Alles dreht sich um Giorgia Meloni

Italiens Ministerpräsidentin hat die EU-Wahl zum Plebiszit über sich selbst ausgerufen. In den Umfragen liegt sie klar vorn.
„Giorgia, Giorgia“, skandieren ihre Anhänger auf der Piazza del Popolo. Der Platz des Volkes in Rom ist ganz in der Hand der Fratelli d‘Italia, der ultrarechten Partei Giorgia Melonis. Die italienische Ministerpräsidentin steht auf der Bühne und fleht beinahe am Ende ihrer einstündigen Wahlkampfrede. „Ich habe auf alles verzichtet“, sagt Meloni. Im Gegenzug bitte sie nur „um fünf Minuten“ – in ein paar Tagen bei der EU-Abstimmung in den Wahllokalen. „Steht mir bei“, ruft die Ministerpräsidentin ihren 20.000 Anhängern zu. „Solange ihr da seid, werde auch ich da sein.“
Das Pathos, das Heraufbeschwören einer Schicksalsgemeinschaft zwischen ihr und dem Land, kommt an. Der Platz ist aufgeheizt, von der Sonne und vom Charisma der 47-jährigen Römerin. Meloni ist das Gesicht der aus dem italienischen Neofaschismus hervorgegangenen Fratelli d‘Italia, die EU-Wahl in Italien hat die Ministerpräsidentin zum Plebiszit über sich selbst ausgerufen. „Mit Giorgia verändert Italien Europa“, lautet der überall zu sehende Wahlspruch. Auf den Wahlzetteln am Wochenende rangiert Meloni als Listenerste der Fratelli, obwohl sie natürlich auch nach der Wahl als Premierministerin in Rom bleiben wird. Es ist ein Trick, den in Italien auch andere Parteien nutzen, um so viele Stimmen wie möglich zu bekommen. Alles läuft auf sie zu. „Giorgia, Giorgia“, brüllt die Menge.
Konservative nähern sich Meloni an
Der Ausgang der EU-Wahl in Italien ist von besonderer Bedeutung. Zwar stehen dem Land nur 76 der insgesamt 720 Sitze im EU-Parlament zu, also rund zehn Prozent. Doch Meloni, seit Oktober 2022 als Ministerpräsidentin im Amt und Vorsitzende der Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR), ist eine Schlüsselfigur bei der Machtverteilung in Brüssel. Noch-Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) liebäugelt für ihre Wiederwahl mit den Stimmen der Meloni-Partei, auch wenn Sozialisten und Grüne im Europaparlament die Kooperation mit der Ultrarechten für eine Grenzüberschreitung halten. Auch Marine Le Pen vom ultrarechten Rassemblement National in Frankreich, der zur Fraktion Identität und Demokratie (ID) zählt, hat Meloni eine Zusammenarbeit angeboten.
Auf der Piazza in Rom zeigt Meloni jedenfalls ein anderes Gesicht als noch im Wahlkampf vor zwei Jahren. Da war sie lauter, radikaler. Nun teilt Meloni weniger gegen die EU, sondern vor allem gegen die Konkurrenz aus: „Wir lieben und verteidigen Europa als Zivilisation schon immer“, behauptet die Premierministerin. „Die Linke hat die EU nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion adoptiert. Und weil sie nostalgisch sind, möchten sie Europa in einen Ersatz des sowjetischen Dirigismus verwandeln, in ein Bürokratie-Monster.“
So viel Bierzelt-Rhetorik muss sein, für ihre rechte Klientel. Denn die ist es gewohnt, selbst als nostalgisch hingestellt zu werden, angesichts der Sympathien zahlreicher Parteigänger mit dem faschistischen Diktator Benito Mussolini. Meloni selbst bezeichnete ihn in ihrer Jugend als „großen Staatsmann“. Doch das ist vorbei, längst hat es die Ministerpräsidentin auch auf moderate Wähler abgesehen. Spätestens seit Silvio Berlusconis Tod vor einem Jahr hat diese Klientel keine echte politische Heimat mehr.
Meloni will sich deshalb als seriöse Realpolitikerin verkaufen. Bei den Staats- und Regierungschefs hat sie diesen Schwenk mit einer verbindlichen und pragmatischen Art bereits vollzogen. Sie könne Brücken bauen, heißt es in Brüssel. Das zeigte Meloni etwa in der Außen- und Migrationspolitik. Im Gegensatz zu ihren Koalitionspartnern Lega und Forza Italia gab es für Meloni nie Zweifel an der Solidarität mit der Ukraine. Mehrere Migrationsabkommen fädelte die Römerin mit ein, Hand in Hand mit konservativen ebenso wie mit sozialdemokratischen Regierungschefs.
Gutes Verhältnis zu von der Leyen
Auch wenn die Piazza del Popolo nur zur Hälfte gefüllt ist: Nach Umfragen kann Melonis Partei mit 27 Prozent der Stimmen in Italien rechnen, das wäre ein Prozent mehr als bei der Parlamentswahl 2022. Wenn dann der Machtpoker in Brüssel losgeht, werden sich manche um die voraussichtlich 23 Meloni-Parlamentarier reißen. Allen voran Ursula von der Leyen, deren Wiederwahl nicht sicher ist und der ein besonders guter Draht zu Meloni nachgesagt wird. Schon beim ersten Treffen sollen sich die beiden Mütter bestens verstanden und kaum über Politik, sondern größtenteils über Privates gesprochen haben. Meloni wollte wissen, wie von der Leyen ihren Beruf mit ihren sieben Kindern verbindet. Meloni erzählte von ihrer schwierigen Kindheit ohne Vater. Damals entstand offenbar eine politische Freundschaft, die der Kommissionspräsidentin und der Ministerpräsidentin noch nutzen könnte.
Auch innenpolitisch ist der Ausgang der Wahl für Meloni von Bedeutung. Kommt sie an das Ergebnis bei der Parlamentswahl 2022 heran, bei der die Fratelli 26 Prozent der Stimmen errangen, wäre das eine Bestätigung für ihren Regierungskurs. Schon jetzt, nach 19 Monaten, ist Meloni länger als die meisten italienischen Ministerpräsidenten im Amt. Als eines der wichtigsten Ziele ihrer Amtszeit hat Meloni eine umstrittene Verfassungsreform auf den Weg gebracht, die Italien mit der Direktwahl des Ministerpräsidenten mehr Stabilität bringen soll. Kritiker befürchten eine autoritäre Wende. Meloni spricht von der „Mutter aller Reformen“. Es wäre ein politisches Kunststück, wenn Meloni es bis ans Ende der Legislaturperiode 2027 schafft. Für ausgeschlossen halten das Beobachter derzeit nicht.