Europa ist das Vorarlberg der Welt

Auf Einladung des Europäischen Parlaments wurde am Donnerstag in Schwarzach über Europa gesprochen.
Entscheidungen auf europäischer Ebene sind oft so komplex wie wichtig. Martina Büchel-Germann und Othmar Karas wissen das nur zu gut. Sie ist Leiterin der Abteilung für Europa und Internationales im Amt der Landesregierung, er der scheidende Vizepräsident des Europäischen Parlaments. Beide erläutern interessierten Journalisten auf Einladung der Vertretung des Europäischen Parlaments in Wien ihre Erfahrungen mit der EU.
Zu klein für die Welt
Alleine können die Mitgliedsstaaten oft nichts durchsetzen, erklärte Karas. Selbst die gesamte Bevölkerung der EU mache gerade einmal vier Prozent der Menschheit aus – so viel wie der Anteil der Vorarlberger an den Österreichern, meint einer der Anwesenden.
Wer klein ist, muss zusammenhalten. Das gilt auch für die Bundesländer, die ihre Interessen oft gemeinsam in Wien und Brüssel vertreten, wie Büchel-Germann erklärt. Als zuständige Abteilungsleiterin sorgt sie dafür, dass die Vorarlberger erfahren, was die EU für sie bedeutet und dass die EU und der Bund wissen, was Vorarlberg sich von ihnen wünscht. Diese Arbeit bringt viele Gespräche und Abstimmungen mit sich.
Das gilt nicht nur für die Beamtenebene, sondern auch für die Politik. Nach seinen größten sachpolitischen Erfolgen gefragt, nennt Othmar Karas die Finanzmarktreform und die Dienstleistungsrichtlinie. Mit solchen Schlagworten gewinnt man keine Wahlen. Dennoch hängt unmittelbar davon ab, ob der europäische Finanzmarkt wegen fehlender Regulierungen kollabiert oder tausende Menschen ihre Jobs verlieren. Man müsse die Komplexität der Politik auflösen, meint Karas. Deshalb empfängt er viele Bürger in Straßburg und Brüssel, um ihnen Europa und die Politik zu erklären. Karas will sich dem nicht beugen, was manche als politische Notwendigkeiten empfinden. Er gilt als Sachpolitiker schlechthin, als Kompromisssucher. Für Reformen reiche es schon, wenn man wirklich etwas verändern wolle, sagt er. Er habe im Europäischen Parlament immer die größtmögliche Mehrheit gesucht und nicht einfach nur irgendeine.
Höhere Weihen
Karas umgibt eine sichtbar dicke Schicht aus Integrität. Das hat ihn immer wieder in Konflikt mit seiner Partei gebracht. Jedes Mal, wenn ihn die ÖVP aufs Abstellgleis buxierte, um mit plakativeren Spitzenkandidaten zu reüssieren, fügte er sich. Karas wanderte auf den zweiten Listenplatz und machte trotzdem 100.000 Vorzugsstimmen. Er kandidierte als Vizepräsident und machte das beste Ergebnis aller 14 Kandidaten. Vor kurzem aber platze ihm der Kragen. Die ÖVP sei „nicht mehr die Europapartei, die ich mitgestaltet habe“. Für seine Verhältnisse ist das scharfe Kritik. Othmar Karas ist bei den eigenen Leuten nicht nur beliebt – ein Konservativer, wie ihn Linke sich vorstellen. Gerade das macht ihn aber zum potenziellen Kandidaten für Höheres. Immer wieder wurde er für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt. Einmischen wolle er sich weiterhin, meint er nun. Schließlich sei jeder Politiker, der zur Wahl gehe, Veranstaltungen organisiere oder auch nur einen Tweet absetze. Bei der EU-Wahl im Juni wird er nicht mehr antreten.
Bis dahin will er weiter arbeiten. Etwa 10.000 Menschen trifft Karas jährlich. Vermutlich hat er jeder Vorzugsstimme schon einmal die Hand geschüttelt. Auch wer Fragen zur EU hat, kann ihm gerne schreiben. In den Lebensläufen vieler junger Politiker steht Karas’ Name ebenfalls. Über die Jahre nahm er viele Praktikanten auf. Man müsse die Möglichkeit nützen, ihnen etwas beizubringen. Keinen von ihnen habe er je nach seiner politischen Einstellung gefragt. Das erklärt, warum sich seine früheren Praktikanten nun auch in anderen Parteien engagieren, als der seinen.
Nach Vorarlberg ist Karas gekommen, um mit Schülern und Journalisten über Europa zu diskutieren, bis sein Kaffee kalt wird und er wieder weiter muss.