„Die meisten wissen nicht, dass das strafbar ist“

Der Paragraf 207a StGB, in dem es um die Darstellung von Kindesmissbrauch geht, wurde adaptiert. Viele der Tatverdächtigen sind selbst minderjährig. Für sie gibt es ein neues Programm der Bewährungshilfe.
Der Bursche ist 17 Jahre alt. Auf seinem Handy wurden 245 Bilder und 45 Videos mit kinderpornographischem Inhalt gefunden. Laut eigenen Aussagen habe er Pornos schon mit neun Jahren angeschaut. Auf Kinder würde er eigentlich nicht stehen, aber er habe etwas Neues sehen wollen, so seine Rechtfertigung. Der Jugendliche ist einer von 20 – alle männlich –, die derzeit nach Paragraf 207a StGB vom Verein Neustart in Bregenz im Rahmen der Bewährungshilfe betreut werden.
Der 17-Jährige ist ein Extremfall, sagt der Sozialarbeiter und Neustart-Leiter Johannes Pircher-Sanou. Allerdings nicht, was das Alter betrifft. Rund die Hälfte aller Tatverdächtigen nach dem oben genannten Paragrafen sind selbst minderjährig, heißt es vom bundesweiten Verein Neustart. Diesen sei häufig nicht bewusst, dass sie gegen ein Gesetz verstoßen, und sie würden aus ganz anderen Motiven als pädophile Sexualstraftäter handeln. Im Vorjahr wurde der Paragraf 207a StGB adaptiert. Die Überschrift in der seit 1. Dezember 2023 geltenden Fassung lautet nun „Bildliches sexualbezogenes Kindesmissbrauchsmaterial und bildliche sexualbezogene Darstellungen minderjähriger Personen“.
Strafverschärfung
ch eine Strafverschärfung, die Pircher-Sanou nicht zuletzt auf den „Fall Teichtmeister“ zurückführt. Beim Schauspieler Florian Teichtmeister waren bekanntlich Zehntausende Dateien mit kinderpornografischem Material gefunden worden. Neben der Verschärfung bei den Strafen gab es aber auch eine laut Pircher-Sanou „recht gute“ Anpassung an die reale Situation.
Mittlerweile dürfen nämlich Personen ab 14 Jahren mit der Einwilligung der betreffenden minderjährigen Person, Nacktfotos von ihr herstellen und besitzen, erklärt der Neustart-Leiter. Früher war das strafbar. Nach wie vor strafbar ist die Weiterleitung. Auch kann eine minderjährige Person ein Nacktfoto von sich selbst an jemanden schicken, der oder die darf es dann allerdings nicht weiterleiten. Nach wie vor strafbar sind derartige Aufnahmen aber von unter 14-Jährigen. „Wenn sich ein junges Paar trennt und die Erlaubnis für den Besitz der Fotos oder Videos dann nicht mehr da ist, dann müssten sie gelöscht werden. Aber das ist schwer zu kontrollieren“, veranschaulicht Pircher-Sanou die Problematik dieser vermutlich nicht seltenen Situation.

Insgesamt hat sich in den vergangenen Jahren aber nicht nur die Zahl der nach dem Paragraf 207a StGB Tatverdächtigen drastisch erhöht, sondern auch die Zahl der Minderjährigen unter ihnen. Pircher-Sanou hat diesbezüglich Vorarlberger Datenmaterial: So gab es im Jahr 2012 insgesamt 31 einschlägig Tatverdächtige. Davon war nur einer unter 18 Jahren. Neun Jahre später, 2021, waren es insgesamt bereits 107 Tatverdächtige, davon elf Kinder (unter 14 Jahren), 43 Jugendliche (14 bis 18 Jahre) und 53 (junge) Erwachsene – also mehr Minderjährige als Volljährige.
Als Gründe für die Zunahme insgesamt sieht der Neustart-Leiter die steigende Nutzung von Social Media, aber auch eine steigende Aufklärungsquote im Bereich des Digitalen. Bei vielen Kindern und Jugendlichen ortet er zudem eine fehlende Medienkompetenz. Die aktuellsten Zahlen, die Pircher-Sanou vorliegen, stammen aus dem Jahr 2022. Denen zufolge gab es in Vorarlberg insgesamt 125 Tatverdächtige. Davon waren 16 Kinder, 40 Jugendliche und 69 Erwachsene – womit man über dem Österreichschnitt lag. Eine enorme Steigerung habe es in der Gruppe der 25- bis 40-Jährigen gegeben, die man sich derzeit aber noch nicht erklären könne, erzählt der Neustart-Leiter. Aus dem Jahr 2022 liegen ihm auch die Zahlen der Verurteilungen am Landesgericht Feldkirch vor: Sechs Jugendliche, zwölf junge Erwachsene (18 bis 21 Jahre) und 32 Erwachsene wurden damals verurteilt.

so viele Minderjährige zu den Tatverdächtigen gehören, wurde vom Verein Neustart das bundesweite Programm „sicher.net Paragraf 207a“ entwickelt. Damit gestartet wurde am 1. Jänner. Zielgruppe sind Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren – unter 14-Jährige sind nicht strafmündig –, aber auch junge Erwachsene, die nach Diversion oder Verurteilung in Zusammenhang mit dem Paragraf 207a StGB der Bewährungshilfe zugewiesen werden. „Wesentlich bei diesem Programm ist die Normverdeutlichung“, sagt Pircher-Sanou. Das heißt, den Klienten wird erklärt, wie der rechtliche Rahmen aussieht, wenn etwa ein Bild weitergeleitet wird. „Manchmal bekommen sie es auch von Unbekannten und wissen gar nicht, dass das ein Strafrechtsbestand ist“, so die Erfahrungen des Vorarlberger Neustart-Leiters.

Geschult werde im etwa halbjährigen Programm auch die „Pornografiekompetenz“. Dabei gehe es darum, Dinge kritisch zu hinterfragen, dass etwa das, was in Pornos dargestellt werde, nicht dem üblichen Sexualverhalten von Menschen entspreche, erklärt Pircher-Sanou. Bei einem weiteren Punkt bei „sicher.net § 207a“ gehe es darum, die Grenzen von anderen wahrzunehmen, um Respekt und Reflexion. „Es geht da auch darum zu erkennen, dass hinter dem Videomaterial Opfer sind, die das vielleicht nicht freiwillig gemacht haben, eine Opferempathie zu entwickeln“, erläutert der Sozialarbeiter.
Risikoeinschätzung
Im Rahmen des Programms erfolgt auch eine Risikoeinschätzung des Klienten. War das ein einmaliger Ausrutscher oder hat er sich schon vorher Bilder und Videos runtergeladen? Wie ist er zu diesem Material gekommen? Kann es sein, dass es sich da um einen Pädophilen handelt? Diese und ähnliche Fragen sollen laut Pircher-Sanou geklärt werden. „Die meisten bekommen allerdings die Fotos von jemandem und laden sie nicht aktiv herunter. Sie schicken sie weiter, weil sie einfach nicht wissen, dass das strafbar ist“, betont er.

Was die konkrete Arbeit mit den Betroffenen betrifft, werde man sich jeden Fall individuell anschauen, sagt der Neustart-Leiter. Es könne sein, dass man in Einzelsettings arbeite, aber auch in Gruppen. Noch wurde in Vorarlberg niemand dem neuen Programm zugewiesen, da es ja erst seit heuer möglich ist.
Grundsätzlich sieht Pircher-Sanou „sicher.net § 207a“ auch als Möglichkeit, damit es nicht zu einer Verurteilung kommt. „Die meisten denken sich einfach nichts dabei“, so seine Einschätzung. „Wir hoffen damit auf eine Entkriminalisierung“, sagt der Sozialarbeiter. Allerdings gehe es auch darum zu sensibilisieren, dass es sich um ein Fehlverhalten handelt. Daher werde man im Rahmen dieses Programms ganz intensiv mit den Klienten mit speziell geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten – damit es wirklich beim einmaligen Ausrutscher bleibt.