Über dem Wasser schwebt der Geist

Das Stück „Fremde Seelen“ der Group 50:50 feierte im Landestheater Vorarlberg Premiere.
„Die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht.“ Diese Zeilen aus dem Buch Genesis werden in „Fremde Seelen“ nicht zitiert, aber anhand der Lebensgeschichte des Pfarrers Franz Hoang mit physischen und metaphorischen Spiegeln fragend reflektiert
Wirtschaftswunder ohne Gott
Der Selbstmord des Seelsorgers ist Dreh- und Angelpunkt des dokumentarischen Musikschauspiels. Carol Schuler verkörpert darin die suchende Autorin Eva-Maria Bertschy, deren Mutter und zahlreiche andere Figuren der Geschichte. Dabei entfaltet sie mit atemberaubendem Wechsel Tiefgang und Humor. Ihr zur Seite steht der Musiker Kojack Kossakamvwe, der auf der Bühne und im echten Leben mit Bertschy zusammen ist. Zusätzlich verbindet das Paar die gemeinsame Arbeit im Kollektiv Group 50:50, aus deren Wirken das Stück hervorging.
Dieses führt die Zuschauer auf die Suche nach dem Grund. Anfangs erinnerte Schuler noch an eine klagende Städterin, die sich am engen Horizont der Schweizer Landbevölkerung stieß. Aber dieser Eindruck schwindet rasch. Denn während das Dort erst noch als statische Projektion im Spiegel erscheint, wird es bald zum Objekt einer lebendigen Reflexion über Wirtschaftswunder und Glaubensschwund. Wenn die Handlung in den Kongo und nach Vietnam führt, werden diese Vorzeichen umgedreht.
Denn während immer weniger Schweizer Priester werden, nehmen Gläubige aus dem globalen Süden ihren Platz am Altar ein. So auch Hoang, der als Christ 1975 vor den siegreichen Kommunisten aus Vietnam floh.
Übersinnliches Menschenwerk
Während er den Glauben an einen guten Gott im Herzen trug, begreift sich der Kongolese Kossakamvwe im Austausch mit seinen Ahnen. Doch obwohl diese Bezüge für das Stück zentral sind, wird es nie einseitig exotisch. Vielmehr verweist es auf die Erfahrung der Fremdheit, vor der in einer Welt transzendentaler Obdachlosigkeit niemand gefeilt ist. Gerade darin liegt eine universale Qualität verborgen. So muss man weder Kongolese noch Christ sein, um von Kossakamvwes musikalischer Kraft beseelt zu werden. Wenn er zum Gitarrenspiel ansetzt, wird noch der letzte Atheist ahnen, dass menschliches Schaffen übersinnliches in sich birgt.
Dieser Gedanke setzt sich fort, wenn die Mitglieder des ehemaligen Spielbodenchors singend den Saal betreten. Ohne ins Jenseits zu schielen, erinnern sie mit ihren Liedern an die Hoffnung der Leidgeplagten. Angeleitet durch Heidi Caviezel entfalteten sie eine Kraft, bei der man sich fragt, wann im Land zuletzt so schön auf Französisch gesungen wurde. Schuler lernte eigens für das Stück Alphorn zu spielen, was bei ihrer Professionalität gar nicht aufgefallen ist.
„Fremde Seelen“ wäre fast ins Wasser gefallen. Denn laut Intendantin Gräve ging nur wenige Tage vor der Premiere am Mittwoch ein Spiegel kaputt. Dass dieser wieder sicher in die Fugen fand, ist dem raschen Handeln der Bühnentechniker zu verdanken.
Mythische Kraft entfaltet sich
Während im Stück von der Schweiz als Landschaft ohne Geheimnis die Rede ist, gewinnt das Bühnenbild zunehmend mythische Kraft. Man rätselt, ob in der Welt unter dem Wasser ein Gott am Walten ist, oder bloß der Tod lauert. Dabei weckt das Schauspiel mit viel Humor und überraschend rockigen Songs den Wunsch, ein gerechtes Leben zu führen – auch für die Toten, denen es auf Erden nicht vergönnt war.
Fremde Seelen im Landestheater Vorarlberg: 18. Jänner, 19.30 Uhr, 6. Juni, 19.30 Uhr, 10. Juni, 19.30 Uhr.