International

Tiefe Gräben zwischen den EU-Ländern

22.03.2024 • 10:41 Uhr
Tiefe Gräben zwischen den EU-Ländern
Ratspräsident Charles Michel und UN-Generalsekretär Antonio Guterres beim Gipfel in Brüssel. AFP/ Sameer Al-doumy

Naher Osten, Ukraine und die schwierige Suche nach Formulierungen, mit denen alle Regierungschefs leben können.

Der Frühjahrsgipfel zeichnete sich von Beginn an durch eine weit gezogene Themenführung aus, nicht von ungefähr musste im April noch ein weiterer, allerletzter Gipfel vor der EU-Wahl eingeschoben werden. Und so wurde einer der Höhepunkte – der Beginn der Beitrittsverhandlungen von Bosnien-Herzegowina – von langen Debatten um heikle Formulierungen und entgegengesetzte Standpunkte bei einzelnen Themen überlagert. Die Bosnien-Entscheidung selbst rutschte bis in die Nachtstunden hinein und selbst hier gab es Dissonanzen: Litauen wandte ein, dass man die Ukraine prioritär behandeln sollte; am Ende feierte man aber doch die Einigung auf Verhandlungsbeginn.

Konstruktive Enthaltung

Konstruktive Enthaltung – ein Begriff, der im Lauf des langen Tages öfter zu vernehmen war. Das ist weder ein Veto, das eine Entscheidung verhindern würde, noch eine Zustimmung. Österreich und die anderen drei neutralen EU-Länder Irland, Malta und Zypern nutzen die Möglichkeit, wenn es um Waffenlieferungen für die Ukraine geht. Nun drehte es sich auch um den Vorstoß, Erträge aus eingefrorenen russischen Geldern für die Ukraine zu nutzen. Zunächst ging es dabei um den Wiederaufbau, der deutsche Kanzler Olaf Scholz sprach sich aber für den Vorschlag von Außenbeauftragtem Josep Borrell aus, 90 Prozent der Mittel für Waffen- und Munitionskäufe heranzuziehen. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich skeptisch. Er betonte, für die Neutralen müsse sichergestellt seien, dass sie nicht mit an Bord seien. Allerdings gibt es noch rechtliche Grauzonen, Russland reagierte empört. Auch Ungarn, dessen Premier Viktor Orbán als einziger EU-Regierungschef Wladimir Putin zum „Wahlsieg“ gratuliert hatte, sprach sich für eine Opt-Out-Lösung aus.

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(v. l.) Finnlands Ministerpräsident Petteri Orpo, slowakischer Ministerpräsident Robert Fico, deutscher Bundeskanzler Olaf Scholz und Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer. APA/AFP/JOHN THYS

Schwammige Formulierungen

Ein weiterer Disput rankte sich indirekt um die Ukraine. Im Entwurf der Schlusserklärung geht es um die Unterstützung des Landes in „allen nötigen Bereichen“, an anderer Stelle heißt es, Rat und Kommission seien eingeladen, „alle Möglichkeiten“ zur Finanzierung einer Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie auszuloten, auch soll die Europäische Investitionsbank (EIB) ihre Finanzpolitik hinsichtlich der Rüstungs- und Verteidigungsindustrie „anpassen“. Kritiker sahen darin eine offene Tür für neue Bonds, die schwammige Formulierung sorgte für Diskussionen.

Konflikt im Nahen Osten

Und dann war da noch der Nahe Osten. Zu Gast war UN-Generalsekretär António Guterres, der von „internationalem humanitärem Recht“ sprach, sich für einen Waffenstillstand im Gazastreifen einsetzte, aber auch den Hamas-Terror verurteilte. Die Wortwahl mit Bezug auf den Nahost-Konflikt geriet zu einem der schwierigsten Punkte beim EU-Gipfel. Dann die einstimmige Einigung: Es wird zu einer „sofortigen humanitären Pause, die zu einem nachhaltigen Waffenstillstand führt“, aufgerufen. Der Gipfel zeigt sich „entsetzt über die jüngsten Erkenntnisse über sexuelle Gewalt während und nach den Angriffen vom 7. Oktober“, allerdings wurde an dieser Stelle die Hamas nicht erwähnt. Für Nehammer unverständlich: „Es muss aus meiner Sicht möglich sein, das in den Schlussfolgerungen auch dementsprechend wiederzufinden“, verlangte er zu Beginn. Letztlich wird die Hamas wird weiter oben im Text verurteilt.