Mattle-Kritik an Kassenfusion führt zu neuer Debatte
Dass Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) die Kassenfusion als Fehler bezeichnet und eine “Reform der Reform” gefordert hat, sorgt für Debatten. Der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse, Andreas Huss, lobte die “Einsicht” Mattles. In den anderen Ländern teilten die Kritik vor allem SPÖ-Vertreter, aber – zurückhaltender – auch Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP). Gesundheitsministerin Korinna Schumann (SPÖ) verwies auf eine geplante Evaluierung.
In der ZiB2 des ORF am Montagabend sagte Schumann, rückblickend müsse man sagen, dass das, was angekündigt wurde – nämlich die Patientenmilliarde – eine “Schmähpartie” gewesen sei. Zu einer konkreten Aussage, was nun zu tun sei, ließ sich die Ressortchefin nicht bewegen: Es gehe hier nicht um ihre Meinung, es gehe um einen Evaluierungsprozess der Sozialversicherungsreform, dieser sei im Regierungsprogramm vereinbart worden.
Schumann: Maßnahmen erst nach Evaluierung
“Wir werden uns anschauen anhand von Zahlen, Daten, Fakten: Wo sind denn Dinge, die nicht so gut laufen? Welche Handlungsschritte müssen wir denn setzen?” “Da geht es nicht um Einzelmeinungen, sondern da geht es darum, wir brauchen Fakten und Tatsachen, die am Tisch liegen. Und nach dem kann man dann entscheiden, welche Maßnahmen sind zu setzen.”
Generell sagte sie, sie glaube, man habe “ein sehr gutes Sozialversicherungssystem – mit allen Dingen, die man vielleicht noch verbessern und ändern kann”. Auch verwies sie auf das “gute Zusammenwirken auf sozialpartnerschaftlicher Ebene, gerade in der Sozialversicherung”.
ÖGK-Obmann Huss über Mattle erfreut
Huss ist als Vertreter der Arbeitnehmerseite seit Juli turnusgemäß wieder ÖGK-Obmann. “Gut, dass ÖVP-Landeshauptmann Mattle in der ORF-Pressestunde am Sonntag so deutlich angesprochen hat, dass die ÖGK-Reform und die mangelnde regionale Präsenz der ÖGK in den Bundesländern Fehler waren”, zeigte sich Huss erfreut. Die Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmervertreter würden aber noch mehr Fehler in der “missglückten” Reform finden, ließ er wissen.
Vor allem könnten die Versicherten nicht mehr selbst über ihre Beiträge entscheiden, sondern seien durch die Vertreter der Arbeitgeber “fremdbestimmt”. “Das war neben der gewollten Privatisierung der Gesundheitsversorgung das zweite Ziel der Kassenzusammenlegung.” Wenn jetzt “sinnvollerweise” über eine echte Reform der missglückten Kassenzusammenlegung nachgedacht werde, müssten drei Ziele im Vordergrund stehen, befand Huss.
Die ÖGK müsse etwa die finanziellen Mittel, die ihr durch die Kassenfusion entzogen wurden, wieder zurückbekommen. Zudem sei der Einfluss der Arbeitgeber, Privatspitäler oder Privatversicherungen wieder zu reduzieren. Auch müsse die ÖGK wieder regionaler werden.
ÖVP gegen “Rückkehr” zu alter Struktur
Eine Rückkehr zur alten Struktur wäre nicht zielführend, befand hingegen der Generalsekretär der Volkspartei, Nico Marchetti. Er verwies in einer Aussendung auf die jüngsten Beschlüsse in der Landeshauptleutekonferenz. “Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Wartezeiten für die Menschen auf Behandlungen, Arzttermine oder Operationen zu verkürzen.” Dafür brauche es eine bessere Patientenlenkung, mehr Telemedizin sowie Maßnahmen zur Bewältigung des Fachkräftemangels. “Die Rückkehr zu 21 Kassen erscheint uns in Hinblick auf den notwendigen Bürokratieabbau und die Bedeutung schlanker Strukturen als nicht zielführend.”, meinte Marchetti.
Auch die Grünen äußerten sich skeptisch. Deren Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner gibt Mattle laut eigenen Angaben zwar Recht, wenn es um den “türkis-blauen Marketingschmäh” Patientenmilliarde geht, eine Renaissance des Föderalismus wäre für die Versicherten im Land aber eine schlechte Nachricht, zeigte er sich überzeugt. NEOS-Gesundheitssprecher Johannes Gasser bekrittelte ebenfalls das Milliardenversprechen, sprach sich aber auch gegen eine Rückkehr zur alten Struktur aus.
Ärztekammer begrüßt “Reformsignal” Mattles
Die Ärztekammer begrüßte das “klare Reformsignal” Mattles: “Die Fusion war fachlich ungenügend vorbereitet und hat zentrale Versprechen nicht eingelöst”, konstatierte Kammerpräsident Johannes Steinhart. “Wir brauchen echte Strukturreformen und nicht kleinliche Sparmaßnahmen – wie etwa Beschränkungen bei MR- und CT-Untersuchungen – auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten.”
Peter McDonald, der Vorsitzende im Dachverband der Österreichischen Sozialversicherungen, zeigte sich im Gegensatz dazu über die Debatte wenig erfreut und sprach sich gegen einen “Retourgang mit Vollgas” aus: “Ich kann wenig damit anfangen, wenn wichtige – damals mit den Bundesländern gemeinsam ausgearbeitete – Reformen in der Sozialversicherung immer wieder von verschiedenen Seiten aus politischen Motiven angezweifelt und kritisiert werden.” Die Zusammenführung von 21 auf fünf Träger sei wichtig und richtig.
Kaiser sieht “Scherbenhaufen”
Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) wiederum begrüßt den Vorstoß seines Tiroler Amtskollegen auf APA-Anfrage als “notwendigen und richtigen Schritt” ausdrücklich. Die von der früheren ÖVP-FPÖ-Regierung angekündigte Reform habe sich als Seifenblase entpuppt, die geplatzt sei. Statt der angekündigten “Patientenmilliarde” müssten die Steuerzahler für den “Selbstvermarktungstrick” am Ende noch tiefer in die Tasche greifen. Nun müssten andere den “Scherbenhaufen” aufräumen.
Hacker gegen “Zurück an den Start”
Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) erinnerte in einer der APA übermittelten Stellungnahme ebenfalls daran, dass die Landeshauptleute bei ihrem letzten Treffen mit den Spitzen der Bundesregierung beschlossen haben, die Organisation des Gesundheitswesens als eines von mehreren zentralen Feldern grundlegend zu diskutieren. “Das wird in den nächsten Monaten ein wichtiges Thema sein und wir werden da neue Wege brauchen.”
“Ich habe immer gesagt, dass diese Reform keine Verbesserung gebracht hat”, betonte Hacker: “Es war ein teurer Marketinggag auf Kosten der Österreicherinnen und Österreicher. Zurück zum Start wäre aber der nächste Fehler. Wir müssen auf aktuelle Entwicklungen eingehen und schauen, wie wir die zahlreichen Zukunftsfragen im Gesundheitswesen lösen können. Daher ist diese späte Einsicht der ÖVP positiv zu bewerten.”
Laute Kritik von Doskozil, leisere von Stelzer
Auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) bekräftigte Mattles Kritik. Die unter dem früheren Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) betriebene Zusammenlegung der Kassen sei eine “reine Mogelpackung” gewesen, “mit der man dem Gesundheitssystem und auch der ÖGK immense zusätzliche Kosten aufgebürdet hat, ohne irgendeinen Mehrwert für die Patienten zu erreichen”. Eine “Reform der Reform” sei daher dringend geboten.
Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) gab sich in der Wortwahl zwar zurückhaltender, räumte aber ein: “Wenn man die Landsleute fragt, ob sich die Gesundheitsversorgung seit der ÖGK-Reform verbessert hat, würde wohl eine deutliche Mehrheit mit Nein darauf antworten.” Er mahnte dringend “Verbesserungen zum Wohle der Patientinnen und Patienten” ein. Das sei Aufgabe der ÖGK, müsse aber auch ein zentrales Projekt der Reformpartnerschaft sein, das dringend angegangen werden solle, so Stelzer.
Steiermark ortet Wildwuchs an Zuständigkeiten
Der steirische Gesundheitslandesrat Karlheinz Kornhäusl (ÖVP) betonte am Montag auf APA-Anfrage, “dass es Reformen braucht, sollte unstrittig sein”. Egal, wo jemand lebe, die Versorgung dürfe keinen Unterschied machen. Derzeit gebe es einen Wildwuchs an Zuständigkeiten und bei den Finanzierungsströmen und immer noch keinen bundesweiten, einheitlichen Honorarkatalog für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte.
Edtstadler und Mikl-Leitner hoffen auf vereinbarte Reformen
Für Salzburgs Landeshauptfrau Karoline Edtstadler (ÖVP) ist es “sinnvoller, die Zukunft zu gestalten, als in die Vergangenheit zu schauen”. Sie verweist auf die vereinbarte Reformpartnerschaft: “Hier werden sich der Bund und die Länder neben Bildung, Energie und Verwaltung auf die Gesundheit konzentrieren. Mir ist dabei wichtig, dass das Geld der Leistung folgt. Die Versorgung von Patienten, die aus anderen Bundesländern in Salzburger Spitälern behandelt werden, muss entsprechend abgegolten werden”, so Edtstadler.
Zurückhaltend gab man sich im Büro von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): “Ein zukunftsfittes Gesundheitssystem stellt die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt aller Überlegungen. Welcher Weg beschritten wird, um das Ziel einer effizienten und patientenzentrierten Gesundheitsreform zu erreichen, wird in den zuständigen Reformgruppen entschieden”, hieß es auf Anfrage.