Kärnten

Millionenbetrug: Krypto, Gras und 40.000 Opfer

12.07.2023 • 15:10 Uhr
Alleine auf das Konto einer Kärntner Regionalbank haben Betrugsopfer 8,1 Millionen Euro in sieben Monaten eingezahlt
Alleine auf das Konto einer Kärntner Regionalbank haben Betrugsopfer 8,1 Millionen Euro in sieben Monaten eingezahlt m.mphoto – stock.adobe.com

Die “Klagenfurter Gang”, eine Gruppe junger Kärntner, ist wegen Betrugs, krimineller Vereinigung und Geldwäscherei angeklagt.

Auf Mallorca hat alles angefangen, davon ist die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft überzeugt. Auf der spanischen Insel trafen sich im Juni 2019 neun Männer und “fassten den Entschluss, aus schweren Betrügereien ihren Unterhalt zu bestreiten”. So steht es in der 300 Seiten umfassenden Anklage in der Causa EXW-Wallet.

Sieben Österreicher und zwei Italiener – mit einer Ausnahme alle Anfang Mitte bzw. Mitte 20 Jahre alt – starteten damals ein Betrugssystem mit dem Kryptowährungsnetzwerk EXW-Wallet.

Vier Jahre später hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Anklagen eingebracht: Acht Personen müssen sich am Landesgericht Klagenfurt verantworten. Ihnen werden mehrere Verbrechen vorgeworfen, mit 40.000 Opfern und 14 Millionen Euro Schaden.

Die EXW-Wallet-Gruppe

Die WKStA, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, hat Anklage gegen acht Personen eingebracht. Sie wirft ihnen gewerbsmäßig schweren Betrug, Geldwäscherei, Ketten- und Pyramidenspiel sowie kriminelle Vereinigung vor. Das Strafmaß beträgt ein Jahr bis zehn Jahre Freiheitsstrafe.

Die Angeklagten sind zwischen 25 und 48 Jahren, fünf Kärntner, zwei Tiroler und ein Kroate. Der Hauptangeklagte sitzt in Untersuchungshaft, alle anderen sind auf freiem Fuß. Gegen 14 Beschuldigte wird noch ermittelt. Die Angeklagten sollen Unternehmen samt Bankverbindungen gegründet haben – die EXW-Gruppe. Sie haben Anlegern hohe Gewinne versprochen bei Investments in Immobilienprojekte, den Handel mit Kryptowährungen und in die eigens geschaffene Kryptowährung (EXW-Token). Statt zu investieren, sollen die Angeklagten das Geld zur Finanzierung ihres Lebens verwendet haben.

14 Millionen Euro ist der bisherige Schaden, es gibt 40.000 Opfer. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Doch das ist eine Zwischenbilanz, die WKStA ermittelt gegen 14 weitere Personen. Opferzahl und Schadenssumme werden wohl steigen. So spricht etwa die Ex-Frau des Hauptangeklagten (25) in ihrer Aussage von Umsätzen zwischen 80 und 120 Millionen Euro. Ein anderer Zeuge nennt 40 bis 80 Millionen Euro. Alles in rund zwei Jahren, in denen EXW-Wallet aktiv war.

Geplant und gesteuert wurde laut Anklage alles von der “Klagenfurter Gang”, wie sie ein Zeuge nennt: etwa 25 Personen, aus Klagenfurt und anderen Kärntner Bezirken (St. Veit, Feldkirchen, Völkermarkt, Spittal), dazu Nord- und Südtiroler sowie Schweizer und Deutsche.

Stiftung in Liechtenstein

Kopf der Gang ist für die WKStA der 25-jährige Klagenfurter. Er wurde im vergangenen Oktober in Salzburg festgenommen und sitzt in einer Wiener Justizanstalt in Untersuchungshaft. Der wieder verheiratete Mann und mehrfache Vater hat laut WKStA seit Jahren keinen festen Wohnsitz in Österreich. Laut Anklage und Fotos in sozialen Medien lebte er in Dubai und Thailand. Dafür hatte der 25-Jährige von 2019 bis Ende 2022 eine Stiftung im Fürstentum Liechtenstein. “Zu den Begünstigten zählten die Angehörigen einer bestimmten Familie”, jene des Hauptangeklagten, steht in der Anklage.

“Aggressive Werbung”

Das System der “Klagenfurter Gang” hatte nur ein Ziel: Mithilfe “von aggressiver Werbung auf Internetflächen und im Instant-Messaging Dienst Telegram sowie bei Werbeveranstaltung in Hotels, anlässlich sogenannter Büroeröffnungen und in Veranstaltungszentren” potenzielle Anleger zu akquirieren. Der Staatsanwalt nennt die Anleger Opfer und zählt Tausende in der Anklage auf.

Ihnen wurden enorme Gewinne versprochen, wenn sie in Immobilienprojekte, in den Handel mit Kryptowährungen und in Beteiligungen an der eigens erschaffenen Kryptowährung EXW-Token investieren.

Sporttaschen voller Geld

Ein EXW-Token, der nie das Licht der Krypto-Welt erblickt hat, ebenso wenig wie Immobilienvorhaben realisiert worden sind, sollte bis zu 221 Prozent Gewinn im Jahr bringen. Die Leute haben der “Gang” Unsummen an Geld anvertraut. Bei sündteuren Werbeveranstaltungen haben die Angeklagten von Investoren kiloweise Bargeld erhalten – 100.000e Euro wurden in Sporttaschen weggetragen.

Die Betrugsopfer haben auch fleißig überwiesen: Alleine auf das Konto eines Angeklagten bei einer Kärntner Regionalbank wurden von 4101 Menschen in sieben Monaten des Jahres 2019 insgesamt rund 8,1 Millionen Euro eingezahlt. Auf ein weiteres Konto bei einer Kärntner Bank haben 570 Investoren in einem Monat 1,1 Millionen Euro eingezahlt.
Dazu kommen Konten in Deutschland, Ungarn, Belgien, Thailand und anderen Ländern. Viele sichergestellte Millionen Euro und Bitcoins konnten die Ermittler noch nicht zuordnen. Ebenso wie die Einzahler noch nicht ausgeforscht werden konnten.

Cash mit Cannabis

Möglicherweise tut sich bald ein neuer, riesiger Betrug auf. Zwischen EXW-Wallet und einem anderen dubiosen Unternehmen (My First Plant; MFP), gibt es enge personelle Verflechtungen: Drei angeklagte Kärntner (32, 25 und 29 Jahre) im EXW-Skandal sind nämlich Gesellschafter bzw. Geschäftsführer bei MFP.

My First Plant

Die Firma My First Plant GmbH (MFP) wurde 2020 in Klagenfurt gegründet. Geschäftszweig laut Firmenbuch: Pflanzenzucht und Gärtnereibetrieb. Geschäftsmodell: Investoren können legale Cannabispflanzen kaufen und vom Ernteertrag profitieren.

900 Euro kostet eine Pflanze in der Halle für fünf Jahre, eine Pflanze im Freien kostet 70 Euro pro Jahr. Laut Zeugen könnten Tausende Pflanzen verkauft, aber von MFP nicht gekauft und gepflanzt worden sein. Möglicher Schaden: eine Million bis mehr als zehn Millionen Euro. Landeskriminalamt Kärnten und Staatsanwaltschaft Klagenfurt ermitteln.

Drei MFP-Gesellschafter, einer von ihnen ist auch Geschäftsführer, sind in der Causa ums Kryptowährungsnetzwerk EXW-Wallet angeklagt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Die hat ihren Kunden mit Investitionen in legale Cannabisprodukte ebenfalls hohe Gewinne versprochen. So sah das Geschäftsmodell aus: Man kauft bei MFP Cannabispflanzen (70 bis 900 Euro das Stück), die werden von MFP betreut und der Gewinn aus dem Verkauf der Ernte geht an die Investoren. Drei Ernten pro Jahr seien möglich, versprach MFP. Bis zu 100 Euro Gewinn je Ernte seien machbar.

Stiftung Warentest warnt

Während Anfangs noch Gewinne ausbezahlt wurden, stockt der Motor. Investoren aus ganz Europa warten seit Monaten auf ihr Geld und machen ihrem Ärger in sozialen Medien Luft. Auch die deutsche Verbrauchschutzorganisation “Stiftung Warentest” warnt vor MFP.
Laut Insidern könnten Tausende Cannabispflanzen zwar an Kunden verkauft, aber von MFP nie angekauft und gepflanzt worden sein. Nur für heuer soll der Schaden mehr als 1,1 Millionen Euro betragen. Andere Rechnungen gehen hingegen bereits von vier bis zehn Millionen Euro Schaden aus.

Stiftung Warentest

Stiftung Warentest wurde 1964 vom Deutschen Bundestag gegründet. Jedes Jahr müssen sich mehr als 30.000 Produkte ihrem kritischen Urteil unterziehen. Stiftung Warentest kauft Produkte anonym ein und nimmt Dienstleistungen verdeckt in Anspruch. Sie prüft diese nach wissenschaftlichen Methoden in unabhängigen Instituten und veröffentlicht die Ergebnisse.

Mit enormem Erfolg: 96 Prozent aller Deutschen kennen die Stiftung Warentest. 80 Prozent vertrauen ihr stark oder sehr stark.

Mittlerweile ermittelt das Landeskriminalamt, die Finanzpolizei und die Staatsanwaltschaft Klagenfurt. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt für alle Angeklagten und Beschuldigten die Unschuldsvermutung.