Vom Leben seiner Mutter

Wolfgang Hermann erzählt in „Bildnis meiner Mutter“ von einer starken Frau im unterdrückten Leben.
In 100 Seiten verpackt Wolfgang Hermann berührend und eindrücklich die Lebensgeschichte seiner Mutter. Aus dem „Nichtwissen will ich meine Kraft schöpfen“, schreibt der Autor am Anfang seiner Erzählung, die auf „Bildern, Erinnerungen, seiner Fantasie und auf den Aufzeichnungen seiner Mutter basiere.
Enge Verhältnisse
Die Kindheit wird größtenteils ausgeblendet, denn es geht um eine junge Frau, die im Vorarlberg der Dreißiger- und Vierzigerjahre ihren Weg durchs Leben macht. In kurzen Ausschnitten schildert Hermann Ereignisse aus dem Leben der jungen Anneliese, etwa wie sie 1938 euphorisch den Einmarsch der Deutschen Truppen erlebte, wie sie 1939 erste berufliche Erfahrungen machte und im Laufe der nächsten Jahre Schwärmereien für Männer hatte. Jung, naiv und mit christlichen Moralvorstellungen stellt sie sich den „Aufdringlichkeiten der Mannsbilder“ entgegen. Sie träumt vom Leben als Künstlerin und verliebt sich in Gerd. Doch nicht er wird ihr Ehemann, sondern ein junger Architekt, dessen Charme nach der Hochzeit schnell verfliegt. Es folgen beschwerliche Jahre, durchzogen von Arbeit, Geldsorgen und Schwangerschaften, bis sich die Familie nach und nach finanziell festigt.

Der Autor taucht ein in die Persönlichkeit seiner Mutter, aber auch in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zustände der Kriegs- und Nachkriegszeit. Er beschreibt sie als starke, zuversichtliche und organisierte Frau, die mit den Kindern unter der Ehe leidet, Entscheidungen ihrer Jugend wehmütig bereut und trotzdem zurück in ihrer Unabhängigkeit findet. Einfühlsam erzählt Hermann von den Sehnsüchten und Vorstellungen eines Lebens, das seiner Mutter verwehrt blieb.
Sorgsam und fragend reflektiert Herrmann die Beziehung seiner Eltern, die seiner Mutter zu ihren Eltern, die Unnahbarkeit seines Vaters den Kindern gegenüber, er stellt Fragen und sucht im Erzählten nach den Hintergründen und vieles bleibt in der Unwissenheit verborgen. Die Geschichte seiner Mutter vermischt sich mit eigenen Erinnerungen und Eindrücken an die Kindheit und ein „kahles“ Elternhaus, dem er schon als Fünfjähriger entfliehen wollte, als er seiner Mutter versicherte, mit ihr zu kommen, wenn sie sich nur trennen würde. Den ersten Teil der Erzählung schrieb der Autor 1994, aber erst letztes Jahr – nach dem Tod der Mutter – konnte er das Buch fertigschreiben, denn „wenn ein anderer über unser Leben schreibt, kann es nie stimmen“.
Bildnis meiner Mutter, erschienen im Czernin Verlag Wien 2023.