Kultur

Als ein Beatles-Konzert zur Mondlandung wurde

24.08.2025 • 10:00 Uhr
Als ein Beatles-Konzert zur Mondlandung wurde
Ein Konzert, das die Welt veränderte: Die Beatles im Shea Stadium. AP

Vor 60 Jahren traten die Beatles in der ausverkauften New Yorker Baseballarena Shea Stadium vor 55.600 Zuschauern auf. Ein Rückblick auf das erste große Rockkonzert.

Shea Stadium, 15. August 1965. „Meine Damen und Herren. Von ihrem Land geehrt, dekoriert von ihrer Königin und geliebt hier in Amerika. Hier sind sie: The Beatles!“ So kündigt der amerikanische TV-Moderator Ed Sullivan um 21.16 Uhr in der Baseballarena Shea Stadium in New York den musikalisch größten Act an, den die Welt je gesehen hatte: die Beatles. Eine Band, die aus der heruntergekommenen nordenglischen Stadt Liverpool auszog, die Welt zu erobern. Offiziell sind 55.600 Zuschauer im ausverkauften Stadion. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, 70.000, 80.000, ja gar 90.000 Zuschauer seien im Shea Stadium. Als John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr den Rasen betreten und sich zu ihrer kleinen Bühne in einem Eck des Spielfelds aufmachen, bricht ein ohrenbetäubender Jubelorkan aus. Auf den Rängen sind auch Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones. Beide sind überwältigt von der Massenhysterie – und eifersüchtig darauf, dass es die Beatles und nicht sie waren, die für so einen Meilenstein sorgten. Jagger schüchtert die aufgekratzte Stimmung aber auch ein, er nimmt die Atmosphäre als furchteinflößend wahr. Messungen ergeben, dass der Geräuschpegel während der gesamten Show deutlich über der Schmerzschwelle bei über 130 Dezibel liegt. Lennon hebt beim Gang zur Bühne die Hand und winkt den Zuschauern zu. McCartney hüpft, ruft den anderen drei zu: „Kommt schon, Jungs!“ Während die vier blutjungen Engländer, keiner von ihnen ist älter als 24, hurtigen Schrittes zur Bühne laufen, lassen sie immer wieder ungläubig ihren Blick schweifen. Der Anblick der vollen Zuschauerränge fasziniert, schockiert, elektrisiert sie. So was hatten sie noch nie gesehen. Keiner hatte das. 2000 Sicherheitskräfte sind im Stadion, um die Zuschauer im Zaum zu halten. Die Angst der Behörden ist groß, dass die Fans den Rasen und die Bühne stürmen, darum wurde auch der Plan verworfen, dass die Beatles mit einem Helikopter ins Stadion eingeflogen werden.
Keine vier Jahre war es her, da lungerten die Beatles in Spelunken in Hamburg rum, spielten auf der Reeperbahn für ein paar Mark die ganze Nacht in kleinen Klubs vor ein paar Dutzend besoffenen Seefahrern, Ganoven, Halbstarken, Teenagern und Huren. Und auch nur kaum mehr als drei Jahre war es her, als praktisch jede wichtige englische Plattenfirma die Beatles abgelehnt hatte, die Begründung von Decca Records war: „Gitarrengruppen sind dabei, aus der Mode zu kommen.“ Und weiter: „Die Beatles haben im Showbusiness keine Zukunft.“

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Die Beatles am 15. August 1965 im Shea Stadium auf dem Weg zur Bühne. AP

Einfluss
Jetzt standen die aus einfachsten Verhältnissen stammenden vier autodidaktischen Musiker auf der größten Rockbühne aller Zeiten. Während die Rolling Stones noch in kleinen Theatern und kaum größeren Sporthallen vor ein paar tausend Zuschauer auftraten, machten die Beatles den Schritt in die großen Sportarenen Amerikas. Der Gang in die Stadien war unausweichlich, weil die Hysterie um die Pilzköpfe alle Dimensionen sprengte. Der Einfluss der Beatles ging dabei weit über die Musik und die Jugendkultur, die sie erst begründeten, hinaus.
Im Februar 1964 veränderten die Beatles bei ihrer ersten Amerika-Reise die Vereinigten Staaten. Sie holten das Land aus der Schockstarre, in der sich die USA seit der Ermordung von Präsident John F. Kennedy vor zweieinhalb Monaten befunden hatte. Davor kämpften die Beatles fast ein Jahr lang darum, in den USA überhaupt wahrgenommen zu werden. Während sie in Europa seit dem Frühjahr 1963 die Charts dominierten, floppten zunächst all ihre Platten in Amerika. Dass es die Beatles dann schließlich auch in Amerika schafften, war wohl Schicksal. Denn als sie am 31. Oktober 1963 von ihrer Schweden-Tournee nach London zurückkehrten und am Flughafen Heathrow von 1500 kreischenden Fans empfangen wurden, war just Amerikas wohl einflussreichster TV-Moderator Ed Sullivan auf der Durchreise und erlebte die Raserei um die sogenannten Fab Four, die Beatlemania, hautnah mit. Sullivan hatte bereits von den Beatles gehört. Nun war ihm klar, dass diese Band die Magie hatte, selbst Elvis Presley zu übertrumpfen. Nur elf Tage später besiegelte Sullivan mit Beatles-Manager Brian Epstein per Handschlag: Die Beatles würden in seiner Show auftreten.

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Ein Luftbild vom Shea Stadium am Abend des Konzerts. AP

73 Millionen Zuschauer
Als die Beatles am 7. Februar am Kennedy-Airport ankamen, warteten 5000 frenetische Fans auf sie. Doch das war erst der Anfang. Zwei Tage später sahen 73 Millionen Menschen den Auftritt der Beatles in der Ed Sullivan Show, ein Moment, der sich unauslöschlich in die amerikanische Geschichte einbrannte und weit mehr war als nur ein Meilenstein der Popkultur. Nachdem ihr letzter Akkord verklungen war, die Beatles hatten beschlossen, ihren neuesten Millionenseller „I Want To Hold Your Hand“ erst zum Schluss zu spielen, waren die Beatles die größten Stars der Welt. Und Ed Sullivan im Showbusiness-Olymp angekommen. Schier sprachlos machte das TV-Produktionsteam, dass sie für die Sendung, die in einem Theater am Broadway live produziert wurde, 50.000 Kartenanfragen bekommen hatten. Damit hätten sie das Theater 70 Mal füllen können. Selbst Leonard Bernstein ging leer aus. Zwei Tage nach ihrem monumentalen TV-Auftritt fuhren die Beatles mit dem Zug nach Washington, begleitet wurden sie von Presseleuten, die den Auftrag hatten, die Beatles fertigzumachen. Doch die Journalisten erlagen dem Charme der vier schlagfertigen Engländer.
Die Beatles waren keine schnieken, braven, angepassten, einfältigen Starlets, wie man sie bis dahin in den Staaten gewohnt war, gerade Elvis, der auf der Bühne den Rebellen mimte, präsentierte sich abseits der Bühne als brav und fast ein wenig gar sehr bemüht, allen zu gefallen. Die Beatles dagegen rauchten, fluchten, alberten herum und hatten ganz offensichtlich auch was im Köpfchen. Und dann war da noch ihre Pilzkopffrisur, die zum kulturellen Phänomen und Symbol einer ganzen Generation wurde: Anfangs wurden Schüler mit einer Beatle-Frisur noch von der Schule geworfen. Doch der neue Zeitgeist war nicht aufzuhalten. Das Image der Beatles war vielschichtig. Sie trugen zwar Anzüge, doch ihre lauten Gitarren, ihr aufmüpfiges „Yeah!“, ihre vieldeutigen Texte, die Energie, die sie versprühten, und eben diese langen Haare waren ein einziger Affront gegen das Establishment. Als im Herbst 1963 der englische Handelsminister Ted Heath über das Englisch der Beatles witzelte, er könne sie nicht verstehen, da die Beatles ihren Liverpooler Scouser-Dialekt nicht ablegten, antwortete Lennon darauf bei einer Pressekonferenz im piekfeinen Akzent: „Ich kann gar nicht verstehen, warum Teddy das gesagt hat.“ Und fügte dann mit einem bitterbösen Blick an: „Ich werde Ted nicht wählen.“

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Die Fab Four brachten ihre Fans im Shea Stadium zur Ekstase: Der Geräuschpegel war ohrenbetäubend, die Atmosphäre elektrisierend. AP

Schlagfertig
Am 4. November 1963 traten die Beatles bei der Royal Variety Show auf, einer Unterhaltungsshow zu Ehren der Königin. Zum Abschluss ihres Auftritts spielten sie ihre lauteste und sexuell anzüglichste Nummer: „Twist and Shout“. Als Lennon den Song ansagte, befand er keck: „Diejenigen auf den billigen Plätzen klatschen bitte mit. Und die anderen, ihr klimpert einfach mit euren Juwelen“, und wagte es dabei sogar, der Royal Box einen Blick zuzuwerfen.
Die englischen Medien hatten ihre Artikel über den Verrat der Beatles an der neuen Jugendkultur, als den sie deren Auftritt in einer so verstaubten Show deuteten, schon vorbereitet, doch nach Lennons Zitat konnten sie ihre Artikel einstampfen: Der Mann hatte alle in den Sack gesteckt. Er rebellierte gegen die Obrigkeit, blieb dabei aber so witzig, dass selbst die Königinmutter etwas ratlos lächelte. McCartney wiederum schickte die Band vor, um die Herzen der Schwiegermütter zu gewinnen, für die trällerten sie leichter verdauliche Songs. Dass Paul der viel größere Frauenheld als John war, war der eigentliche Witz an der Sache.
Ob es den Siegeszug der Beatles aufgehalten hätte, wenn die Journalisten am 11. Februar 1964 ihre gemeinsame Fahrt mit den Beatles nach Washington mit reißerischen Storys ausgeschlachtet hätten, war ohnehin fraglich. Das erkannten wohl auch die Reporter und sprangen auf den fahrenden Zug der Beatlemania auf. John, Paul, George und Ringo waren vier Burschen, wie man sie in jeder Bar am Tresen hätte treffen können, nur, dass diese Band gerade dabei war, die Musikwelt auf den Kopf zu stellen. Und das nicht wie seinerzeit üblich als Interpreten von Songs, die andere geschrieben hatten, sondern mit eigenen Songs, die Lennon und McCartney scheinbar aus dem Ärmel schüttelten.

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Noch mehr kreischende Fans: Im Shea Stadium herrschte Ausnahmezustand. AP

Massenhysterie
In Washington angekommen, spielten die Beatles noch am selben Tag vor 8092 Zuschauern ihr erstes Livekonzert auf amerikanischem Boden. Die aufgeheizte Atmosphäre zog alle in den Bann. Diese Band hatte die Kraft, die Welt aus den Angeln zu heben. Große Konzerte hatte zwar schon Elvis Jahre davor gegeben, aber was hier geschah, war anders. Es war, als hätte sich die Büchse der Pandora geöffnet. Einen Tag später, als die Beatles zurück in New York waren und in der Carnegie Hall auftraten, blockierten vor dem legendären Konzerthaus 20.000 Fans die Straßen und legten New York lahm. Es war unvorstellbar. Anschließend flogen die Pilzköpfe nach Miami, wo sie am 16. Februar ein zweites Mal in der Ed Sullivan Show auftreten sollten. 7000 Fans empfingen die Beatles in Florida am Flughafen, sie zerbrachen Fenster, um ihren Idolen näher zu kommen, schwerbewaffnete Cops auf Motorrädern fuhren bei Rot über die Kreuzung, damit die Fab Four den Fans entkommen konnten, die sie in ihren Autos verfolgten. Die ganze Welt schien verrückt zu spielen.
In Miami trafen die Beatles den aufstrebenden jungen Boxer Cassius Clay, der wenige Tage später als Herausforderer gegen Sonny Liston um den Weltmeistertitel kämpfte. Clay hatte damals schon die große Klappe, die ihn später als Muhammad Ali so unvergleichbar machte und sagte bei dem Treffen mit den Beatles im Boxring: „Ihr seid gar nicht so blöd, wie ihr ausseht“. Lennons flapsiger Konter saß: „Du aber schon.“ Den zweiten Auftritt der Beatles in der Ed Sullivan Show sahen 70 Millionen Menschen. Alles in Amerika schien sich um die Beatles zu drehen. Am 4. April 1964 belegten die Beatles die ersten fünf Plätze der US-Singlecharts, 60 Prozent der Singles, die in Amerika im März und April 1964 verkauft wurden, stammten von den Beatles. Zurück in Europa drehten die Pilzköpfe den Film „A Hard Days Night“, der weltweit ein Kassenschlager wurde; und das nicht nur wegen der Songs, der Film gilt bis heute als der beste Popmusik-Film aller Zeiten. Das gleichnamige Album zum Film war ein musikalisches Meisterwerk, wofür allein schon der Schlussakkord von „You Can’t Do That“ stand, den Harrison so verzögert spielte, dass seine Gitarre wie ein Klavier klang. Die Kritiker überschlugen sich vor Lob, die Begeisterung der Fans war zur Massenhysterie ausgewachsen. Und das auf der ganzen Welt. Im Juni 1964 flogen die Beatles nach Australien, wo sie bei ihrem Tourstopp in Adelaide von 350.000 Menschen empfangen wurden. Ihre Popularität begann surreale Züge anzunehmen, auch in Sydney waren 150.000 Menschen auf der Straße. Australien stand buchstäblich still während ihrer Tournee, in den australischen Charts belegte das Quartett die ersten sechs Plätze. Zu Hause in England führten die Beatles 51 Wochen lang in Folge die Albumcharts an. Und in den Bestsellerlisten lag Lennon mit seinem Gedichtband „In seiner eigenen Schreibe“ auf Rang eins.
Am 10. Juli 1964 kehrten die Beatles in ihre Heimatstadt Liverpool zurück, wo ihr Kinofilm A Hard Days Night Nordengland-Premiere feierte: Dieses Mal waren 200.000 Menschen auf den Straßen. Wenige Wochen später brachen die Pilzköpfe ein zweites Mal nach Amerika auf und gaben in 32 Tagen 33 Konzerte in 24 Städten. Sie traten im Hollywood Bowl auf, der 17.500 Zuschauer fasste und als natürliche Freilichtbühne nach dem Vorbild der griechischen Antike errichtet war. In Vancouver spielten sie vor über 20.000 Zuschauern. Vor ihrem Konzert in Jacksonville weigerten sich die Beatles, vor einem rassengetrennten Publikum aufzutreten. Die Schwarzen hätten in zugewiesenen Bereichen sitzen sollen. Als die Beatles öffentlich machten, dass sie unter diesen Voraussetzungen nicht auftreten würden, gab die Stadtverwaltung nach und hob die Rassentrennung auf: Es war die erste Großveranstaltung im Südosten Amerikas, bei der keine Rassentrennung mehr galt. In Cleveland musste die Show unterbrochen werden, da Fans die Bühne stürmten. Wo die Beatles auch hinkamen: Alle verfielen in eine Raserei. Lennon wähnte sich im Auge eines Hurrikans. Auch wenn alle um sie herum ausflippten, in der Mitte war es seltsamerweise ruhiger.

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Lennon macht sich an der Orgel einen Spaß und bringt Harrison zum Lachen. AP

Das Konzert
Shea Stadium, 15. August 1965, 21.16 Uhr. 50 Sekunden dauert es nach der Ankündigung von Sullivan, bis die Beatles die Bühne erreichen, sie tragen beigefarbene Jacken, die im Militär-Stil geschnitten sind und ihnen einen ganz neuen Look verpassen. 14 Kameras filmen das Konzert, die Jahrhundert-Show soll mit dem ersten Konzertfilm der Geschichte festgehalten werden.
Auf der Bühne angekommen schütteln die drei Gitarristen Lennon, Harrison und McCartney noch Sullivans Hand, danach verlässt der TV-Superstar die Bühne, im Wissen, dass er hier nicht mehr gefragt ist. Jetzt stimmen die Fab Four ihre Instrumente, hinten am Schlagzeug schlottern Ringo die Knie. Ein nervöser Lennon ruft den offiziell 55.600 Zuschauern immer wieder „Hello“, also „Hallo“ zu, sein kongenialer Partner McCartney stimmt in das hektische Begrüßen der Menge ein. Lennon adjustiert sein Mikro, und wie es seine Art ist, bricht er mit einem Witz aus seiner Angespanntheit aus, sagt: „Hello Paul“, als ob er ihn gerade zufällig getroffen hätte, was Paul mit einem ebenso verdutzten „Hello John“ erwidert. Dann beginnt, scheinbar, die übliche Auftrittsroutine der Beatles: Sie eröffnen ihre Show wie immer mit einer Kurzversion von „Twist and Shout“. Erst vor dem dritten Song machen die Beatles die erste Anmoderation, und wie oft in solchen Augenblicken schicken sie Paul vor. Viel fällt aber auch ihm nicht ein. Aus musikalischer Sicht ist das Konzert kein Höhepunkt. Die 100-Watt-Verstärkeranlage kommt gegen das Gekreische der Fans nicht an, es hilft auch nichts, dass man auch die Lautsprecher des Stadions angeschlossen hat. Die Beatles können sich selbst nicht hören, Ringo am Schlagzeug orientiert sich am Hinternwackeln seiner Freunde.

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Die Beatles wirken im riesigen Baseballstadion wie Miniaturfiguren. AP

Atemberaubend
Das Spektakuläre an der Show ist nicht die Musik, der Sound wird von der Hysterie verschluckt, das Spektakuläre ist, dass sich die Zuschauer wie die Beatles als ein Teil eines größeren Ganzen fühlen. Die Beatles wirken auf der kleinen Bühne geradezu winzig in dem großen Stadion, die Zuschauer im Oberrang können die vier Musiker nur vage erkennen. Doch die Energie im Shea Stadium ist atemberaubend. Junge Mädchen fallen in Ohnmacht, weinen, schreien, staunen, bibbern, strahlen – dieses Konzert in Worte zu fassen ist so unmöglich wie den Geschmack der Freiheit zu erklären. Die Atmosphäre im Stadion wird immer noch chaotischer, weil niemand fassen kann, was hier gerade passiert. Bevor die Beatles den Walzer „Babys in Black“ spielen, schaffen es einige Fans auf die Rasenfläche, Lennon sagt: „Aaah, schaut mal da hin, schaut da hin“. Der 24-Jährige wird immer ausgelassener. Bei der nächsten Ansage wirft John den Kopf in den Nacken, reckt die Hände in die Höhe und gibt ein Kauderwelsch von sich, als ob er kurz davor wäre überzuschnappen, nur, um im nächsten Augenblick ruhig festzuhalten: „Jetzt ist George bereit“. Einen Song später sagt McCartney versehentlich Johns neuesten Hit „Help“ an, die Fab Four kämpfen sichtlich darum, in einer Struktur zu bleiben. Paul schafft es noch am besten, doch locker, nein, das ist auch er nicht. Dann steht der zwölfte und letzte Song an: I’m Down, eine schmissige Rocknummer, die zur adrenalingeschwängerten Stimmung passt. John überdreht, spielt die Orgel mit den Ellenbogen, bringt sich und George so sehr zum Lachen, dass sie kaum den Hintergrundgesang über die Lippen bringen. Paul kann nicht glauben, was die beiden da für einen Schabernack treiben, dreht eine Pirouette und bricht ebenfalls in Gelächter aus. Und Ringo versucht der Band zu folgen. Es sind Szenen, die ausdrücken, wie überwältigt die Beatles von dem Konzert, aber auch von ihrer eigenen Größe und Bedeutung sind. Ihr Auftritt im Shea Stadium ist wie eine Mondlandung.

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Im Laufe des Konzerts wird Lennon immer überdrehter. AP

Gipfel des Ruhms
Dann um 21.51 Uhr, nach einer für die Beatles typischen Länge von 33 Minuten, ist das Konzert vorbei. Jetzt folgt der kritischste Teil des Abends: Die Beatles müssen unversehrt raus aus dem Stadion. Direkt vor der Bühne wartet ein Auto auf sie, in das sie hastig einsteigen. Bei einem Stadiontor steigen sie in ein gepanzertes Auto um, das die vier Musiker in Sicherheit bringt. Starr beschrieb später, dass er im Shea Stadium das Gefühl hatte, dass die Leute nur kamen, um sie zu sehen – und auch Harrison war zwiegespalten: Er bemängelte die musikalische Qualität, die in dem Chaos so gelitten hatte, dass die Beatles die Lieder für den Konzertfilm teilweise nachvertonten; und doch war auch Georgie von den Eindrücken, die auf ihn wie Szenen eines Science-Fiction-Films wirkten, völlig überwältigt. Paul empfand die Menschenmenge atemberaubend, beinahe wie eine Traumsequenz, und Lennon befand, im Shea Stadium den Gipfel des Ruhms gesehen zu haben.
Keine vier Monate nach ihrem Auftritt im Shea Stadium veröffentlichten die Beatles ihr bahnbrechendes Studioalbum „Rubber Soul“. Sie verzichteten darauf, ihren Bandnamen auf dem Plattencover abzudrucken. Das brauchten sie auch nicht. Sie waren die berühmtesten Menschen der Welt. Nie war ihre Popularität greifbarer als bei ihrem Auftritt im Shea Stadium, mit dem sie die Tür zu einer anderen Dimension öffneten.