„Sand im Getriebe“ beim Philosophicum Lech

Am Dienstag begann das heurige Philosophicum mit zwei Diskussionen zu den „brennenden Fragen der Gegenwart“.
Der Untertitel des Philosophicums lautet „Eine Philosophie der Störung“ und so stellen die Intendanten des Veranstaltungsprogramms an mondänem Ort in mondänem Stil und ebensolchem Haus, den Lechwelten, „eine Philosophie der Störung“ in die Mitte des Denkens.
„Mondän“ verstanden im Sinne des „durchaus auffallend als auf eine modisch elegante Erscheinung und Lebensführung bedacht; sehr elegant, sehr gewandt und dabei lässig überlegen, im Stil der großen Welt“. Wobei das Gebäude „Lechwelten“ und der Veranstaltungssaal architektonisch und von der Materialisierung – dem vielen Holz – sowie akustisch ein tolles Ambiente bieten. Mit geschätzten 120 Besuchern war der Dialog-Nachmittag nicht überfüllt, obwohl Freikarten verteilt wurden. Auffallend war das Alter der Besucher, 60 plus und leider ohne eine größere Zahl von Studierenden, die von solchen Dialogen profitieren könnten. Vielleicht ist auch in diese schon traditionelle Veranstaltungsreihe Sand ins Getriebe gekommen. Ob diese „Störung“ produktiv genutzt wird, bleibt zu hoffen.
Philosophicum programmatisch
So steht im Programm, dass Störungen niemand mag. Was schon eine gewagte Aussage ist, gerade in Bezug auf die Philosophie. Denn sozial, aber auch psychologisch mag der Störenfried seine Bedeutung haben und die Philosophie war und ist oft in dieser Rolle beheimatet. Worauf auch hingewiesen wird, mit Galileo Galilei, Martin Luther King und natürlich Sokrates. Sie galten als Rebellen und brachten uns doch der Wahrheit durch ihre „Störmomente“ ein Stück weit näher. Erfüllt die Philosophie diese Aufgabe heute noch, oder ist sie zur „Wohlfühlweisheit“ verkommen, die es allen rechtmachen will? Das fragen sich Konrad Paul Liessmann und Barbara Bleisch im Programmheft. Einzelne Minderheiten fühlten sich durch den von Martin Luther King vertretenen Universalismus der Bürgerrechte in ihren Anliegen mittlerweile gestört, in der akademischen Welt gebe es einen Druck zur Konformität, und es seien nun die bibelgläubigen Kreationisten, über die abfällig geurteilt werde, so weiter im Heft.
So stelle sich die Frage, wer sind also die „Querulantinnen, Störenfriede, Außenseiter und Exzentrikerinnen unserer Zeit?“. Ob das seltsame Gendern in diesem Satz absichtliche Störung sein soll, erschließt sich nicht, wäre aber möglich. „Wann also wirkt der Sand im Getriebe produktiv, wann gefährlich zersetzend? Und wer befindet darüber, welche Störungen gerechtfertigt sind?“ Über diese und ähnliche Fragen sollen Vortragende referieren und mit dem Publikum diskutieren. Zweiteres fiel am Dienstag leider aus.
Wie ist die Lage?
Zur ersten Frage stellte die Professorin für Medienethik in München, Claudia Paganini, fest, dass wir Bildern eigentlich nie hätten trauen dürfen, weil sie immer schon eine Message transportierten und kein Beweis waren, weil sie unser Gehirn überfordern können. Hier mache die künstliche Intelligenz mit ihren neuen Möglichkeiten noch einmal klarer, dass wir Bildern nicht trauen dürfen. Der Historiker für Neueste Geschichte in Mainz, Andreas Rödder, vertrat die Ansicht, dass in liberalen Demokratien gerade die Auseinandersetzung, ja der Wettbewerb die treibende Kraft der Entwicklung sei und damit produktiv. Das gelte auch für Werte, die nicht einfach aufoktroyierte sein dürften, sondern geteilte Werte.
Was ist zu tun?
Bei der zweiten Frage und Diskussion ging es um alternative Handlungsoptionen auf aktuelle gesellschaftliche und politische Fragestellungen und Problemfelder. Wo hier der Unterschied liegen soll, erschloss sich nicht. Themen im Mittelpunkt waren der Populismus und die Digitalisierung. Sabine Müller-Mall, sie ist seit 2014 Professorin für Rechts- und Verfassungstheorie mit interdisziplinären Bezügen an der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität Dresden, meinte, dass sich Öffentlichkeit durch neue Medien stärker fragmentiere und sich durch diese auch nicht nur die Art, sondern auch die Geschwindigkeit der Informationsverbreitung verändert habe. Der große Zusammenhang gehe verloren und der Kontext werde nicht mehr erkannt.
Jonas Lüscher, Schweizer Schriftsteller und Essayist mit mehreren Preisen, lebt jetzt in München und hielt entgegen, dass die Informationsverbreitung immer schon in unterschiedlichen Begegnungsorten stattfand, zum Beispiel in politischen Vereinen und deren Medien. Wobei er erkannte, dass heute niemand mehr an eine weitere Demokratisierung der Gesellschaft durch die Digitalisierung glaube.
Das Philosophicum Lech dauert noch bis zum Sonntag, 22. 9. 2024; Karten und Programm: https://ticketorganizer.eu/organizer/verein-philosophicum-lech?lang=de
Von Kurt Bereuter