Kultur

Wenn Tanz zu Gebet wird

28.07.2025 • 13:13 Uhr
Borrowed Light - Tero Saarinen
Hirvi

„Borrowed Light“ lässt Klang und Bewegung zu spiritueller Einheit werden.

Lilli Paasikivi, die Intendantin der Bregenzer Festspiele, integriert auch Tanzproduktionen aus ihrer finnischen Heimat in ihre erste Saison. Am Mittwoch entwickelte die Tero Saarinen Company gemeinsam mit der Boston Camerata in „Borrowed Light“ eine ungeheure Sogkraft, am kommenden Mittwoch und Donnerstag folgt mit „Study for Life“ eine Hommage an die 2023 verstorbene finnische Komponistin Kaija Saariaho.

Geister der Verstorbenen

Tero Saarinen, der 60-jährige Tänzer und Choreograph, hat sich in „Borrowed Light“ von der Geschichte der Shaker inspirieren lassen, einer religiösen Sekte, die sich im 18. Jahrhundert von den britischen Quäkern abgespalten und sich 1774 mit ihrem spirituellen Oberhaupt Mother Ann Lee nach Amerika aufgemacht hatte. Mit ekstatischem Schütteln und Tanzen nahmen die Shaker in den Gottesdiensten Kontakt mit den Geistern der Verstorbenen auf, später entwickelten sich daraus streng choreographierte Gesten und Melodien. Die Shaker strebten in ihrem Leben nach Harmonie und Einfachheit, sind bekannt für ihre Design- und Holzarbeiten und waren in ihrem Streben nach Gleichberechtigung sehr fortschrittlich.

Borrowed Light - Tero Saarinen
Koehler

Saarinen, der nach seiner Zeit als aktiver Tänzer auch die asiatischen Bewegungsformen wie den japanischen Butoh-Tanz studiert und in seine Choreographien eingearbeitet hat, entwickelte „Borrowed Light“ bereits 2004. Er hatte eine Aufnahme der Boston Camerata mit den Hymnen und Melodien der Shaker gehört und Kontakt mit ihrem musikalischen Leiter Joel Cohen aufgenommen. Der reine, natürliche Klang des achtstimmigen a-cappella-Ensembles und die Melodien, die schlicht, solistisch oder einstimmig in der Gruppe, selten mehrstimmig vorgetragen werden, verbinden sich auf fast schon magische Art mit den ruhigen, fließenden, intensiven Bewegungen der acht Tänzerinnen und Tänzer.

Schall der Schritte

Es entsteht eine ritualisierte Bewegungssprache mit weit ausgreifenden Armen und langen Schritten, mit rhythmischem Klatschen und Stampfen, das einen eigenen Puls erzeugt. Indem Mikrofone den Schall der Schritte verstärken, erlebt man noch mehr, wie sich die Tänzerinnen und Tänzer in den Sog der Bewegung hineinfallen lassen. Man spürt die spirituelle Kraft, auch die Gemeinschaft in Arbeitsliedern oder in fröhlichen folkloristischen Melodien. Soli, Duos, gemeinsames Schwingen in der Gruppe, auch mal ein Kreistanz beider Ensembles zusammen formen eine Ausdruckssprache von großer Tiefe und Ruhe, auch die Stille, der unbegleitete Tanz sind wichtig.

Borrowed Light - Tero Saarinen
koehler

Die Tanzkompanie und der Chor verschmelzen miteinander, die Sängerinnen und Sänger sind in Bewegung, stehen in Beziehung zu den Tanzenden. Viel Atmosphärisches entsteht durch das Spiel von Licht und Schatten, den weißen Tanzboden und die schwarzen Podiumsstufen, mit denen Mikki Kunttu als Bühnen- und Lichtdesigner den Raum der Werkstattbühne bespielt. Die Kostüme von Erika Turunen wirken zugleich schwer und leicht, unten den schwarzen weiten Röcken blitzt weiße Spitze hervor, die weiten schwingenden Mäntel der Tänzer werden von breiten Gürteln gehalten. Über 70 Minuten entsteht eine ungeheure Dichte, die vom Publikum mit langanhaltendem Beifall gewürdigt wurde.

Katharina von Glasenapp