„Sterben in Würde“und seine Grenzen

Allerheiligen lud nicht nur zum alljährlichen Gräberbesuch und zum Gedenken an die Verstorbenen ein, sondern auch zum Nachdenken über Sterben und Sterbehilfe.
Von Kurt Bereuter
Im November 2023 gingen der 89 Jahre alte Armin und seine 90-jährige Frau Gisela, die vorher fast 50 Jahre in Bludenz lebten, gemeinsam ihren letzten Weg – den Weg in den Tod. Sie wollten sterben: Gemeinsam, friedlich, ohne Schmerzen und ohne Gewalt. So wählten sie in Deutschland, wo sie mittlerweile wohnten, den Weg des assistierten Suizides. Ein Arzt stellte dem Paar dafür ein Mittel zur Selbsttötung zur Verfügung, legte ihnen unter Beisein eines Notars eine Infusionskanüle, an die das todbringende Medikament angeschlossen war. Die Infusionsleitung wurde von ihnen selbst geöffnet, das todbringende Mittel konnte in ihren Kreislauf fließen und brachte ihn zum Stillstand. Sie lagen zuhause händchenhaltend in ihrem Ehebett und starben mit einem friedvollen Ausdruck im Gesicht, wie ihr Sohn berichtete. Beim Sterbeprozess wollte er nicht dabei sein, aber anschließend, im Angesicht seiner toten Eltern „durchflutete ihn eine Welle der Liebe“.
Sterbehilfe in Österreich
Am 11. Dezember 2020 stellte der Österreichische Verfassungsgerichtshof fest, dass die Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid das Recht der einzelnen Person auf freie Selbstbestimmung verletze und der Verfassung widerspreche. Bis dahin konnte jemand, der einem Menschen beim Sterben geholfen hatte, mit einem halben bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Seit dem 1. Jänner 2022 ist nun das Sterbeverfügungsgesetz in Kraft und regelt die rechtlichen Voraussetzungen für den assistierten Suizid. Bis zum April dieses Jahres habe es in Vorarlberg laut Patientenanwaltschaft zehn Errichtungen von Sterbeverfügungen gegeben, fünf Menschen seien während der Wartezeit verstorben. Mittlerweile war auch schon in einer Todesanzeige zu lesen, dass der Verstorbene diesen Weg angesichts seiner Erkrankung wählte.
Kein einfacher Weg
Seit 1. Jänner 2022 ist es auch in Österreich möglich, seinem Leben durch einen „humanen“ Tod, also ohne Anwendung von Gewalt oder nicht dafür vorgesehener Vergiftungsmittel, ein Ende zu setzen, sogar wenn es dazu Hilfe braucht: Durch einen assistierten, begleiteten Suizid. Die Hilfe reicht vom bloßen Abholen des todbringenden Medikaments bis zum Setzen einer Nadel für eine intravenöse Verabreichung. Eine letzte Tätigkeit muss der Sterbewillige in Österreich aber noch vollbringen können, sei es, das Medikament zum Mund zu führen oder den Zugang zur intravenösen Leitung oder zu einer Magensonde zu öffnen. Vor alledem muss allerdings eine sogenannte Sterbeverfügung bei einem Notar oder der Patientenanwaltschaft eingerichtet und im Sterbeverfügungsregister eingetragen werden. Die sterbewillige Person muss nach österreichischem Recht volljährig und voll entscheidungsfähig sein. Eine gravierende Einschränkung: Sie muss an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit leiden oder an einer schweren chronischen Krankheit, die sich einschneidend auf ihr Leben auswirkt. Dies und die Freiwilligkeit der Entscheidung müssen mindestens zwölf Wochen vor der Selbsttötung von zwei voneinander unabhängigen Ärzt:innen bestätigt werden, wobei eine/r von ihnen eine palliativmedizinische Ausbildung vorzuweisen hat. Sie müssen zudem den Sterbewilligen bzw. die Sterbewillige über die palliativmedizinischen Möglichkeiten und das Sterbeprozedere aufgeklärt haben. In einer „terminalen Phase“ einer Erkrankung kann diese Frist auf zwei Wochen verkürzt werden. Wenn die Sterbeverfügung steht und eingetragen ist, kann die sterbewillige Person anschließend durch Vorlage dieser binnen eines Jahres das Präparat in einer Apotheke abholen oder abholen lassen. Die sterbewillige Person kann eine oder mehrere Personen, die Hilfe leisten, in der Sterbeverfügung angeben. Die lebensbeendende Maßnahme muss jedoch, wie erwähnt, stets die sterbewillige Person selbst durchführen (können) und somit die Herrschaft über den lebensbeendenden Verlauf behalten.
Personen, die zwar entscheidungsfähig sind, aber den letzten auslösenden Schritt nicht mehr selbst setzen können, können in Österreich keinen rechtlich erlaubten assistierten Suizid in Anspruch nehmen.
Passive und indirekte Sterbehilfe
Vielleicht ist es nicht einmal der größte Fortschritt des Sterbeverfügungsgesetzes, dass mit diesem eine Zeit des leidvollen Sterbens verkürzt wird. Denn den gab es im Sinne einer Passiven Sterbehilfe schon vorher, wenn ein Sterbeprozess durch Verzicht, den Abbruch oder die Reduzierung von lebensverlängernden Behandlungsmaßnahmen verändert wird. Nicht die Heilung steht dann im Vordergrund, sondern die Schmerzbehandlung. Auch konnte und kann über die Patientenverfügung angeordnet werden, dass bestimmte lebenserhaltende Maßnahmen, wenn jemand nicht mehr seinen Willen zum Ausdruck bringen kann, nicht mehr durchgeführt werden sollen. Zum Beispiel Reanimationsversuche oder das bekannte An- oder Abschließen an lebenserhaltende Apparaturen. Auch gab es den Weg der indirekten Sterbehilfe, dass mittels Medikamenten zur Lebensqualitätsverbesserung ein früherer Tod in Kauf genommen wird, oder in Deutschland sogar in Kauf genommen werden muss, weil es anderenfalls einer unterlassenen Hilfeleistung oder Körperverletzung gleichkommen kann. Oder wenn jemand auf die künstliche Ernährung verzichten will und den Weg des Sterbefastens wählt. Dieser Weg ist allerdings ethisch und rechtlich umstritten, weil er auch von nicht sterbenskranken Menschen gewählt werden und es eine Behandlungspflicht geben könnte, wegen Selbstgefährdung und Unterbringung in der Psychiatrie.
Den letzten Weg in Würde gehen
Ein Onkologe mit einer schweren und sicher zum Tod führenden Erkrankung, erklärte, dass er für die Sterbehilfe offen war, aber er für sich den Weg des Sterbefastens wählen werde. Größten Respekt vor diesem aufrechten Mann und seiner Entscheidung und es ist ihm auf seinem selbstgewählten Weg alles Gute und die Kraft und Stärke gewünscht, irgendwann in Würde und Gelassenheit zu sterben. Andere wollen den Weg des assistierten Suizides gehen, wenn sie überhaupt die Gelegenheit zu dieser Entscheidung bekommen. Denn keiner kennt die Stunde und die Umstände seines Todes, solange er nicht wissend krank ist. Ein Unfall oder ein sonstiger plötzlicher Tod können uns die Entscheidung abnehmen. Das sollten wir uns manchmal in Erinnerung rufen. Aber wenn, dann ist es gut, dass wir noch die Entscheidung treffen können und dürfen, wie, wo und mit wem wir unsere letzten Minuten des Lebens verbringen. Für nicht sterbenskranke Menschen steht dieser Weg nicht offen, also in Fällen von schweren psychischen Erkrankungen oder Lebenskrisen. Diese Menschen wählen dann die gewaltsamen Methoden wie Strangulation, einen Sprung in die Tiefe, den Schusswaffengebrauch oder Medikamentenintoxikationen. Vielleicht wäre eine Öffnung der Sterbehilfe für diese Menschen manchmal ein Weg zur Hilfe.