Eindringliche Begegnungen im nächtlichen Traum

Am Donnerstag wurde Georg Friedrich Haas’ Stück „Solstices“ als Tanz-Musik-Projekt vom walktanztheater und dem Ensemble plus im Kulturhaus Dornbirn uraufgeführt.
Eindringlich, beklemmend, schmerzlich, tiefgehend, aber auch zuweilen voller Licht wirkt das außergewöhnliche Zusammenspiel von Musik und Tanz, mit dem das Dornbirner Kulturhaus noch bis Aschermittwoch verwandelt wird: Brigitte Walk mit ihrem Ensemble von zwei Tänzern und vier Tänzerinnen und die Choreografin Elisabeth Orlowsky haben sich auf ihre Weise die Musik von Georg Friedrich Haas zu eigen gemacht und verkörpern sie, indem die Musik gleichsam in den Körper eingeschrieben wird. Das Vorarlberger Ensemble Plus rund um den Bratschisten Guy Speyers und Konzertmeisterin Michaela Girardi hat Haas’ „Solstices“ ebenfalls auf bewundernswerte Weise verinnerlicht, denn es musiziert zum Teil auswendig in kompletter Finsternis. Über 70 Minuten entwickelten Musik und Bewegung eine besondere Sogkraft, von der sich das Publikum hochkonzentriert berühren ließ.
Besonderes Hörerlebnis
Georg Friedrich Haas, der 1953 in Graz zur Welt kam und im Montafon aufgewachsen ist und inzwischen in New York lebt, hat das Publikum (und die Ausführenden) bereits bei den Bregenzer Festspielen und den Weingartener Tagen für Neue Musik mit dem Musizieren und Hören in Dunkelheit konfrontiert. Es öffnet die Ohren, weitet die Konzentration, verschweißt die Musizierenden noch mehr zu einem lauschenden, spürenden, atmenden, emotionalen Klangkörper. Die mikrotonalen Verschiebungen, die Arbeit mit Obertönen, Naturtonreihen oder Vierteltonklängen, die Haas in seinen Kompositionen immer wieder aufgreift und verfeinert, beschert dem Publikum bewusst oder unbewusst dazu ein wirklich besonderes Hörerlebnis, das in der Finsternis vielleicht noch wundersamer und geheimnisvoller klingt.

Im vergangenen Jahr ist der Komponist dazu mit seinen Memoiren „Durch vergiftete Zeiten“, der Auseinandersetzung mit den Nazi-Dunkelheiten und dem Missbrauch in der eigenen Familie, an die Öffentlichkeit gegangen: Wie sehr diese Lebenserfahrungen in sein kompositorisches Schaffen hineinwirken, darüber möge jeder und jede selbst sinnieren.
Transparente Körper
„Solstices“ (Sonnenwenden) beginnt in der tänzerischen Umsetzung durch das walktanztheater in Stille und führt in die Stille zurück: Ein Mann tritt in einen Lichtkegel, Zeitlupenbewegung und kurze Impulse betonen die Körperlichkeit, die Lichtgestaltung von Matthias Zuggal verstärkt den Anschein, als würden die Sehnen hervortreten, der Körper transparent werden. Mit zunehmender und vollständiger Dunkelheit schwillt die Musik an, vielfach aufgefächerte Klangflächen von vier Streichern, Flöte, Klarinette, Posaune, Klavier, Gitarre und Schlagzeug finden sich in einer intensiven Wellenbewegung. Was zunächst durch die Glissandi wie ein vielstimmiger Insektenschwarm klingt, wird allmählich reduziert, zentriert, die Obertonspektren und Akkorde treten in den Vordergrund. Das Licht kehrt zurück, Menschenknäuel, in Gruppen oder vereinzelt, zwei mit Rabenköpfen, scheinen aus dem nächtlichen Traum herübergekommen zu sein.

Die Tänzerinnen und Tänzer suchen, begegnen und finden sich zu Paaren oder Gruppen, lösen sich wieder, der Fluss der Bewegung spiegelt den Fluss der Musik. Die Fantasie darf sich entfalten, man kann sich aufs Sehen oder aufs Hören konzentrieren, die Klangballungen, die manchmal bedrohlich wirkenden hämmernden Rhythmen oder die Entladung in einem Schrei. Der Tanz verdoppelt die Musik nicht, lässt Raum für eigene Interpretationen und Geschichten. Die leichten, transparenten Stoffe in Rot, Schwarz und Beige (Ausstattung: Sandra Munchow) und die Lichtführung verstärken außerdem das Besondere dieser Produktion, die in der musikalischen wie tänzerischen Umsetzung überzeugt.
Weitere Aufführungen heute und am 20. und 22. Februar jeweils um 19.30 Uhr, am Sonntag außerdem um 10 Uhr im Kulturhaus Dornbirn; Infos unter www.walktanztheater.com; www.ensembleplus.at.