Sieben Tentakel in der Apokalypse

Am Donnerstag präsentierten die Festspiele die Uraufführung von „Hold Your Breath“, einer „opera in promenade“ von David Pountney, Éna Brennan und Hugo Canoilas.
Das Auftragswerk der Bregenzer Festspiele im Rahmen des Opernateliers (in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Bregenz) ist nicht nur ein Gesamtkunstwerk der Musikerin und Komponistin Éna Brennan, des Librettisten und Regisseurs David Pountney und des bildenden Künstlers Hugo Canoilas: „Hold your breath“, das jetzt nach dreijähriger Vorbereitungszeit uraufgeführt wurde, hat als „Opera in promenade“ auch einen (mir bisher nicht bekannten) neuen Gattungsbegriff, es erfüllt die Werkstattbühne in all ihrer Größe und es bezieht das Publikum in hohem Maße mit ein.

Sogwirkung
Im Zusammenwirken von Livemusik – acht Musikerinnen und Musiker des Symphonieorchesters Vorarlberg auf beweglichen Podien und fünf Stimmen unter der Gesamtleitung der irischen Dirigentin Karen Ni Bhroin – und elektronischer Musik entsteht eine suggestive Sogwirkung. Stilistisch ist Brennans Musik zwischen mittelalterlichen Bordunklängen, feinstofflicher Vokalmusik, barocken Fanfaren, starken Ausbrüchen und einem dunklen Grundrauschen angesiedelt.
Die Singstimmen bewegen sich ebenfalls zwischen Sprechen, Rufen, Sprechgesang, klassischem Gesang und aufgeregt zeitgenössischer Stimmgebung. Shira Patchornik, die seit 2019 mit den Bregenzer Festspielen verbunden ist, als sie die Tatjana in der Opernstudioproduktion von „Eugen Onegin“ verkörperte, beeindruckt wieder mit ihrer klaren Stimme und Bühnenpräsenz. Ihr zur Seite ist die Mezzosopranistin Idunnu Münch mit ihrer warmen, eindringlichen Stimme, die beiden Frauen verschmelzen am Schluss im unendlich wiederholten Gesang und geleiten das Publikum hinaus in das neue Foyer der Werkstattbühne.

Die Sopranistin Maria Hegele bringt sich mit schlanker klarer Stimme ein, Tenor Sam Furness und Bariton Scott Hendricks pendeln zwischen Sprechen und Singen und bilden ein tolles Ensemble mit den Sängerinnen. Zwei Tänzerinnen und ein Tänzer (Hellen Boyko Romane Ruggiero und Petr Nedbal) sind mit ihrer faszinierenden Beweglichkeit in das Ganze eingebunden, die Choreographin Caroline Finn führt Singende und Tanzende zu neuen Erfahrungen und bindet auch den Teil des Publikums mit ein, der sich fürs „Wandern“ entschieden hat.

Omnipräsenter Oktopus
Eine „Handlung“ erschließt sich nicht, ist auch von David Pountney nicht angedacht, Szenen sind durch die facettenreichen Kostüme (gefilzt, gebatikt, flatternd oder figurnah) von Canoilas unterschieden. Doch in krampfartig zuckenden und stürzenden Bewegungen, teils greller, teils fahler ungesunder Beleuchtung und dem omnipräsenten Oktopus (der schon einen Arm eingebüßt hat), entsteht eine bedrohliche, apokalyptische Stimmung.
Wenn das Publikum in Gruppen eingeteilt wird, Befehle empfängt, durch den Raum geschickt wird, gemeinsam tanzt, könnte man an Zwänge und Bevormundung denken, die Anweisungen der „Speaker“ sind streng und werden durch die Projektionen der Übertitel noch verstärkt. Die „Hauptrolle“ spielt der in fantastischen Farben bemalte Oktopus von Hugo Canoilas, der, zuerst aufgeblasen und an der Decke hängend, dann abgesenkt und seiner Krakenarme beraubt, ein vieldeutiges Eigenleben entwickelt.
An zwei gegenüberliegenden Seitenwänden wird auch der Film abgespielt, in dem das 86 Meter lange Gemälde „Phantasmagoria“ von Canoilas abfotografiert wurde und als Band von sepiafarbenen Gebilden und Saugnäpfen erscheint. In der Konzentration auf das Geschehen in der Mitte geht dieser Film allerdings etwas unter. In gut 60 Minuten wird man hineingezogen in diese einerseits bedrohliche, vergiftete, traumatisierte, letztlich aber auch friedvolle Atmosphäre. Das mit Spannung erwartete Ergebnis des Opernateliers ist bewegend, vieldeutig, rätselhaft und wurde vom Publikum begeistert aufgenommen. Maßgeschneidert auf die Werkstattbühne wird „Hold your breath“ allerdings kaum einen anderen Aufführungsort finden, was schade ist. Die zweite Aufführung ist heute Abend und ausverkauft.
Von Katharina von Glasenapp