Österreich

Sollte man alle pflegenden Angehörigen anstellen und bezahlen?

25.03.2023 • 12:18 Uhr
Margit Schranz pflegt ihren Sohn Roman
Margit Schranz pflegt ihren Sohn Roman Jürgen Fuchs

Im Burgenland stellt man pflegende Angehörige an. Hat das Modell Zukunft? Besuch bei einer Betroffenen.

Roman Schranz (38) liegt auf dem Bett, seine Beine zittern heftig. Margit Schranz (58) hält sie ruhig mit beiden Händen fest. Langsam entspannen sich die Muskeln ihres Sohnes wieder. Vor 14 Jahren hat ihn ein Auto auf seinem Motorrad übersehen, er war 23 Jahre alt. Seitdem ist Roman Schranz von der Brust abwärts spastisch gelähmt, seine linke Hand kann er nicht bewegen. Seine Mutter Margit pflegt ihn seit dem Unfall.

Jeden Tag hebt sie ihn um sieben Uhr aus dem Bett, zieht ihn an, wäscht ihn, macht Frühstück, Mittag- und Abendessen, richtet die Katheter her, trainiert mit ihm, fährt ab und zu mit ihm ins Einkaufszentrum.
Sie kümmert sich um Roman Schranz, so wie das etwa eine Million pflegende Angehörige in Österreich tun. Und doch unterscheidet sie sich: Margit Schranz ist seit mehr als drei Jahren beim Land Burgenland angestellt. Sie bekommt 1700 Euro netto im Monat, gibt dafür 80 Prozent des Pflegegeldes ab, das sind rund 820 Euro. Sie ist sozial- und pensionsversichert. Wenn sie krank ist oder Urlaub machen will, kommt eine Ersatzpflegekraft. “Das ist eine riesige Erleichterung”, sagt Schranz.

Arbeit “etwas wert”

Lange Zeit hat sie als Verkäuferin gearbeitet und nebenbei gepflegt, das ging nicht gut. “Wenn Roman mich gebraucht hat, hab ich alles stehen und liegen lassen müssen.” Würde es die Anstellung nicht geben, hätte Schranz nicht mehr gearbeitet und wäre bei ihrem Mann mitversichert geblieben. Jetzt ist sie abgesichert und ihre Arbeit auch “etwas wert”. “Früher hat die ‘Hausfrau’ die Pflege daneben mitgemacht, jetzt ist es ein Job”, sagt Manuela Blutmager, die operative Leitung der landeseigenen Pflegeservice Burgenland GmbH. 272 pflegende Angehörige sind dort angestellt. Ein Viertel pflegt seine Kinder, der Rest Senioren. Mehr als 80 Prozent der Angehörigen sind Frauen.

Ins Heim wollte Roman Schranz nicht – so wie die meisten Pflegebedürftigen. Seine Familie hat mit der Hilfe von Freunden das Haus in Oberkohlstätten umgebaut. Aus dem Bügelraum wurde ein Lift, Roman Schranz hat im zweiten Stock sein eigenes Reich. Dort spielt er am Computer, beobachtet das Weltgeschehen oder schaut Anime-Serien. Im Sommer fahren er und Mutter Margit viel Rad, er mit dem Handbike.
7,5 Millionen Euro kostet das Modell das Burgenland dieses Jahr. Würde man die 272 Pflegebedürftigen stationär unterbringen, wäre das um einiges teurer, so das Land. Es brauche das Modell außerdem als weiteres Angebot in der Pflege.

Andere Bundesländer skeptisch

Noch ist das Modell in der Form einzigartig. Die SPÖ möchte es demnächst auch in Graz erproben – mit dem Argument, dass man angesichts der Pflegekrise offen sein müsse. Das Land Steiermark und das Land Kärnten zeigen sich zurückhaltender. Der Preis sei hoch dafür, dass man womöglich nur wenige Leute erreicht. 21 Millionen Euro würde das Modell in Kärnten, 50 Millionen Euro in der Steiermark pro Jahr kosten, schätzt man.

Zum Modell

Je nachdem, welche Pflegestufe der Angehörige hat, bekommt man als betreuende Person bis zu 1700 Euro netto im Monat. Der pflegende Angehörige muss im ersten Jahr der Anstellung eine geförderte Pflege-Grundausbildung absolvieren. Es gibt regelmäßige Unterstützungs- bzw. Kontrollbesuche.

Auch Pflegefachleute und dem Sozialministerium sehen das Modell eher skeptisch: Es verfestige das Konzept, dass Frauen Angehörige zu Hause pflegen, dabei sollte man die Pflege eher professionalisieren und Angebote ausbauen. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene setzt man auf andere Unterstützungen für pflegende Angehörige. Dennoch: Das Modell wird im Burgenland gerade evaluiert, das will das Ministerium abwarten und dann weiterschauen.

Zumindest in einem Fall ist die Beurteilung bereits gefallen: Das Leben von Margit und Roman Schranz sei durch das Modell verbessert worden, wie beide betonen.