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Als die Adelsfamilie Batthyány nach Vorarlberg flüchtete

31.03.2025 • 07:30 Uhr
Als die Adelsfamilie Batthyány nach Vorarlberg flüchtete
Blick auf den Bereich Kreuzstadl in Rechnitz, wo nach den Überresten der ermordeten jüdischen Zwangsarbeiter gesucht wurde und dessen Ruine als Mahnmal dient. apa/Robert Jäger

Das Landestheater hat derzeit Elfriede Jelineks „Rechnitz (Der Würgeengel)“ auf dem Spielplan. Das Stück basiert auf einem ­historischen Ereignis. Spuren dazu führen auch nach Vorarlberg.

In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 findet auf Schloss Rechnitz im Burgenland ein Fest statt. Gastgeberin ist Gräfin Margit Batthyány, geborene Thyssen-Bornemisza, die mit Graf Ivan Batthyány verheiratet ist. Dieser ist ein Sohn des 2003 selig gesprochenen Fürsten Ladislaus Batthyány-Strattmann, der mit seiner Ehefrau 13 Kinder hatte.

In dieser Nacht werden insgesamt rund 200 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter von Teilnehmern des Fests ermordet. Über ein Dutzend Zwangsarbeiter müssen die Toten begraben – sie werden dann ebenfalls erschossen. Als Hauptverantwortliche für das Massaker gelten der örtliche Gestapoführer Franz Podezin und der Gutsverwalter Hans Joachim Oldenburg. Die beiden werden ebenso wie Margit und Ivan Batthyány in den darauffolgenden Wochen in Vorarlberg auftauchen.

Als die Adelsfamilie Batthyány nach Vorarlberg flüchtete
Der Historiker Werner Bundschuh. Klaus Hartinger

Die Batthyánys sind dem Vorarlberger Historiker Werner Bundschuh erstmals mit dem Dokumentarfilm „Totschweigen“, der das Rechnitz-Massaker zum Inhalt hat, untergekommen. Der Film von Margareta Heinrich und dem gebürtigen Bregenzer Eduard Erne stammt aus dem Jahr 1994. In seiner Schlinser Ortsgeschichte von 1995 erwähnt Bundschuh kurz, dass die Batthyánys nach Schlins geflüchtet seien. Dabei handelte es sich aber nicht um das Rechnitz-Paar. Wie aktuelle Forschungen des Historikers nun ergeben, lebten gleich fünf Geschwister – alles Kinder von Fürst Ladislaus Batthyány-Strattmann – mit Ehepartnern und Kindern zeitweise in Vorarl­berg: Ludovika/Luise, Josef, Blanka, Ladislaus und Ivan, der Ehemann von Margit.

Herbert Dünser aus Schnifis hat im April 2016 Fotos an Franz (Feri) Batthyány, einen Sohn von Ladislaus geschickt, der zuvor den Ort seiner Kindheit besucht hatte. Der erinnerte sich in seiner Antwort: „Wir waren drei Brüder als wir im Februar 1945 mit einem großen Pferdeschlitten in ein tief verschneites Schnifis kamen; die Bewohner, die uns kommen sahen waren einigermaßen erstaunt über diesen auffälligen Besuch, unsere Eltern, viel Gepäck – alle unsere Habe, was man mitnehmen konnte – unsere Kinderschwester und ein Hund obendrein.“ Sie dürften die ersten Batthyánys gewesen sein, die ins Land kamen. Sein jüngster Bruder Anton wurde dann am 1. Jänner 1946 im Schnifner Pfarrhof geboren, wie er schreibt.

Erstkommunion Jahrgang 1938
Ladislaus Batthyány (3.v.l.) bei der Erstkommunion des Jahrgangs 1938 in Schnifis. Privat

In Schlins 16 lebten laut Bundschuh später Ludovika/Luise mit Mann und Söhnen sowie Josef und seine Frau und auch die Schwester Blanka. Einige von ihnen sind noch später auch am Hirschgraben in Feldkirch gemeldet. Warum die Familien damals nach Vorarlberg kamen, erklärt sich der Historiker mit der im Osten heranrückenden Roten Armee und der hiesigen Nähe zur Schweiz. Nur wenige Tage nach dem Massenmord am Märzwochenende war die Rote Armee in Rechnitz. Auch Margit und Ivan flüchteten wenige Tage danach mit zahlreichen weiteren Personen, darunter Gutsverwalter Oldenburg, nach Vorarlberg, nach Düns.

Die “noblen Flüchtlinge”

Basierend auf einem Bericht der Dünser Dorfchronistin Annelies Gantner, die Gehörtes und Erlebtes („Oral History“) mit viel Aufwand zusammengetragen hat, hat die in Feldkirch lebende Ärztin Jutta Gnaiger-Rathmanner einen Artikel über die „Noblen Flüchtlinge 1945“ geschrieben. Er soll im Mai/Juni im InfoBlatt Düns erscheinen. Darin heißt es: „Ende März 1945 kam eine auffällige Menschengruppe aus Ungarn, bzw. aus dem Südburgenland – aus Rechnitz nach Düns und suchte Unterkunft.“ Darunter war auch eine „noble Frau“, Gräfin Margit Batthyány. Sie „war mit ihrem Geliebten, dem Gutsverwalter ihres Schlosses im Burgenland, und ein paar Personalkräften unterwegs. Ihr Ehemann gehörte auch zu dieser Fluchtgesellschaft. Er soll in Schnifis gewohnt haben und soll bald wieder aus Heimweh nach seinen Pferden zurück in seine Heimat gezogen sein“, schreibt Gnaiger-Rathmanner.

Ab und zu sei die Polizei aus Satteins im Auftrag von Wien in das Dorf gekommen und habe versucht, über diese Gäste etwas zu erfahren, heißt es im Beitrag. „Die Dorfbewohner hielten dicht, gaben vor, von nichts zu wissen.“ Nach einem halben Jahr, am 15. Oktober 1945, habe die Gesellschaft laut Bericht der Chronistin Düns in Richtung Schweiz verlassen. Bei den alten Dünsern seien „diese Menschen als ‚liebe Leute‘, freundlich und hilfsbereit, in Erinnerung geblieben“.

Frau Margit Batthyany ( Mitte) und Resie (ganz rechts) bei der Feldarbeit in Rechnitz
Margit Batthyany (Mitte) bei der Feldarbeit in Rechnitz. Privatsammlung Gantner A.

Im Jänner 1947 wird die Gräfin von der Kantonspolizei Buchs vernommen und gibt an, nach der Flucht 1945 einige Monate lang in Düns 32 gewohnt zu haben – wo auch Oldenburg wohnte. Ab November 1945 habe sie beim französischen Militärkommando in Feldkirch gearbeitet und in der Gilmstraße 4 gewohnt. Vom Massaker will sie nichts mitbekommen haben. Auch Oldenburg habe nichts damit zu tun.

Gestapoführer Podezin soll sich laut den Forschungen von Bundschuh ebenso in Vorarlberg aufgehalten haben und als Chauffeur der Gräfin tätig gewesen sein. Er soll Verbindungen nach Thüringen gehabt haben. Nach ihm und nach Oldenburg wurde per Haftbefehl gesucht. „Der Gendarmerie war klar, dass sie sich da herumtreiben, aber man lässt die Finger von der Gräfin“, so der Historiker.

Argentinien und Südafrika

Oldenburg dürfte dann Ende 1946 mit Hilfe der Franzosen verschwunden und in Argentinien untergekommen sein. Später soll er nach Deutschland zurückgekehrt sein. Podezin war seit zumindest 1947 in der russischen Zone in Deutschland, wo er 1948 wegen Spionage zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde. Nach einigen Jahren kam er frei, erpresste Anfang der 1960er Jahre Margit Batthyány und Oldenburg und setzte sich dann nach Südafrika ab, wo er bis zu seinem Tod lebte.

Schloss Rechnitz um 1930
Schloss Rechnitz, das heute nicht mehr existiert. Wikipedia/Unbekannt

Wann Margit Batthyány Vorarlberg wieder verlassen hat, ist nicht ganz klar. 1947 lebt sie auf jeden Fall in der Villa Favorita ihres Vaters in Lugano. Sie stirbt 1989. Für das Massaker, für das sie in einem Haftbefehl des Wiener Stadt- und Landesgerichtes als „Mitschuldige“ angeführt wird, wird sie nie zur Verantwortung gezogen. Einige der anderen Familienmitglieder sind Anfang der 1950er-Jahre noch in Vorarlberg. Sie werden teilweise eingebürgert. Spätestens mit dem Staatsvertrag 1955 dürften sie aber wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sein, vermutet Bundschuh.

Vieles rund um das Massaker von Rechnitz ist nach wie vor ungeklärt. Die Leichen der Ermordeten wurden bis heute nicht gefunden, bis auf jene der als Totengräber missbrauchten Zwangsarbeiter. Zeugen des einzigen Verfahrens in dieser Sache wurden ermordet, vermutliche Hauptverantwortliche nie verurteilt.