Kultur

Faszinierende Begegnung von Musik und Tanz

20.05.2024 • 15:45 Uhr
The People United, Bregenzer Frühling
Herausragende Live-Musik-Tanz-Veranstaltung. Thomas Schermer

Der Pianist Igor Levit und der Choreograph Richard Siegal mit seinem Ballet of Difference verwirklichen ein außergewöhnliches und bewegendes Projekt.

Von Katharina von Glasenapp

Was für ein außergewöhnlicher, bewegender, dichter Abend in der Verschmelzung von Livemusik und Tanz! Zum Abschluss des diesjährigen Bregenzer Frühlings kam jenes Stück zur Uraufführung, das dem gesamten sechsteiligen Festival den Namen gegeben hatte: „The people united will never be defeated“ – ein Variationszyklus über die gleichnamige chilenische Revolutionshymne als Thema, komponiert von Frederic Rzewski, interpretiert von Igor Levit und getanzt vom Ballet of Difference am Schauspiel Köln in der Choreographie seines Leiters Richard Siegal.

Frederic Rzewski, der 2021 verstorbene Amerikaner mit polnischen Wurzeln, komponierte das Stück 1975 auf Anregung einer Pianistin, die Beethovens Diabelli-Variationen auf dem Programm hatte. Nach Levits fesselnder Darbietung der „Passacaglia on DSCH“ von Ronald Stevenson im März 2022 hatte Judith Reichart, die Leiterin des Bregenzer Kulturservices, den Pianisten mit dem Choreographen Richard Siegal zusammengebracht. Dessen Truppe hatte im vergangenen Jahr auch mit „Xerrox Vol.2“ beim Bregenzer Frühling begeistert.

The People United, Bregenzer Frühling
Beeindruckende Tanzdarbietungen. Thomas Schermer

So trafen jetzt eine allzeit gültige Hymne an die Menschlichkeit, ein politisch aktiver und künstlerisch herausragender Pianist und ein international besetztes Tanzensemble in faszinierender Weise aufeinander. Ein solch schwieriges Stück live zur Basis von nicht weniger kompliziertem modernen Tanz zu machen, ist alles andere als selbstverständlich. Experiment gelungen, zur Begeisterung von Fans der Klavier- wie der Tanzkunst und von Igor Levit im Besonderen, denn es gibt wenige, die sich dieser Herausforderung stellen.

Die Szene: Ein schwarzer Konzertflügel am Rand eines zunächst grau ausgeleuchteten Rundhorizonts mit geschlitzten Stoffbahnen, Tänzerinnen und Tänzer kauern am Bühnenrand, plaudern locker. Zum schlichten, nur wenige Takte langen Thema steht einer der Tänzer auf, stellt sich mit kraftvoller Gestik vor, bringt das Geschehen in Fluss.

The People United, Bregenzer Frühling
Uraufführung zum Abschluss des Bregenzer Frühling 2024. Thomas Schermer

So wie sich die Klaviervariationen in Farbe, Charakter, Tempo, Dynamik und Stil ändern, erschafft auch Richard Siegal höchst unterschiedliche Formen: Zwischen tänzerischer Leichtigkeit aus dem klassischen Ballett heraus, athletischen Sprüngen, sich aufschaukelnder Gruppenenergie und Zartheit ist das vielschichtige Bewegungsrepertoire gespannt. Auch die Gewänder der gebürtigen Österreicherin Flora Miranda changieren zwischen weit schwingendem Hosenrock, engem Trikot, geschlitztem Kleid und Hoodie. Weinrote Farben dominieren, ein Tänzer, der der jüngere Bruder des Pianisten sein könnte (in hellblau gemustertem Oberteil und kurzer Hose) rückt immer mehr ins Zentrum.

The People United, Bregenzer Frühling
Der Pianist und die Tänzerinnen und Tänzer. Thomas Schermer

Die Tanzkompagnie und Levit haben nur wenige Male miteinander geprobt. Bei der Einstudierung war die CD-Aufnahme die Basis. Immer wieder einmal werden Instrument und Interpret miteinbezogen, schart sich die Gruppe um den Flügel, lauscht eine Tänzerin den Klängen. Igor Levit aber bleibt total fokussiert auf die so facettenreichen und spieltechnisch herausfordernden Variationen, die auch mal jazzig, avantgardistisch aufgebrochen oder als aberwitzige Fuge erscheinen.

Einstündige Lebensreise

In der vorletzten Variation sieht der Komponist eine Improvisation vor, hier greift Levit die rhythmischen Impulse des Tanzes mit Klatschen auf die Oberschenkel auf, lässt sich hineinfallen in den Fluss von Klang und Bewegung, bevor zuletzt das Thema wiederholt wird und die einstündige Lebensreise zu Ende geht.

Die elf Tänzerinnen und Tänzer, die vorher eher in kleineren Gruppen aufgetreten waren, vereinen sich zu zwei Gruppen um einen „Anführer“ – die Botschaft des Liedes wurde überzeugend in Bewegung übersetzt. Viel Applaus und Jubel.