Die wilde Geschichte hinter der Verfilmung von “Schlafes Bruder”

Über die abenteuerlichen Hintergründe der Verfilmung von Robert Schneiders „Schlafes Bruder“, die vor 30 Jahren in Gaschurn Premiere feierte.
Die Geschichte hinter der Verfilmung von „Schlafes Bruder“ liest sich wie das Skript einer aberwitzigen Fernsehserie. Sie handelt von einem jungen Erfolgsautor (Robert Schneider), der immer näher Richtung Sonne fliegt, dem gerissenen Bürgermeister der Tourismusgemeinde Gaschurn (Heinrich Sandrell), begeisterten Filmemachern aus München, einer in allen Facetten beteiligten Dorfgemeinschaft und nicht zuletzt Musiker Hubert Achleitner (ehemals von Goisern).

Welterfolg nach Absagen
1992 landete Schneider mit seinem Roman „Schlafes Bruder“ einen kolossalen Erfolg. Das in 36 Sprachen übersetzte und auf Deutsch 41 Mal aufgelegte Buch wurde erst von 24 Verlagen abgelehnt. Doch Schneider hatte Glück. „Eher zufällig“, merkt er an, entschied sich der Reclam-Verlag in Leipzig, sein Werk zu veröffentlichen.

Die barock anmutende Erzählung handelt vom jungen Johannes Elias Alder. Ausgestoßen und fast schon übersinnlich musikalisch talentiert, wächst er Anfang 19. Jahrhundert in einem Vorarlberger Bergdorf auf. Es ist eindeutig von der Götzner Parzelle Meschach, der Heimat Schneiders, inspiriert. Überhaupt strahlen Parallelen zum Autor narzisstisch durch die Handlung – eine Kritik, die er angesichts seines einmaligen Erfolgs verkraften sollte. Einmalig auch, da seine folgenden Werke „Die Luftgängerin“ und „Die Unberührten“ ökonomisch floppten und einhellig von der Literaturkritik zerrissen wurden. Fragwürdig daher, dass ihn die Ausstellung „30 Jahre Schlafes Bruder“ in der Tanzlaube Gaschurn als einen der „sprachmächtigsten und kompromisslosesten Schriftsteller seiner Generation“ würdigt.

Enjott Schneider, Hauptkomponist des Films, las „Schlafes Bruder“ in Indien. Hell begeistert überzeugte er seinen 2020 verstorbenen Freund, Regisseur Joseph Vilsmaier, sich dem Stoff anzunehmen. Es folgten Gespräche mit dem Autor, der mit Jürgen Büscher das Drehbuch entwarf.

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Verkrüppeltes Bergdorf
„Sie suchten ein armseliges, verkrüppeltes Bergdorf“, berichtet Altbürgermeister Sandrell mit maximal verschmitztem Lachen. Er witterte Profit und Ruhm für seine Gemeinde, einem Dreh im Klostertal galt es zuvorzukommen.

Dafür sollte alles in Bewegung gesetzt werden. Schließlich musste für die millionenschwere Produktion ein ganzes Dorf im Garneratal errichtet werden. Dafür war es nicht nur notwendig, Kritiken aus Jägerschaft und Umweltschutz abzuwehren, auch Behörden mussten überzeugt werden. So wanderte ein Sparbuch mit 500.000 Schilling als Sicherheit in die Verwahrung der Bludenzer Bezirkshauptmannschaft. „Du bist ein Schlitzohr, du bekommst das Sparbuch erst wieder, wenn das Filmdorf abgerissen ist“, soll der von Sandrell hochgeschätzte Bezirkshauptmann Walser zu ihm gesagt haben.

Blankochecks und alte Städel
„Bürgermeister Sandrell hat eines Tages zu mir gesagt, Pfeifer Ernst, du musst ins Auto steigen und nach München zu den Bavaria Filmstudios fahren“, erinnert sich Pfeifer zurück. Vilsmaier überzeugte ihn dort mit seiner Handschlagqualität und gewann mit dem Montafoner eine rechte Hand vor Ort.

„Vilsmaier gab mir Blankoschecks. Dann haben wir im ganzen Tal Abbruchhäuser, Städel und Ställe zusammengekauft. Bis nach Bludenz wurden sämtliche Zimmereien zusammengetrommelt. Mit sieben haben wir dann gebaut“, erzählt Pfeifer. So wurde ein ganzes Dorf errichtet, ohne Fundamente und Wasserwaage.


„Wir hätten es gerne noch eine Weile stehen gelassen. Denn alleine bei den Dreharbeiten gab es rund 40.000 Bergfahrten bis zur Mittelstation“, gibt sich Sandrell wehmütig.
„Erst Mama und Papa fragen“
Während die Hauptrollen von erfahrenen Schauspielern wie André Eisermann (Elias), Vilsmairs 2009 verstorbenen Frau Dana Vávrová (Elsbeth) und Ben Becker (Peter) verkörpert wurden, nahmen zahlreiche Talbewohner als Laienschauspieler teil.

Conradin Blum erinnert sich noch gut, wie er zur Rolle des kindlichen Elias kam: „Meine Tante hat vom Casting erfahren und meiner Schwester gesagt, du willst doch Schauspielerin werden. Ich bin dann mitgefahren. Wir wussten nicht, was wir dort tun werden. Vilsmaier hat dann später gefragt, ob ich mitspielen mag. „Ich muss erst Mama und Papa fragen, außerdem weiß ich ja gar nicht, was das kostet“, war meine Antwort. Dann haben alle gelacht. Ich glaube, das war der Augenblick, in dem er sich sicher war, den nehmen wir.“ Nach Engagements bei der Knickerbocker-Bande und Hanekes „Das Schloß“ (1997) fand seine Zeit im Filmgeschäft ein Ende.

Die Hauptrolle des Elias sollte ursprünglich Hubert Achleitner einnehmen. Doch die Tour-Pläne des Musikers standen im Weg. Stattdessen beteiligte er sich am Soundtrack. Jetzt bietet ihm das Jubiläum eine Premiere der anderen Art, denn zur Feier reiste er erstmals in seinem Leben ins Montafon.

Säugling
Wer bei der Szene von Elias Geburt als Säugling zusehen war, ist unbekannt. Ernst Rainer Weissenbacher, Arzt und Freund des Regisseurs, war damals als Berater am Set. Da bereits wenige Monate alte Kinder nicht infrage kamen, musst ein Säugling her. „Mickrig“ sollte er sein. „Wir haben ihn von Bludenz hochgeflogen und mit einer Wärmelampe geschaut, dass ihm nichts passiert“, beschwichtigt der Arzt, bevor er kurz vor dem Ende seiner Rede rabiat fragt: „Wo ist der Krüppel?“
Kino unter freiem Himmel
Verständlich, dass sich da niemand meldet. Überwältigend dagegen der Andrang zur Premiere vor 30 Jahren „Mit 4000 Gästen wurde gerechnet, 7000 waren schlussendlich da“, berichtet Manuel Bitschnau, Geschäftsführer von Montafon Tourismus. Am Samstag, dem 20. September, wird er um 20 Uhr erneut auf dem Kirchplatz Gaschurn unter freiem Himmel vorgeführt.