Vom Kinderbuch zur Revolution

Interview. Am Donnerstag präsentieren Regisseur Ted Huffman und Komponist Philip Venables ein Musiktheater, in dem auch musikalische Hierarchien überwunden und Genres verbunden werden.
Das Buch „The Faggots and Their Friends Between Revolutions“ wurde als ein Märchen über queere Menschen in einer patriarchalischen Gesellschaft beschrieben. Wie sind Sie auf die Geschichte gestoßen?
Ted Huffman: Der Komponist Philip Venables hat es mir gegeben, als es vergriffen war. Das ist jetzt sechs Jahre her. Das Buch wurde in den 1970er – und 1980-Jahren gedruckt, war dann lange Zeit vergriffen, aber es wurde zu einer Art Kultbuch und in queeren Gemeinschaften verbreitet. Ein paar Jahre später wurde das Buch neu aufgelegt, und so habe ich es entdeckt.
Was war so spannend an dem Buch? Warum wollten Sie daraus ein Musiktheaterstück machen?
Huffman: Ich habe mich in das Buch verliebt, weil ich in dieser Fabel einen Weg gefunden habe, über die Welt und die Weltgeschichte zu sprechen. Es hat eine sehr kraftvolle Art, Dinge zu erzählen, und Larry Mitchells metaphorische und allegorische Sprache ist extrem schön. Zum ersten Mal habe ich etwas gelesen, das Themen wie Sexualität und Geschlecht auf wirklich revolutionäre Weise anspricht. Die Geschichten, die wir jungen Leuten erzählen, haben etwas unglaublich Mächtiges an sich, und es gibt einen Grund, warum sie in der Gesellschaft sozusagen grundlegend sind. Ich hatte das Gefühl, dass dieses Buch fast einen Anspruch darauf erhebt, zu sagen: Dies ist eine fundamentale Geschichte, in der es nicht darum geht, ob die Details historisch korrekt sind. Es handelt von Queerness als einer Art wesentlicher Idee, wie ich sie noch in keinem anderen Buch erlebt habe. Das war also sozusagen der ideologische Grund, und von einem musikalischen, theatralischen Standpunkt aus habe ich die Idee, viele Jahrhunderte queerer Erfahrungen in ein Buch zu verpacken, als eine sehr theatralische Geste empfunden. Der Text hat etwas Musikalisches, er impliziert fast, dass es eine Gute-Nacht-Geschichte ist – was auch die ursprüngliche Idee des Autors Larry Mitchell war.
Das Buch handelt nicht von einer Erzählung, sondern dreht sich um mehrere verschiedene Geschichten …
Huffman: Das Originalbuch ist in Kapiteln geschrieben, sozusagen in Vignetten. Es gibt keine Figuren im Buch, und auch jeder auf der Bühne ist nur ein Geschichtenerzähler. Es gibt keine Charaktere, sondern es geht darum, eine starke Geschichte zu erzählen – im Grunde die Geschichte einer Gemeinschaft.
Wie kann sich das Publikum die Inszenierung vorstellen?
Huffman: Es sind eigentlich 15 Darsteller, die alle eine Fabel über die Geschichte der ganzen Welt erzählen. Es wird gesungen, gespielt, getanzt und gesprochen, und alles wird ohne Hierarchie zwischen den verschiedenen Ausdrucksformen präsentiert. Ich glaube, es ist unser Versuch, die queere Gemeinschaft zu feiern – auch mit Menschen, die nicht queer sind. Es ist auch ein Stück über die Zerstörung von Kategorien und Identitätszuschreibungen, die wir in unserer Gesellschaft leben. Das ist ein sehr starker zentraler Gedanke von Mitchell, dass diese Kategorien der Identität eines Tages in der Utopie aufgelöst werden.

Das Buch blickt zurück auf das queere Leben aus einer anderen Zeit. Wie passt das in die Gegenwart?
Huffman: Es wurde in den 1970er-Jahren geschrieben, im Originaltext kann man diese Ära spüren, als – wie ich denke – viele queere Menschen noch in der aufregenden Phase einer aufkeimenden queeren Bewegung lebten. Acht Jahre zuvor gab es die berühmte Stonewall-Episode, auf die auch im Buch Bezug genommen wird, aber nicht nur das: Es gab zum ersten Mal weltweit eine queere Gemeinschaft, die sich weigerte, im Verborgenen zu leben, und begonnen hatte, gleiche Rechte zu fordern. In diesem Kontext ist das Buch geschrieben. Das Buch beginnt also in prähistorischen Zeiten, aber nicht als wissenschaftliche Darstellung darüber, was passiert ist. Und dann ist das Buch für mich auch absolut zeitgenössisch und aktuell, weil es über all die Dinge spricht, über die wir heute sprechen: Es geht darum, wie es ist, unter einem patriarchalischen System zu leben, es geht darum, wie es ist, unter einer Art Kapitalismus auf Steroiden zu leben, es geht darum, wie Gemeinschaften durch diese Strukturen zerbrochen und aufgelöst werden, es geht um die Zerstörung der Umwelt, um die Notwendigkeit der Intersektionalität, darum, einen Lösungsweg für eine Gemeinschaft zu finden. Ich finde es sehr aktuell, auch wenn es von der Vergangenheit erzählt.
In Ihrem Werk kommen verschiedene Musikstile zum Einsatz. Wie beeinflusst das die Handlung?
Huffman: Die Inszenierung basiert auf einem Spiel- und Erzählcharakter. Wir verwenden Bewegung und Text, und auch der Komponist Philip Venables verwendet Musik, die sich auf viele verschiedene Zeitabschnitte bezieht. Einige der Instrumente sind Barockinstrumente wie die Theorbe, das Cembalo und die Viola de Gamba, andere sind moderne Instrumente wie das Akkordeon, das Klavier und das Saxophon, und einige sind klassische Instrumente wie die Flöte, es ist ein echter Mix. Auch die Darsteller spielen alle verschiedene Instrumente, um damit auch im Stück die Überwindung von Hierarchien zu erreichen. Es ist der Versuch, eine Art Verbindung zwischen all diesen verschiedenen Genres zu finden, was – wie ich vermute – eine Möglichkeit ist, zu tun, was uns politisch interessiert: Nämlich Kategorien und Unterteilungen zwischen Menschen und deren Fähigkeiten aufzulösen.
Was war Ihnen bei der Inszenierung wichtig?
Huffman: Für mich geht es bei der Inszenierung sehr stark um dieses aktive Geschichtenerzählen, also basiert ein Großteil der Inszenierung wirklich nur darauf, dass die Leute zusammen spielen, singen und tanzen. Es geht darum, durch die Bühne zu zeigen, wie es ist, eine Gemeinschaft zu bilden – dass es eigentlich sehr schwer ist, eine Menge Arbeit verlangt und erfordert, dass man einander wirklich intensiv zuhört. Aber dadurch entsteht auch eine Verbindung, die es sonst nicht geben kann. Ich wollte vor allem eine Art Gemeinschaft auf der Bühne kreieren, die etwas von der Schönheit der Gemeinschaft im wirklichen Leben widerspiegeln kann.
Gibt es noch etwas, das Sie den Leuten sagen möchten?
Huffman: Der Titel lässt die Leute vielleicht denken, dass es sich um ein Stück über die Befreiung von Homosexuellen in einem exklusiven Sinne handelt, und ich würde den Lesern, die darüber nachdenken, ob sie die Show sehen wollen, sagen, dass es keine Show ist, die ausgrenzt, sondern eine spielerische Show, die hoffentlich davon erzählt, dass die ganze Menschheit an einem Strang ziehen muss.