Kultur

Was von der Erinnerung erhalten bleibt

14.10.2023 • 15:37 Uhr
Marianne Thoermer. <br><span class="copyright">Sieglinde Wöhrer</span>
Marianne Thoermer.
Sieglinde Wöhrer

Die interdisziplinär schaffende Künstlerin Marianne Thoermer präsentiert in der Galerie Sechzig ihre Werke in der Ausstellung „What remains“.

Zehn Jahre hat Marianne Thoermer nicht gemalt. Es sei ihr nicht gelungen, die emotionale Kraft der gewünschten Bilder auf die rechteckigen Formate zu übertragen. Zu flächig. Zu wenig organisch. Etwas habe gefehlt. „Ich wollte ein Kunstwerk schaffen, was den Betrachter mehr hineinzieht und sehr haptisch ist“, erzählt die Künstlerin im Gespräch in der Galerie Sechzig, wo ihre Bilder an den Wänden in kräftigen Farben die flüchtigen Momente des Lebens festhalten.

Teppichgemälde

Die Kunstwerke hat sie dann mit der Hand geknüpft, über Empfehlungen beim Studium sei sie auf die Technik aus den 70er-Jahren aufmerksam geworden. In den Teppichen konnte sie ihre Werke ohne räumliche Grenzen vom Boden über die Wand bis zur Decke wachsen lassen, „mit sehr langen Schnüren, die dann in den Raum ausbluten“, beschreibt Thoermer. Die Textilwerke haben etwas Rhythmisches und Unruhiges und seien an der Grenze zur Skulptur. „Das Spannende ist, dass wenn die Leute die Textilarbeiten sehen, dass da immer diese Reaktion ist, man möchte es anfassen.“

Neben vorwiegend Ölgemälden hat Thoermer auch kleinere Werke aus Glaswachs und geknüpfter Wolle und die Arbeit „Crying Carpet“ nach Feldkirch gebracht. Eine Arbeit, der ein ähnliches Konzept zugrunde liegt, das auch in den Malereien beobachtet werden kann: Es gibt genug offenen Raum, um verschiedene emotionale Wirkungen hervorzurufen. „Man wird praktisch als Betrachter auf sich selbst zurückgeworfen und ist mit seinen eigenen Emotionen konfrontiert“, sagt Thoermer.

Nach dem Kunststudium in Berlin hat Marianne Thoermer in London an der Royal Academy of Arts studiert. Erst vor zwei Jahren in der Pandemiezeit auf dem Land in Nordengland habe sie schließlich wieder angefangen zu malen. „Ich hatte das Gefühl, dass da noch ungelöste Fragen sind für mich.“ In kleinen Schritten habe sie sich der Malerei angenähert. „Es ist wie nochmal laufen lernen.“

Marianne Thoermer mit „The last Sunday“ in der Galerie Sechzig; „The Strategists“. <span class="copyright">Markus Tretter</span>
Marianne Thoermer mit „The last Sunday“ in der Galerie Sechzig; „The Strategists“. Markus Tretter

Interdisziplinär

Hatte sie zuvor in ihren Werken den fließenden Gedanken der Malerei ins Textile übertragen, so bringt sie nun in ihren Bildern die stofflichen Texturen auf die Leinwand. Mit der Zeit seien auch die Formate gewachsen. Die Bilder wirken lebendig und greifbar, erscheinen teils realistisch, auch wenn die Farben ins Expressive abdriften und auf organische Weise ineinander übergehen.

Thoermer spielt mit realen Situationen, die sie mit fantastischen Elementen verknüpft. Die Hand, mit der sich ein Junge am Boot festhält, ist viel zu kräftig. Stiefel oder Flaschen sind überdimensional groß. Die Gesichter sind oft abstrakt und mit Lichtreflexionen auf den Figuren verweist Thoermer auf deren Träume und innere Zustände. Mit der durchscheinenden leuchtenden Haut und den fließenden Formen haben Thoermers Menschengestalten etwas Geisterhaftes an sich und lassen eine friedliche Stimmung anmuten, die jeden Moment ins Bedrohliche fallen kann, je länger der Blick auf den Bildern bleibt. „Oft ist es ein Moment des Innehaltens, der Moment, bevor etwas geschieht“, sagt Thoermer.

Einige Bilder beziehen sich auf gefundene Fotografien, Fotos aus Familienarchiven oder Fachliteratur. „Manche Bilder sind ein bisschen in ihrer Zeit verhaftet, aber ich finde es ist auch was Zeitloses dabei.“ Dennoch habe es nichts mit dem Abbilden des Dagewesenen zu tun, beschreibt Thoermer. „Es ist eigentlich ein kleines Fragment, was man entnimmt und dann schaut, welche Relevanz das heute hat.“

Das Fragmentarische der Erinnerung habe die Künstlerin ganz bewusst in ihre Malereien einbezogen und teils collagenartig verarbeitet. Auch wenn die Werke nun vom rechteckigen Format begrenzt sind, haben sie in der Wirkung auf den Betrachter keinen Anfang und kein Ende, sondern erzählen in perspektivischen Ausschnitten vom vorübergegangen Augenblick. Oft sind es die kleinen Details, die im Gedächtnis erhalten bleiben. „In zehn Jahren werde ich mich zurückerinnern, daran wie ich die Erinnerung neu zusammengesetzt habe.“