International

Polen debattiert über freies Abtreibungsrecht

11.04.2024 • 10:11 Uhr
Last call, abortion available now A picket encouraging the Polish government to more quickly liberalize the abortion law. Honor and glory to abortionists on the banner. A picket organized by far-left and anarchist organizations, reminding Donald Tusk s government that it has 100 days to change the abortion law. Warsaw Poland Copyright: xMikolajxJaneczekx
2020 wurde in Polen das Abtreibungsrecht noch weiter verschärft. IMAGO/ Mikolaj Janeczek

Tusk will wichtiges Wahlversprechen umsetzen und Frauenrechte stärken.

Das polnische Parlament will sich am Donnerstag (12.45 Uhr) mit einer Liberalisierung des Abtreibungsrechts befassen. Die derzeitige Gesetzgebung ist eine der strengsten in der EU. Ministerpräsident Donald Tusk hatte im Wahlkampf versprochen, Frauenrechte zu stärken und den Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch zu erleichtern. „Jede polnische Frau wird selbst über ihre Mutterschaft entscheiden können“, versprach Tusk im Herbst.

Streit in der Koalition

Doch in den mittlerweile knapp fünf Monaten, in den Tusk das Land regiert, ist dieses zentrale Projekt nicht richtig vorangekommen. Denn unter den drei politischen Gruppierungen, aus denen sich Tusks Mitte-Links-Koalition zusammensetzt, herrscht Uneinigkeit über das Thema.

Im Jahre 2020 hatte das Verfassungsgericht unter der damaligen nationalkonservativen PiS-Regierung das strenge polnische Abtreibungsrecht noch weiter verschärft. Seitdem ist ein Schwangerschaftsabbruch nur nach einer Vergewaltigung oder Inzest erlaubt – oder wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Weist das ungeborene Kind schwere Fehlbildungen auf, dürfen Frauen keinen Abbruch vornehmen.

In der Folge hatte es in den vergangenen Jahren mehrfach Fälle gegeben, bei denen schwangere Frauen während der Behandlung im Krankenhaus gestorben waren, nachdem sich die Ärzte trotz Komplikationen nicht für eine Abtreibung entschieden hatten.

Last call, abortion available now A picket encouraging the Polish government to more quickly liberalize the abortion law. A picket organized by far-left and anarchist organizations, reminding Donald Tusk s government that it has 100 days to change the abortion law. Warsaw Poland Copyright: xMikolajxJaneczekx
Im Jänner demonstrierten Frau in Warschau gegen das Abtreibungsgesetz. IMAO/ Mikolaj Janeczek

Vier Gesetzentwürfe

Die drei Koalitionspartner, aus denen sich Tusks Regierung zusammensetzt, haben nun dem Parlament insgesamt vier Gesetzentwürfe zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts vorgelegt. Der Entwurf von Tusks liberalkonservative Partei Bürgerkoalition sieht die Legalisierung von Abbrüchen bis zur 12. Schwangerschaftswoche vor. Das Linksbündnis Lewica fordert dasselbe in einer eigenen Novelle. Für den Fall, dass die Liberalisierung scheitert, will Lewica in einem weiteren Antrag zumindest die Strafbefreiung durchsetzen.

Aus der Reihe schert der Dritte im Bunde, der christlich-konservative Dritte Weg. Die Partei schlägt die Rückkehr zur sogenannten Kompromisslösung vor, die bis zum Urteil des Verfassungsgerichts galt. Das würde bedeuten, dass Schwangerschaftsabbrüche in Polen nur nach einem Verbrechen oder bei Gefahr für Schwangere und Fötus legal werden.

Abstimmung

Der polnische Parlamentspräsident Szymon Holownia, einer der Dritte-Weg-Parteichefs, möchte die Bürger in einem Referendum über das Abtreibungsrecht abstimmen lassen. Sein Argument: Sollte ein liberales Abtreibungsgesetz verabschiedet werden, könnte dieses am Veto von Präsident Andrzej Duda scheitern, der der PiS-Partei angehört. Spricht sich die Mehrheit der Bevölkerung hingegen in einem Referendum für eine Lösung aus, wäre der Druck auf Duda größer.

Pro-Abortion Demonstration In Warsaw. Demonstrators carry a banner and shout slogans as they take part in a rally in favour of free abortion in Warsaw, Poland on March 8, 2024. Hundreds of women gathered outside the presidential palace to demand immediate legalisation of abortion by the newly elected pro-European coalition, especially its more right leaning and conservative faction, Polska 2050 Poland 2050, lead by the speaker of the parliament Szymon Holownia. Szymon Holownia said that the parliament would not consider legislation to tackle the country s near-total ban on abortion until mid-April. Warsaw Poland Copyright: xAleksanderxKalkax
Demonstrantinnen tragen ein Transparent und rufen Slogans, während sie an einer Kundgebung für freie Abtreibung in Warschau teilnehmen. IMAGO/ Aleksander Kalka

Referendum als Lösung?

Doch Frauenrechtlerinnen wie Natalia Broniarczyk von der Organisation Abortion Dream Team halten nichts von der Idee. Ein Referendum könnte die Debatte um Jahre zurückwerfen, wenn die Kirche, rechte Parteien und Pro-Life-Organisationen versuchten, die gesellschaftliche Stimmung zu drehen, sagte sie der Zeitung „Gazeta Wyborcza“. In einer Umfrage im November 2022 gaben 70 Prozent der Befragten an, dass sie für das uneingeschränkte Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche seien.