Der Nahe Osten ist gefährlich nah am Weltenbrand

Hamas-Chef Ismail Hanija starb durch einen Luftangriff – eine Demütigung für den Iran: Wird sich der Gazakrieg auf eine internationale Dimension ausweiten?
Lächelnd schlenderte Ismail Hanija Dienstagabend in einem Teheraner Park durch eine Ausstellung über die „Achse des Widerstands“ gegen Israel. Der 62-jährige Hamas-Chef war zur Amtseinführung des iranischen Präsidenten Massud Peseschkian angereist und hatte im Laufe des Tages in Teheran mit Peseschkian und Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei gesprochen. Dann gab er noch Interviews – und kurz darauf war er tot.
Hanija starb am frühen Mittwochmorgen bei einem Luftangriff auf sein Domizil in Teheran, er übernachtete in einem Wohnheim für iranische Kriegsveteranen. Israel äußerte sich zunächst nicht, doch es gibt in der Region kein anderes Land, das die militärische Schlagkraft und die Geheimdienstinformationen für einen solchen Anschlag hat. Israelische Agenten und Kampfflugzeuge haben schon häufiger im Iran zugeschlagen. Die US-Regierung und einige enge Partner Israels im Ausland dürften von den Attentatsplänen gewusst haben. „Die israelische Luftwaffe wird heute Nacht ihre Reichweite demonstrieren“, schrieb Richard Goldberg, ein antiiranischer Nahost-Experte und früherer Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates der USA, wenige Stunden vor Hanijas Tod auf X.

Iranische Führung schwört Rache
Die iranische Führung schwor Rache. Revolutionsführer Khamenei, der mächtigste Mann im Iran, kündigte eine „schwere Bestrafung“ Israels an. Das „terroristische Besatzungsregime“ werde seine Tat bereuen, erklärte Präsident Peseschkian. Seine Regierung rief dreitägige Staatstrauer aus. Doch die Revolutionsgarde, die Schutztruppe des Regimes, wurde nicht zum ersten Mal von Israel kalt erwischt. Israel wusste offenbar nicht nur, wo Hanija in Teheran wohnte, seine Luftwaffe konnte auch ohne Probleme Irans Flugabwehr überwinden.
Schwere Demütigung für den Iran
Hanijas Tod mitten in Teheran ist eine schwere Demütigung für den Iran und ein Schlag gegen das Kernstück der iranischen Außenpolitik in der Region: Mit der „Achse des Widerstands“, die aus Gruppen wie Hamas und Hisbollah besteht, will Teheran seinen Einfluss im Nahen Osten ausweiten und Israel unter Druck setzen. Fernziel ist es, die USA aus der Region zu verdrängen. Jetzt zeigt sich, dass der Iran seine Partner nicht einmal in seiner eigenen Hauptstadt schützen kann.
Der Anschlag auf Hanijeh zeige, wie gut Israel über Interna der iranischen Sicherheitskräfte informiert sei, sagte der Iran-Experte Arash Azizi von der Clemont-Universität in den USA. Die Achse könne sich „nicht auf den Schutz des Iran verlassen“. Teheran wird nach dem Gesichtsverlust reagieren müssen – doch nach der Erfahrung aus der Vergangenheit könnte die Vergeltung schwächer ausfallen, als es die Rhetorik aus Teheran androht: Erst im April etwa tötete Israel zwei iranische Generäle in Damaskus: Auf das Bombardement antwortete der Iran mit seinem ersten direkten Raketenbeschuss auf Israel, der aber weitgehend wirkungslos blieb. In anderen Fällen übte sich der Iran in „strategischer Geduld“, die darin besteht, auf Angriffe Israels nicht oder nur über Hilfstruppen zu reagieren.

Nach Hanijas Tod
Nach Hanijas Tod dürfte es keine „strategische Geduld“ geben. „Der Iran wird gezwungen sein, irgendwie zu reagieren“, sagt Omar Rahman von der Denkfabrik Middle East Council in Katar. Für Khamenei und Peseschkian besteht das Problem aber darin, dass der Iran nur die Wahl zwischen symbolischen Vergeltungsschlägen und einem großen Krieg hat. Die USA erklärten bereits, sie würden Israel beistehen, wenn der jüdische Staat angegriffen würde.
Die iranische Revolutionsgarde und die Hisbollah haben zwar Hunderttausende Raketen in ihren Arsenalen, die mit einem Großangriff selbst das moderne Abwehrsystem Israels überfordern könnten. Doch der dann zu erwartende Gegenschlag auf den Iran könnte das Ende des theokratischen Regimes in Teheran bedeuten, das wegen des Unmuts vieler Iraner über das System ohnehin geschwächt ist. Das Überleben der Islamischen Republik hat für Khamenei zweifellos höchste Priorität.