Das Totschweigen nach dem Massenmord

Heute Abend feiert Elfriede Jelineks Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“ Premiere im Vorarlberger Landestheater.
Wenige Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 24. März 1945, begaben sich NS-Funktionäre und Kollaborateure in die burgenländische Gemeinde Rechnitz, um mit Gräfin Margit von Batthyány in ihrem Schloss zu feiern. Ein Abend, der als Massaker von Rechnitz in die Geschichte einging. Denn kurz vor Mitternacht ließ Franz Podezin, NSDAP-Ortsgruppenleiter von Rechnitz, 15 Männer bewaffnen, die in den ersten Stunden des Palmsonntag mindestens 180 jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn ermordeten. Die Haupttäter wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Und obwohl die Existenz der Gräber von der siegreichen Roten Armee bestätigt wurde, bleibt deren genauer Standort bis heute ungeklärt. Fest steht dagegen, dass die Gräfin über Vorarlberg in die Schweiz floh.

Gedenken und Totschweigen
Der 1991 gegründete Verein Re.F.U.G.I.U.S. widmet sich dem Gedenken an die Opfer und der Suche nach ihren Gräbern. Einen Beitrag dazu leistete der Vorarlberger Regisseur Eduard Erne. Denn für dessen 1994 erschienene Dokumentation „Totschweigen“ begab sich der Filmemacher auf Recherche in die Gemeinde. Während er das bleierne Schweigen festhielt, inspirierte der Film Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek zu ihrem 2008 erschienenen Werk „Rechnitz (Der Würgeengel)“.
Prädestinierte Regisseurin
Bereits an zahlreichen Bühnen aufgeführt, feiert das Stück heute Abend Premiere am Landestheater in Bregenz. Doch da das Skript förmlich als Textfläche besteht, beinhaltet es keine dramaturgischen Vorgaben. Theatermacher stellt das vor große Schwierigkeiten, die zur Folge haben, dass alle bisherigen Interpretationen grundverschieden waren.
Mit Bérénice Hebenstreit konnte eine Regisseurin gewonnen werden, die mit diesen Herausforderungen wohl vertraut ist. Denn für ihre Inszenierung von „Urfaust/Faust In and out“ von Johann Wolfgang Goethe und Elfriede Jelinek wurde sie 2020 mit dem Nestroy-Preis in der Kategorie „Bester Nachwuchs“ ausgezeichnet.

Tiere als stumme Zeugen
Beim Matinee-Gespräch letzten Sonntag gewährte Hebenstreit einen Vorblick auf das, was die Besuchenden erwartet. Getreu der Vorlage werden weder Täter noch Opfer auf der Bühne erscheinen. Denn das Stück begreift sich nicht als Nacherzählung historischer Wahrheiten. Vielmehr legt es den Finger in die Wunde, die wir kollektives Gedächtnis nennen. Animalische Wesen als stumme Zeugen und Boten, die stets verkündende, aber dabei nicht sagen, sollen das verdeutlichen.

Obwohl Dramaturgin Jennifer Weiss und die prädestinierte Regisseurin mit dem Text und der Geschichte des Massakers wohl vertraut sind, weckten sie beim Gespräch den Eindruck, als würden sie noch immer mit dem Stoff ringen. Aber für alle, die bereit sind, mit sich selbst und der Welt zu ringen, wird es ein vielversprechender Abend.