Ein Nobelpreisträger jenseits der Worte

Der Norweger Jon Fosse bekommt den Literaturnobelpreis 2023. Fosse werde gewürdigt für „seine innovativen Theaterstücke“ sowie seine Prosa. Mit seinem Werk gebe er „dem Unsagbaren eine Stimme“.
Seit Jahren zählte er zu den Favoriten, nun erhält er tatsächlich die wichtigste Literaturauszeichnung der Welt: Jon Fosse wird in diesem Jahr mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Das gab die Schwedische Akademie am Donnerstag in Stockholm bekannt. Der norwegische Autor erhalte den wichtigsten literarischen Preis der Erde für seine innovativen Theaterstücke und seine Prosa – damit gebe er „dem Unsagbaren eine Stimme“, sagte der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, bei der Preisbekanntgabe in der Stockholmer Altstadt.
Im Auto erreicht
Malm habe den Dichter im Auto nördlich von Bergen erreicht, während manche Gewinner ihm beim Anruf nicht glauben würden, habe Fosse ihm gleich vertraut. Sie hätten bereits über erste Details der Nobelpreis-Woche und das weitere Prozedere sprechen können. Fosse war zuletzt zwar hoch gehandelt worden, Favoritin der Buchmacher war allerdings die unter dem Pseudonym Can Xue schreibende 70-jährige Chinesin Deng Xiaohua gewesen.
Jon Fosse wurde am 29. September 1959 im norwegischen Hagesund geboren und ist am Hardangerfjord aufgewachsen. Sein Oeuvre umspannt unzählige Gattungen, von Theaterstücken über Romane bis zu Kinderbüchern und Übersetzungen. Als einer „der anerkanntesten und meistgespielten Theaterautoren unserer Zeit“ verbinde Fosse „eine Verwurzelung in der Sprache und Natur seiner norwegischen Herkunft mit künstlerischen Techniken der Moderne“, erläuterte Literaturwissenschafter und Akademiemitglied Anders Olsson im Anschluss an die Bekanntgabe. Zu Fosses „Wahlverwandtschaften“ gehören große Namen wie Samuel Beckett, Thomas Bernhard oder Georg Trakl. Fosse dringe zum Kern „der menschlichen Beklemmung und Ambivalenz“ vor. „Durch seine Fähigkeiten, den Orientierungsverlust der Menschheit zu evozieren, gilt er nicht nur im modernen Theater als Innovator.“

Großer Dramatiker
1994 trat der Autor, der aufgrund seiner Ehe mit einer slowakischen Wissenschafterin auch einen Wohnsitz im niederösterreichischen Hainburg hat, erstmals an die Öffentlichkeit. Er veröffentlichte zunächst Lyrikbände und Romane, bevor er sich überwiegend dem Schauspiel widmete und innerhalb weniger Jahre zu einem der meist gespielten Dramatiker seiner Generation wurde. Der spröde Skandinavier schrieb mehr als 30 Theaterstücke, die inzwischen in etwa 40 Sprachen übersetzt wurden und nicht zuletzt im deutschsprachigen Raum auf zahlreichen Bühnen, darunter in Salzburg und Wien, zur Aufführung kamen.
Fosse wurde mit unzähligen Auszeichnungen bedacht, darunter der internationale Ibsen-Preis und der Europäische Preis für Literatur. Nachdem er 2000 in Wien mit einem Nestroy prämiert wurde, meinte er ein Jahr danach im APA-Interview: „Ich habe keinerlei Bedürfnis, als Berühmtheit zu gelten und führe daher momentan eine Art Doppelleben. Natürlich freue ich mich über den Erfolg, aber ich brauche ihn nicht unbedingt.“
„Seine Dramatik erzählt von einem Zwischenreich. Von jener eigenartigen Zone jenseits der Worte, in der sich Geheimnisvolles zwischen den Menschen abspielt. Er kann als Meister des Unbenennbaren bezeichnet werden“, schwärmten die Nestroy-Juroren. Von einem „Meister des Unheimlichen“ schrieb „Theater heute“. Die seltsamen Stücke aus dem kühlen Norden haben zu Beginn des neuen Jahrtausends heiße Debatten unter Kritikern wie Besuchern ausgelöst: Was die einen als platter Naturalismus störte, würdigten die anderen als tief schürfende Darstellung dunkler Abhängigkeiten. Die Theatertexte Autors haben einen irritierenden neuen Ton in die zeitgenössische Dramatik getragen. In Fosses Stücken passiert meist kaum etwas und wird nur das Notwendigste gesprochen. Wo er aufgewachsen sei, „ist es sehr ruhig, an den Fjorden, mit den Bergen, besonders im Winter“, sagte Fosse einmal. „Die Leute reden nicht viel. Wenn sie etwas sagen, ist es voller Ironie. Das hat mit meiner Sprache viel zu tun.“

Melancholische Sprache
So lakonisch wie die Dialoge sind auch die Titel: „Das Kind“, „Mutter und Kind“ oder „Der Sohn“ heißen sie, „Sommertag“, „Traum im Herbst“ oder „Winter“. Es sind archetypische Situationen, Begegnungen von Menschen, die durch Familienbande oder Beziehungen aneinandergekettet sind. Sie haben nichts zu lachen, und mit der Trostlosigkeit ihres Schicksals scheinen sie sich abgefunden zu haben. Fosse hat jedes Beiwerk, das auf ein Leben „außerhalb“ verweisen würde, eliminiert, die Dialoge kreisen um einen geheimnisvollen Kern, von dem nie ganz klar wird, wie er konkret aussieht.“ Die Form geschlossen, den Inhalt offen“, nennt das Fosse. „Was ich mir wünsche, ist, dass mein Text ist, nicht bedeutet.“
“Ich bin an die Spannung gewöhnt, und ich bin es gewohnt, ihn nicht zu bekommen. Es kam also etwas unerwartet für mich.”
Jon Fosse,
Literaturnobelpreisträger 2023
Sein Prosawerk umfasst unter anderem „Melancholie“, „Morgen und Abend“ und „Das ist Alise“. 2016 erschien seine „Trilogie“, ein Dreiklang von Erzählungen, in dem es anhand des Paares Alida und Asle um Liebe und Verletzlichkeit geht. Mit „Der andere Name“ startete 2019 sein siebenteiliges Opus magnum, das große Romanprojekt „Heptalogie“, auf deutsch. Die deutsche Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel hält bei Band fünf, im Vorjahr bei Rowohlt unter „Ich ist ein anderer“ erschienen. Der zweiteilige Abschlussband „Ein neuer Name“ ist für 2024 angekündigt. „Der Nobelpreis für Jon Fosse ist eine große Freude: Die Auszeichnung würdigt das literarische Schaffen eines Autors, dessen Werke die Welt mit Tiefe und Intensität berühren.Auf die Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis habe Fosse überglücklich reagiert. „Ich bin überwältigt und sehr froh und dankbar“, wurde er am Donnerstag in einer Mitteilung seines norwegischen Verlags Samlaget zitiert. „Ich betrachte das als einen Preis an die Literatur, die in erster Linie Literatur sein will, ohne andere Erwägungen.“, sagt er. „Höher als zum Nobelpreis wirst du nicht kommen. Danach geht alles bergab“.