine Begebenheiten sind, die das Momentum verändern. Die Etappenstarts sind erst zur Mittagszeit, dadurch bleibt am Morgen ausreichend Zeit zur Rennvorbereitung. Manche Fahrer teilen dabei ihr Frühstück auf zwei Mahlzeiten auf, nehmen als zweite Mahlzeit viel Kohlehydrate wie Nudeln oder Reis zu sich. Als Faustregel gilt, dass jeder Fahrer drei Stunden vor dem Rennstart isst. Nach dem Rennen müssen die Fahrer innerhalb von 15 Minuten essen, um den Energiehaushalt auszugleichen. Danach steht die Regeneration an. Acht Betreuer für sieben Fahrer sind in Portugal dabei, zwei Physios sollen die Müdigkeit aus den Beinen bringen. Kofler spricht auch offen das Thema Müdigkeit an, über das man im Radsport nicht gerne spricht, um keine Schwäche zu offenbaren. „Bei so einer schweren Rundfahrt gibt es Tage, da wachen die Fahrer mit schweren Beinen auf, sind müde, frustriert, wollen aussteigen. Aber sie machen weiter, weil sie sich sagen: Die anderen fahren auch alle noch.“

Espresso

Geradezu grotesk erscheint, dass sich die Team-Vorarlberg-Fahrer bei Rundfahrten ein Ritual angeeignet haben: Am Ende eines langen Renntags gehen sie gemeinsam laufen. Um, man glaubt es kaum, die Muskeln wieder zu aktivieren. Bei diesen spätabendlichen Läufen wird auch der zurückliegende Renntag aufgearbeitet: Ohne die sportliche Leitung wird dabei manches Mal Tacheles geredet. Es wird geklärt, wer und warum seine Aufgaben nicht umgesetzt hat, oft wird auch schon die Marschroute für den nächsten Tag vorbesprochen. Kofler verrät zudem augenzwinkernd, dass zum Abschluss solcher Laufeinheiten bisweilen ein Schlenker in ein Cafe ansteht und die Fahrer einen Espresso trinken – und sich manch einer eine Kugel Eis gönnt. „Bei einer Rundfahrt muss jeder Fahrer selbst wissen, was ihm gut tut.“

Vor einem heißen Ritt in Portugal
Bald gibt es wieder einen Espresso.

Die Betreuer kommen heute Abend in Agueda, dem nordwestlichen Startort der Portugal-Rundfahrt, an, hinter ihnen liegt dann eine zweitägige Anreise über 2200 Kilometer samt einer Übernachtung im französischen Bordeaux. Die Fahrer fliegen morgen nach Porto, wo sie mit dem Arlberg Express abgeholt werden. Bis zum Rundfahrt-Start am Mittwoch gilt es für die Fahrer, sich zu akklimatisieren, die Betreuer müssen die letzten Materialfragen klären. Thomas Kofler wird ebenfalls dabei sein. Ob das Team wie im Vorjahr wieder den Siegerpokal mitbringt, wird sich zeigen. Die Equipe um Stüssi, Meiler und Co. wird jedenfalls wieder das Land Vorarlberg so prominent im internationalen Sport vertreten wie kein anderer heimischer Sportverein. Und das allein ist schon eine große Leistung.