Kultur

Wie sie erinnert werden möchte

16.08.2023 • 18:51 Uhr
Regisseurin Carmen C. Kruse <span class="copyright">Stiplovsek </span>
Regisseurin Carmen C. Kruse Stiplovsek 

Regisseurin Carmen C. Kruse spricht über ihre Inszenierung von Fabián Panisellos Oper „Die Judith von Shimoda“, die heute auf der Werktstattbühne uraufgeführt wird.

Eine junge Frau wird zur Heldin, weil sie sich bereit erklärt ihren Mann zu verlassen und dem ersten amerikanischen Konsul in Japan als Geisha zu dienen. Dadurch rettet sie die Stadt vor der Zerstörung, wird aber von der Gesellschaft ausgeschlossen und verachtet. Das ist die tragische Geschichte von der Japanerin Tojin Okichi, wie sie zuerst vom japanischen Schriftsteller Yamamoto Yuzo 1929 aufgegriffen und 1940 von Bertold Brecht bearbeitet wurde.

Kurzfristiger Regiewechsel

Auf Grundlage dieser Spielfassung, die erst 1997 posthum veröffentlicht wurde, komponierte Fabián Panisello die neue Oper, die im Rahmen der Bregenzer Festspiele und in Kooperation mit der Neuen Oper Wien heute uraufgeführt wird. Nachdem der ursprünglich geplante Regisseur Philipp M. Krenn absagen musste, hat Carmen C. Kruse die Inszenierung des Musiktheater-Auftragswerks kurzfristig übernommen und gemeinsam mit der Ausstatterin Susanne Brendel innerhalb einer Woche ein völlig neues Konzept für die Oper entwickelt und die Charaktere neu ausgelegt. „Da wir uns aber schon seit fünf Jahren kennen, war es wirklich möglich, das zu tun.“ Das Konzept von Philipp Krenn habe sie weder gesehen noch übernommen, verrät die Regisseurin im Interview mit der NEUE.

Einblick in die Probe "Die Judith von Shimoda" <span class="copyright">Alexandra Serra</span>
Einblick in die Probe "Die Judith von Shimoda" Alexandra Serra

Das Bühnenbild – „eine abstrakte Bühne mit einem großen Spiegel“ wurde um eine Videoebene für die neue Fassung erweitertet. Die Videoprojektion soll zusammen mit der Bühne und den Kostümen „eine abstrakte Welt entstehen lassen in deren Mittelpunkt die Menschlichkeit der Charaktere steht“, beschreibt Kruse. Die Bühne sei ein zeitloser Ort, wo das Publikum mit der Seelenwelt Okichis in Berührung kommt. Am Ende werde es zu einem großen Gemälde – Okichi malt ihr Gesicht und wie sie erinnert werden möchte.

Mehrere Ebenen

Denn anders als in Brechts Text und auch in Yuzos Erzählung, wo Okichi viel von außen beschrieben und gezeigt werde, widme sich Kruse in der Inszenierung genau der Ambivalenz einer Frau, die einerseits als Heldin verehrt und dennoch von der Gesellschaft verraten wurde. „Weil wir die gesamte Oper ihr widmen und ihren gelebten Erfahrungen, sieht man in einer zweiten Ebene, was wirklich passiert und so hat das Publikum die Möglichkeit, ein eigenes Bild davon zu formen.“ Im Mittelpunkt der Oper stehe Okichi und ihre Willensstärke, eine Frau die sich nicht instrumentalisieren lasse, „sondern über den Verlauf des Stückes den Widrigkeiten der Gezeiten des Lebens standhält und an ihren Werten festhält und immer wieder Stärke findet.“, beschreibt Kruse ihre Auslegung der Figur.

Im Mittelpunkt der Oper stehe Okichi und ihre Willensstärke. <br><span class="copyright">Alexandra Serra</span>
Im Mittelpunkt der Oper stehe Okichi und ihre Willensstärke.
Alexandra Serra

Durch diesen Kontrast von Okichis gelebten Erfahrungen und den Beschreibungen der Rahmenhandlung gelinge es, ein differenziertes Bild zu zeigen. „Das setzt sich genau damit auseinander: Was sagen Menschen übereinander? Was ist die Legende? Was ist das, was überliefert wird und was sind wirklich die Erfahrungen von Frauen? – nicht nur von Okichi 1850, sondern auch von Frauen unserer Zeit in diesem Konflikt zwischen Patriarchat, Gendergewalt und Außenwelt. In einer idealen Welt wär Okichi diesen Herausforderungen nicht ausgesetzt und es ist sehr beeindruckend, wie sie damit umgeht und die Verletzlichkeit von ihr, aber auch ihre Stärke erlebt man als Publikum mit.“, so Kruse über die Inszenierung.

Damit bringt die Regisseurin das Stück in die Gegenwart und integriert Themen, die uns auch heute nicht loslassen würden: „Der Umgang von den vielen mit der einzelnen und aber auch die Wechselwirkung des Ausschließens und der Gerüchte. Denn auch Brechts Text sei „ein Resultat vom Europa um 1930 wie auch die Originalgeschichte ein Resultat ist von 1850“ bemerkt Kruse und wirft in der Oper einen Blick auf unsere heutige Zeit, wo auch interkulturelle Differenzen eine Rolle spielen und klar werde, dass „das was überliefert wird, nicht immer die Gesamtheit einer Person ausmacht“.

Im Kontrast zur Handlung

Eine erweiterte Erzählung in den Szenen weiche von der Rahmenhandlung ab und zeige den Verlauf von Okichis Leben. „Okichi wird in gewisser Weise zur Heldin, zur Aktivistin, aber sie ist auch Künstlerin, Frau und – wie wir alle – ein Mensch.“ Am Ende gehe es gar nicht darum, ob Okichi stirbt oder nicht, sondern um das, was von ihr bleibt. „Damit machen wir darauf aufmerksam, wie wir auch innerhalb unserer Gesellschaft häufig ein zweites Mal hinschauen sollten und wie man neue Geschichtsauslegungen, aber auch ein neues Miteinander und eine Einschätzung von Situationen anders und sensibler betrachten kann.“ Neben Okichi begegne das Publikum auch ihrem Verlobten Tsurumatsu, ihrer besten Freundin Ofuku und dem Chor, der die Gesellschaft zu jenem Zeitpunkt verkörpere, aber auch Frauen unserer Zeit abbilde.

Die "Judith von Shimoda" feiert heute Premiere in Bregenz. <br><span class="copyright">Alexandra Serra</span>
Die "Judith von Shimoda" feiert heute Premiere in Bregenz.
Alexandra Serra

Mit Brechts zweiter Ebene, in der er das Publikum auf der Bühne hat, eröffne die Oper in Prélude. Der argentinische Komponist Panisello, der auch mit Electronic und Live Electronic arbeite, habe diese Klanglandschaft in das Publikum verortet und verwende zudem erweiterte Techniken im Instrumentarium, woraus eine spannende Klangsprache entstehe, „die den Zugang ermöglicht zu den Charakteren und der Erzählung.“, beschreibt Kruse.
Premiere: heute, 20 Uhr; Bregenz.