Kultur

Vom Melodrama zum Opernthriller

04.07.2024 • 20:58 Uhr
Einblicke in die Proben von Der Freischütz auf der Seebühne und der Oper im Festspielhaus Tancredi, jeweils anschließend folgt ein Pressegespräch mit Künstler:innen und Festspielvertreter:innen.
Einblicke in die Proben auf der Seebühne. Philipp Steurer (6)

Die Bregenzer Festspiele präsentierten beim ersten Pressetag Einblicke in die Proben zu „Der Freischütz“ und „Tancredi“.

Die letzten Änderungen werden noch gemacht und zwei Mal täglich finden die “Freischütz”-Proben auf der Seebühne statt, bevor in knapp zwei Wochen die 78. Bregenzer Festspiele eröffnen und am 17. Juli Carl Maria von Webers Oper erstmals auf der Bregenzer Seebühne aufgeführt wird. Während die Opernproduktionen oft jahrelang vorbereitet werden, werden die Spiele auf dem See oft jahrzehntelang im Vorhinein geplant, beschreibt Elisabeth Sobotka beim gestrigen Pressetag. „Wir merken, dass das, was wir uns ausgedacht haben, keine Papiertiger sind, sondern zu funktionieren beginnt“, freut sich die Intendantin. Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl habe den See nach seiner Inszenierung von “Rigoletto” (2019/21) erneut „lebendig“ und „zu einem magischen Ort“ gemacht.

Einblicke in die Proben von Der Freischütz auf der Seebühne und der Oper im Festspielhaus Tancredi, jeweils anschließend folgt ein Pressegespräch mit Künstler:innen und Festspielvertreter:innen.

Spiel im Wasser

Die Geschichte selbst spielt auf einem halb im Wasser versunkenen unheimlichen Setting mit kahlen Bäumen, heulenden Wölfen und knirschendem Eis: Eine Bühne, auf der die Operndarsteller an Land, im Wasser oder auch mal auf einer als Baum verkleideten Hebebühne in der Luft performen, wie die ersten Einblicke in die Proben zeigen. Diese Herausforderung, auch ständig der Witterung ausgesetzt zu sein, sei den Hauptdarstellern von Anfang an klar gewesen, „aber dass man dann tatsächlich auf einer Opernbühne schwimmt, das ist dann doch was Neues“, beschreibt Mauro Peter, der seine Rolle des Max „wahnsinnig spannend“ finde: „Der Typ ist einfach wirklich verloren. Der will zu Agathe und irgendwie dazugehören zu diesem Dorf und schafft es nicht, weil er auch den Anforderungen der Gesellschaft nicht standhält. Das lässt ihn wirklich verzweifeln und dann macht er diesen Pakt mit dem Teufel.”

Einblicke in die Proben von Der Freischütz auf der Seebühne und der Oper im Festspielhaus Tancredi, jeweils anschließend folgt ein Pressegespräch mit Künstler:innen und Festspielvertreter:innen.
Elisabeth Sobotka (Mitte) im Gespräch mit Mélissa Petit, Anna Goryachova, Yi-chen Lin und Jan Philipp Gloger. (v.l.)

Auch die Situation der Agathe sei „extrem zugespitzt“, beschreibt Nikola Hillebrand ihre Figur, die mit einer angedichteten Schwangerschaft einem erhöhten Stresslevel ausgesetzt sei. Dass Frauenfiguren in Opern von Männern so geschrieben und komponiert worden seien, „wie sich Männer Frauen erdacht und erträumt haben“, und „niemals aus einer weiblichen Perspektive heraus“, sei eine generelle Herausforderung der Opern, sagt Stölzl, weshalb er versucht habe, die Figuren zu modernisieren. Zudem sei „Der Freischütz“ eine sehr „fordernde Produktion“, in der Gesang, die vielen Sprechszenen und die Orchestermusik mit den Geräuschen und der Klangatmosphäre feingliedrig aufeinander abgestimmt werden müssen. „Also es ist wirklich einmal alles.“

Einblicke in die Proben von Der Freischütz auf der Seebühne und der Oper im Festspielhaus Tancredi, jeweils anschließend folgt ein Pressegespräch mit Künstler:innen und Festspielvertreter:innen.
Einblicke in die Proben der Oper im Festspielhaus “Tancredi”.

Ein Meilenstein

„Beim ‘Freischütz’ ist es eben so, dass man diese Schauergeschichte mit ihren melodramatischen Elementen – mit der Schuld, der Liebe, die da erzählt wird und auch mit dem lieben Gott, der zum Schluss alles zum Guten wendet – in all ihren Details und auch ihrem naiven Moritaten-Gestus und diesem dunklen Märchenhaften auch umarmen und wollen muss“, beschreibt Stölzl seine Liebe zu dieser Oper. Über drei Jahre hinweg sei er bereits im Austausch mit Enrique Mazzola, der heuer zum dritten Mal die musikalische Leitung auf der Seebühne übernimmt. Für den Dirigenten sei es neben den italienischen Opern sehr wichtig, auch Opern wie „Freischütz“ zu haben, die er als „Meilenstein im Repertoire des 19. Jahrhunderts“ sehe. „Ich bin etwas überrascht, dass ‘Der Freischütz’ in der musikwissenschaftlichen Welt nicht so bekannt ist.“

Einblicke in die Proben von Der Freischütz auf der Seebühne und der Oper im Festspielhaus Tancredi, jeweils anschließend folgt ein Pressegespräch mit Künstler:innen und Festspielvertreter:innen.

Heimliche Liebe. Zur Gruselgeschichte vom “Freischütz” wird als Oper im Festspielhaus am 18. Juli „Tancredi“ von Gioachino Rossini aufgeführt. Die musikalische Leitung übernimmt Yi-Chen Lin, die auch Dirigentin von Giacomo Puccinis „Madame Butterfly“ war. Elisabeth Sobotka sei glücklich über den „werktreuen Zugang“ der sowohl szenisch als auch musikalisch verfolgt werde. Die Mezzosopranistin Anna Goryachova spielt in dem Opernthriller einen Mann, der als ein anderer Mann verkleidet aus einer Verbannung zurückkehrt in eine Welt, wo sich zwei Kreuzrittergruppen gegen eine dritte verbünden, erklärt Regisseur Jan Philipp Gloger die Handlung. In seiner Interpretation hat er diese Kreuzrittergruppen als Familienclans in eine sich drehende hyperrealistische Villa eines Drogenbarons gesetzt, die sich zwischen Büro, Trainingsraum und Küche nicht gegen einen dritten Feind, sondern gegen die Polizei verbünden.

Einblicke in die Proben von Der Freischütz auf der Seebühne und der Oper im Festspielhaus Tancredi, jeweils anschließend folgt ein Pressegespräch mit Künstler:innen und Festspielvertreter:innen.

Im Gegensatz zum Bühnenbild mit den „200 bis 300 Requisiten“ sei die Musik „eigentlich überhaupt nicht realistisch“ und sorge für abstrakte und überhöhte Momente. In dieser „Welt der Männer“ sei die Liebe von Tancredi und Amenaide nicht vorgesehen, „auch weil es bei uns zwei Frauen sind“, erklärt Gloger. „Es geht hier nicht darum, ein hippes queeres Thema auf die Bühne zu bringen“, sondern ihm sei es wichtig gewesen, die Möglichkeit zu haben, „dass sich eine Frau als Mann verkleidet, um in einer männlich dominierten Welt eine heimliche Liebe zu leben.“


Bregenzer Festspiele vom 17. Juli bis 18. August: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber als Oper auf dem See (Premiere: 17. Juli, 21.15 Uhr), „Tancredi“ von Gioachino Rossini als Oper im Festspielhaus (Premiere: 18. Juli, 19.30 Uhr)