Jana Vettens Perspektivenwechsel

Am Montag feiert die Oper des Komponisten Jules Massenets „Werther“ Premiere im Kornmarkttheater. Regisseurin Jana Vetten inszeniert die ganze Geschichte aus dem Blickwinkel von Charlotte.
Ein junger Rechtspraktikant verliebt sich in eine bereits verlobte Frau. In Briefen berichtet er seinem Freund Wilhelm von seiner unglücklichen Verbindung zu Charlotte. Monatelang ist er hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Zweifel, bis er am Ende von seinen starken Gefühlen überwältigt wird und nur im Suizid einen Ausweg erkennt. Im Jahr 1774 wurde Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ zum Bestseller. Mehr als 100 Jahre später hat der Komponist Figuren, Motive und einzelne Szenen aus Goethes Roman in einer Oper neu verarbeitet. In Massenets „Werther“ kommen auch die anderen Charaktere zu Wort und nicht mehr Werther, sondern Charlotte wird zur eigentlichen Heldin.
Neuer Fokus
Dem Stoff dieser tragischen Liebesgeschichte wollte sich die Regisseurin Jana Vetten auf Anfrage der Bregenzer Festspiele nur unter bestimmten Voraussetzungen widmen. „Ich find die Werther-Geschichte schon enorm spannend, aber ich würde sie aus einem etwas anderen Blickwinkel sehen als sie beispielsweise Massenet in seiner Zeit gelesen hat“, erklärt Vetten im Interview mit der NEUE. Statt den Fokus auf Werthers Gefühle zu legen, interessiere sie sich dafür, wie sich ein Suizid auf Angehörige auswirkt und vor allem möchte sie die Geschichte aus der Perspektive von Charlotte lesen, deren „Nein“ nicht akzeptiert wird, obwohl sie „ganz eindeutig und mehrfach Werther sagt, dass sie nicht mit ihm zusammen sein möchte und kann.“

Immer noch ein Problem
Obwohl historische Zitate immer wieder in die Oper einfließen, lese Vetten die Figuren aus einer heutigen Zeit heraus, in der Charlottes „Nein“ immer wieder von Werther übergangen wird. „Also diese Form von Respektlosigkeit und Übergriff: Den Moment nicht zu akzeptieren, dass die Frau sagt, sie möchte nicht, das ist leider ja immer noch ein Thema bei uns, das wollt ich gerne rausarbeiten.“, beschreibt die Regisseurin. Sie möchte eine „zeitgenössische Frau“ zeichnen, die auch überfordert sei, wenn Werther seine Liebe über alles andere stellt und sie am Ende mit dem Schuldgefühl und der Trauer zurücklässt.
„Dass es ein Problem mit Konsens gibt zwischen den Geschlechtern, vor allem in der Sexualität, das ist uns glaub ich allen bewusst und das kommt historisch gesehen aus dieser Zeit, wo es in dem Werben umeinander für die Frauen gut war, erst nein zu sagen, um nicht als „leichte Mädchen“ dargestellt zu werden, um dann nach einer angemessenen Zeit, ihre Meinung zu ändern und zu sagen: Ja, jetzt möchte ich doch. Das ist angelegt im 18. Jahrhundert und macht uns heute immer noch Probleme in der Art, wie wir jetzt unter den Geschlechtern miteinander kommunizieren.“, erklärt Vetten.
Werther trotzdem nicht als Täter darzustellen, sei ein schwieriger Balanceakt gewesen. „Ich seh ihn nicht als reinen Täter, sondern einfach als jemanden, der nicht gelernt hat mit seinen Emotionen umzugehen und der tatsächlich auch nicht gesund ist, der sucht immer nach einer Ruhe, er hat so eine große Sehnsucht nach etwas, das sich in seinem Leben nicht erfüllen kann und diese ganzen Sehnsüchte projiziert er eben auf Charlotte.“, beschreibt die Regisseurin.
Charlottes Vernunft
Während Werther Charlotte idealisiert und sie als „Engel“ beschreibt, erlaubt die Oper einen realistischeren Blick auf die junge Frau, die nach dem Tod ihrer Mutter sehr früh viel Verantwortung übernehmen musste. „Sie hat ihrer Mutter am Sterbebett verschiedene Dinge versprochen, unter anderem, dass sie Albert heiratet, den Mann, mit dem sie verlobt ist, den sie bei uns aber tatsächlich auch liebt.“, sagt Vetten. An dieser Verantwortung und dem Pflichtgefühl hält sie fest, auch wenn ihr das nicht immer leichtfalle.

Lisa Mathis
Die erste Liebesszene mit Werther empfinde sie wie eine Befreiung von ihren Pflichten gegenüber der Familie. „Werthers jugendliche Leidenschaft interessiert sie natürlich schon, sie verliebt sich in ihn.“ Dieser Kontrast zwischen Vernunft und Freiheitsgefühl werde in der Oper immer wieder dargestellt und zeige sich auch in den anderen Figuren, wie etwa in Charlottes jüngerer Schwester Sophie, die mit ihren Freunden den Spaß im Leben sucht, aber auch anfangen muss Verantwortung zu übernehmen. Den restlichen Geschwistern begegnet das Publikum im Kinderchor. Daneben spielen auch deren Vater, Albert und verschiedene Freunde der Familie eine Rolle. In diese „ganz lebendige Community“ eines Dorflebens passe Werther nicht rein „mit seiner Depression, mit seinem Todeswunsch und der ganzen Dunkelheit, die er mit sich rumträgt, da findet er auch keinen Trost. Er sieht oft nur, wie lebendig die anderen sind und wie er es nicht schafft, daran anzudocken.“, beschreibt die Regisseurin.
Abstrakter Wurf
Wenn Werther auf Charlotte trifft, verliebt er sich sofort und beschreibt vor allem ihren guten Umgang mit den Kindern. Vetten und die Ausstatterin Camilla Hägebarth möchten auf diese Suche nach einer „Mutterfigur“ in der rosa-pinken Farbgebung der Bühne hindeuten. Der abstrakte Raum sei ein Versuch, der Enge der realistischen Innenräume zu entfliehen, wie sie in der Oper „puppenstubenmäßig“ vorgegeben werden. Ein riesengroßer Mond symbolisiere die heftigen Gefühle von Werther.
Die „heile Welt“ der Gesellschaft wird durch „schöne“ farbige Kostüme widergespiegelt, die weich und samtig eine Mischung aus historischen und zeitgenössischen Silhouetten aufweisen. „Aus dieser perfekten Welt fallen dann Charlotte und Werther immer weiter raus und schaffen es nicht, diese Schönheit so aufrecht zu erhalten, sondern zerfleddern immer mehr.“, beschreibt Vetten.
Werther: Premiere, Montag, 19.30 Uhr, Theater am Kornmarkt, Bregenz.