Wie John Cage 4 Minuten und 33 Sekunden

Die Künstlerin Alexandra Berlinger hat in der Kunsthalle FRO, Büropflanzen mit Lautsprechern versehen, in denen die Töne der Mitarbeitenden zu hören sind.
Die in Bregenz geborene Alexandra Berlinger studierte von 1992 bis 1998 an der Universität für angewandte Kunst Wien bei Bernhard Leitner. Ab dem Jahr 2000 nahm sie eine Assistenz an der Angewandten wahr und 2003 erhielt sie das Staatsstipendium für Bildende Kunst.
Jeder kann singen
Die in Wien lebende Künstlerin stellte in zahlreichen Gruppen- und Einzelschauen aus, in Vorarlberg bei Lisi Hämmerle in Bregenz. Die Ausstellung im ORF-Funkhaus, der Kunsthalle FRO, wie sich Künstler-Kurator Marbod Fritsch ausdrückt, zeigt im zentralen Rundgang gelbe Thonetstühle auf denen überdimensionierte, schwarze Blumentöpfe stehen, in denen die Hauptakteure der Installation vor sich hin existieren: Büropflanzen aus den Büros der ORF-Leute. An die Pflanzen angeschlossen sind Lautsprecherboxen, die je nach Konstitution der Pflanzen leise Töne von ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern, von sich geben. Egal ob musikalisch korrekt oder nicht, nach dem Motto: Jeder kann singen. Es gibt nur falsche Ohren. Auffallend sind die demonstrativ verlegten Kabel, die der Besucher, nachdem er den Check bei den Empfangsdamen geschafft hat, auf einem Kanapee begutachten kann.
Passive Beobachter
Der Erläuterungstext betrachtet die Pflanzen unter dem Aspekt einer geknechteten Kreatur im toten Winkel der ORF-Kameras und sonstiger Aufmerksamkeit schenkender gesellschaftlicher Schichten: „Die Installation hebt die unscheinbaren Büropflanzen aus ihrer Rolle als passive Beobachter im Funkhaus heraus und macht sie zu Hauptakteurinnen, die anonyme Klänge, Botschaften und Stimmungen der Mitarbeiter übertragen“.
Der Mensch ist in der Installation der Pflanze gewichen. Humanismus kippt in Transhumanismus. Die bestimmende Philosophie der Gegenwart ist dieser Transhumanismus, der zum Ziel hat, dass die Menschheit ihre eigene Evolution selbst in die Hand nimmt und den Einzelnen biologisch-technisch so weit verbessert, bis der Mensch kein Mensch mehr ist und auf einer angeblich höheren Stufe weiterlebt. Dazu kommen die Unsterblichkeitsfantasien der Silicon-Giganten, die, so beim Finale des Philosophicum Lech groß verkündet, das Lebensalter bei angenehmer Jugendlichkeit auf 300 bis 500 Jahre verlängern könne. Selbstoptimierung ohne metaphysische Heimstätte. Ersetzt nun die Pflanze den Menschen völlig? Können Pilze ohnedies nicht besser überleben?
Die Nicht-Präsenz der Installation gemahnt vom Effekt her an John Cages „4 Minuten 33 Sekunden“, bei dem ein Pianist die Bühne betritt, das Klavier aufklappt und genau diese Zeit nichts spielt. Das Stück ist das Publikum mit seinen Räusperern und seiner physischen Gegenwart. Die Installation „unerhört“ von Alexandra Berlinger hat einen ähnlichen Effekt: Die Töne sind so leise und die Anordnung so wenig spektakulär, dass das Reden und Gehen, das Rufen und Eilen der ORF-Leute am Gang das eigentliche Kunstwerk zu sein scheinen.
Von Wolfgang Ölz