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„Ärzte werden permanent überwacht“

05.10.2021 • 19:58 Uhr
Kinderärztin Nicole Häle ist derzeit einzige Kinder-Kassenärztin in Feldkirch. Eine zweite Vertragsarztstelle ist seit mehr als einem Jahr nicht besetzt.
Kinderärztin Nicole Häle ist derzeit einzige Kinder-Kassenärztin in Feldkirch. Eine zweite Vertragsarztstelle ist seit mehr als einem Jahr nicht besetzt.

Fehlendes Vertrauen Mitgrund für schwierige Nachbesetzung von Vertragsarztstellen.


Gemeinschaftspraxen, Teilzeitstellen oder die viel zitierten Primärversorgungseinheiten (PVE): In den letzten Jahren wurden vielfältige Arbeitsmodelle geschaffen, um den – vor allem im Kassenbereich – grassierenden Ärztemangel in den Griff zu bekommen. Angenommen werden diese Modelle aufgrund er teilweise großen bürokratischen Hürden jedoch kaum bis gar nicht. Derzeit sind von den 340 Kassenvertragsstellen noch 325 besetzt, aber die Nachbesetzung der Stellen wird zusehends schwieriger. In Feldkirch beispielsweise kann eine von zwei Kinderarzt-Kassenstelle seit über einem Jahr nicht besetzt werden. Die einzige Fachärztin auf diesem Gebiet wechselt mit Ende Jahr Wahlarztsystem. Mediziner, die die Situation kennen, gehen davon aus, dass es in 35.000-Einwohner-Stadt Feldkirch ab Anfang 2022 keinen Kinder-Kassenarzt mehr geben wird.
Der aks Gesundheit versucht nun in Feldkirch ein sogenanntes Kinderärztezentrum auf die Beine stellen, in Dornbirn hat sich ein derartiges Modell bereits etabliert.

Die Vizepräsidenten der Ärztekammer Hermann Blaßnig und Burkhard Walla (v.l.)
Die Vizepräsidenten der Ärztekammer Hermann Blaßnig und Burkhard Walla (v.l.)

Offensichtlich geht die Krankenkasse davon aus, dass grundsätzlich Missbrauch betrieben wird, was bei den Ärzt:ien klarerweise Missmut erzeugt.

Burkhard Walla, Ärztekammer

Große Hürden.

Doch die Hürden für neue Praxismodelle sind wie gesagt groß. Darauf machten gestern erneut die beiden Vizepräsidenten der Ärztekammer, Hermann Blaßnig und Burkhard Walla aufmerksam. Aufwendige Bürokratie und enge rechtlichen Bedingungen sind laut Walla auch der Grund, warum es in Vorarlberg nach wie vor keine Primärversorgungszentren (PVE) gibt. Ursprünglich war geplant, bis 2021 drei PVE im Land zu haben. Das Hauptproblem sei, dass es als Grundlage eine GesmBH zwischen den teilnehmenden Ärzten benötige. „Solange bei Freiwerden oder Nachbesetzung eines neuen Partners nicht die Ärzte ihr Team selbst aussuchen dürfen, oder wenn bei Ausscheiden eines der mindestens drei Partner die beiden anderen dessen Leistung ersetzen müssen, werden diese Modelle nicht angenommen“, befindet Walla.

Weniger Bürokratie

Ganz ähnlich verhält es sich bei einer Gemeinschaftspraxis von Kassenärzten. Im Gegensatz zur reinen Ordinationsgemeinschaft braucht es bei dieser Zusammenarbeit ebenso eine GesmbH oder eine OG, hier tragen die Ärzte füreinander die Haftung, im Extremfall auch für einen Fehler von Kollegen. „Solche Überlegungen sind meist schon beim ersten Gespräch mit dem Steuerberater zu Ende“, weiß Walla. Er fordert deshalb mehr Flexibilität, weniger Bürokratie und die Freiheit für die Ärzte, ihre Teams selbst zusammenzustellen. „Dann haben die neuen Gemeinschaftspraxen gute Chancen und die Patienten profitieren von mehreren Fachrichtungen an einem Standort.“
Als weiteren Grund für die immer schwieriger werdende Nachbesetzung von Kassenarztstellen führt Walla neben dem Wertewandel in Richtung Work-Life-Balance auch das „fehlende Vertrauen der Kassen in ihre Vertragsärzte“. Letzteres habe zu einer „gut organisierten und permanenten Überwachung der Ärzte geführt“. Dies erzeuge bei den Ärzten klarerweise Missmut, so Walla.

Allein in unserer Spitalsabteilung sind demnächst 100 Jahre chirurgische Erfahrung in Pension. Dieses Wissen kann nicht einfach ersetzt werden, denn es dauert nach dem Medizinstudium noch 10 bis 15 Jahre, bis ein Chirurg die notwendige fachliche Expertise erarbeitet hat.“

Hermann Blaßnig, Ärztekammer

Hauptsache günstig.

Als Beispiel nennt er die Medikamentenbewilligung. Ein fachlich qualifizierter Arzt müsse bei der Krankenkasse oft mehrfach ansuchen, um für seinen Patienten das notwendige Medikament bewilligt zu bekommen.
Noch drastischer sei die Situation bei modernen, teureren Medikamenten. So dürften etwa neuere Cholesterinsenker nicht vom Kassenarzt verschrieben werden. Stattdessen müsse der Patient wochenlang warten, bis er einen Termin in der Lipidambulanz bekommt und von dort bewilligt werde, was sein Arzt für ihn als wichtige und richtige Therapie benötige, schildert der Vizepräsident.
Verschärft werde der Medizinermangel durch einen Generationswechsel in der Ärzteschaft „Die anstehenden Pensionierungen von 113 niedergelassenen Ärzten und 83 Spitalsärzten in den nächsten fünf Jahren haben weitreichende Konsequenzen. „Allein in unserer Spitalsabteilung sind demnächst 100 Jahre chirurgische Erfahrung in Pension. Dieses Wissen kann nicht einfach ersetzt werden, denn es dauert nach dem Medizinstudium noch 10 bis 15 Jahre, bis ein Chirurg die notwendige fachliche Expertise erarbeitet hat“, führt Blaßnig aus. Der Mediziner-Mangel schreite in den nächsten Jahren fort und sollte deshalb in die gesamte Ärzte-Planung einbezogen werden meint Blaßnig. Er weist diesbezüglich darauf hin, dass in anderen Ländern Ärzte-Pensionisten mit 1,8 bis 2,4 Stellen nachbesetzt werden.