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Kein Platz beim Hausarzt: Versorgung in Vorarlberg am Limit

18.05.2025 • 09:00 Uhr
Kein Platz beim Hausarzt: Versorgung in Vorarlberg am Limit
Immer mehr Menschen in Vorarlberg haben Schwierigkeiten, einen Termin bei einem Kassenarzt zu bekommen. APA

Die kassenärztliche Versorgung steht unter Druck – besonders spürbar ist das in Feldkirch, wo viele Menschen keinen Hausarzt mehr finden. Die NEUE am Sonntag hat bei Ärztekammer und ÖGK nachgefragt – und die wichtigsten Fakten zusammengetragen.

Das heimische Gesundheitssystem gerät zunehmend ins Wanken. Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) erwartet für 2025 ein Defizit von rund 900 Millionen Euro. Gleichzeitig steigt der Versorgungsbedarf – durch Bevölkerungswachstum, medizinischen Fortschritt und gesellschaftlichen Wandel. Immer mehr Menschen suchen einen Kassenarzt und finden keinen.Vorallem in der Stadt Feldkirch scheint der Hut zu brennen, aber auch in abgelegenen Regionen wie dem Kleinwalsertal tut sich eine große Lücke auf.
In Vorarlberg gibt es derzeit 160 Kassenplanstellen für Allgemeinmedizin, sieben davon sind unbesetzt – drei allein im Kleinwalsertal. In der Stadt Feldkirch. Feldkirch wird von der ÖGK nur eine Stelle als vakant geführt. Doch ein Lokalaugenschein zeigt: Die Versorgung ist deutlich prekärer, als diese Zahl vermuten lässt.

Die von der ÖGK genannte nicht besetzte Kassenstelle, sie befindet sich in Tisis, ist nämlich seit über einem Jahr ausgeschrieben – bislang ohne Erfolg. Noch dazu wechselt im Juli ein Allgemeinmediziner in der Innenstadt ins Wahlarztsystem, auch hier brachte eine erste Ausschreibung kein Ergebnis. Ein anderer Hausarzt musste seine Ordination im Stadtteil Tosters aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend schließen. Zwar hat die ÖGK einige bestehende Kassenpraxen befristet erweitert – etwa in Feldkirch, Rankweil und Meiningen, doch die Lücken lassen sich damit kaum kompensieren.

Freundlichkeitsoffensive: Alexandra Rümmele-Waibel, Chrstioph Jenny
Alexandra Rümmele-Waibel, Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzte. NEUE

Aufnahmestopps

Ein Rundruf der NEUE am Sonntag bei mehreren Hausarztpraxen in der Stadt Feldkirch zeichnet ein klares Bild: Neue Patienten werden derzeit nicht mehr aufgenommen – und wenn, dann nur unter bestimmten Bedingungen. In nahezu allen Ordinationen haben, wenn überhaupt, nur noch Patienten eine Chance, die im selben Stadtteil wohnen. Ein Hausarzt beschränkt die Neuaufnahme sogar auf bestimmte Straßenzüge, ein anderer verwies telefonisch gleich auf eine Nachbargemeinde. Man sei voll, es gehe nicht anders, heißt es dort.
Etwas besser scheint die Lage im Facharztbereich zu sein: In Vorarlberg sind von 359 Kassen-Facharztstellen aktuell nur eineinhalb Stellen unbesetzt – eine in der Augenheilkunde, eine halbe in der Gynäkologie. Doch auch hier gilt: Formell besetzte Stellen bedeuten keine Versorgungsgarantie. In vielen Fachrichtungen berichten Patienten von monatelangen Wartezeiten. Die Zahl der Wahlärzte hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht, während die Zahl der Kassenverträge eher stagniert.

“Arbeiten am Limit “

Alexandra Rümmele-Waibel, Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzte, kennt die Situation und schlägt Alarm. „Die Vorarlberger Kassenärztinnen und -ärzte arbeiten derzeit am Limit. Teils sogar darüber hinaus“. Mitunter werde berichtet, dass ein einzelner Kassenarzt bis zu 200 Patienten am Tag versorgen müsse – begünstigt durch Urlaubszeiten, Krankheitsausfälle oder saisonale Belastungsspitzen. Zugleich verweist die Medizinerin auf den gesellschaftlichen Wandel: Immer weniger junge Ärzte wollen 100 Prozent arbeiten, der Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance werde auch in der Medizin deutlich spürbar.

Drei-Minuten-Medizin

Um Kassenstellen attraktiver zu machen, brauche es laut Rümmele-Waibel „flexiblere und auf individuelle Bedürfnisse angepasste Verträge“. Niemand sei glücklich mit einer „Drei-Minuten-Medizin“, doch diese sei vielerorts Realität, um den steigenden Patientenzustrom zu bewältigen und eine wirtschaftliche Führung der Praxis zu ermöglichen.
Aus Sicht der Ärztekammer brauche es deshalb mehr Kassenstellen, einen angepassten Leistungskatalog, mehr Freiheiten bei der Medikamentenabgabe, eine Reduktion der bürokratischen Hürden – insbesondere bei der Chefarztpflicht – sowie bessere Kinderbetreuung. Eine große Hürde sieht die Ärztekammer in der finanziellen Ausgangslage. Die ÖGK könne in den laufenden Honorarverhandlungen nicht einmal die Teuerung abgelten, sagt Rümmele-Waibel. „Das bedeutet einen Verlust des Realeinkommens.“ Das habe Folgen: „Früher war ein Kassenvertrag für die Ärzteschaft etwas Begehrtes, heute finden wir selbst für die viel zu wenigen ausgeschriebenen Stellen immer weniger Interessierte“, weiß die Kurienobfrau.

Das sagt die ÖGK

Die ÖGK sieht das System natürlich keineswegs am Kipppunkt, verweist aber auf strukturelle Hürden. Immer wieder könnten Stellen nicht besetzt werden, weil geeignete Ordinationsräumlichkeiten fehlten – etwa im Kleinwalsertal, wo gleich drei Kassen-Hausärzte fehlen.
Zusätzlich verweist die ÖGK auf neue Modelle wie Jobsharing, Gruppenpraxen, Primärversorgungseinheiten und ein Mutterschutzmodell für Kassenärztinnen. Was die wirtschaftliche Seite betrifft, heißt es vonseiten der ÖGK: „Ein Kassenarzt erzielt derzeit durchschnittlich ein Einkommen vor Steuern von mehr als 200.000 Euro.“ Man gehe deshalb davon aus, dass eine Kassenpraxis auch in Zukunft wirtschaftlich geführt werden könne und Vertragsärzten „einen guten Lebensstandard“ ermögliche, so die Einschätzung der ÖGK.

Julia Berchtold
Julia Berchtold, Gesundheitsreferentin der Stadt Feldkirch. ÖVP


Die Stadtpolitik in Feldkirch, wo nun viele Patienten sprichwörtlich auf der Straße stehen, weiß um die Problematik. „Wir sind eine der am stärksten wachsenden Städte Vorarlbergs – eine Entwicklung, die den Bedarf zusätzlich erhöht“, sagt Gesundheitsstadträtin Julia Berchtold. Die Stadt habe zwar keine direkte Zuständigkeit, unterstütze aber gezielt im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Im Fall der Ansiedlung einer Innenstadtpraxis stellte die Stadt beispielsweise ein zinsloses Darlehen zur Verfügung. Berchtold steht nach eigenen Angaben in regelmßigem Austausch mit ÖGK und Ärztekammer. Die Zusammenarbeit sei allerdings nicht immer einfach

Kein Platz beim Hausarzt: Versorgung in Vorarlberg am Limit
Patientenanwalt Alexander Wolf. hartinger

Patientenanwalt: “Wöchentliche Anfragen”

Patientenanwalt Alexander Wolf berichtet, dass ihn jede Woche mehrere Anfragen erreichen – von Menschen, die keinen Hausarzttermin bekommen oder nicht mehr aufgenommen werden. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, was ich den Leuten raten soll“, sagt Wolf. Das Problem sei längst bei den Sozialversicherungen deponiert worden – eine Lösung sei aber nicht in Sicht. Die Politik müsse endlich ehrlich sein und offen aussprechen, dass es ein ­Versorgungsproblem gebe. Immer mehr Betroffene würden sich zu Recht frage, warum sie Beiträge zahlen, wenn sie am Ende keine Versorgung bekommen.

Ärztebedarfsstudie

Wie ernst die Lage ist, zeigt eine gemeinsame Ärztebedarfsstudie von Ärztekammer, Land Vorarlberg und ÖGK. Demnach werden allein in Vorarlberg bis zum Jahr 2031 rund 135 zusätzliche Ärzte benötigt, nur um den derzeitigen Versorgungsstand aufrechtzuerhalten. Der größte Bedarf entfällt mit 71 Stellen auf den Spitalbereich, gefolgt von 37 Facharztpraxen und 27 Hausärzten.