Hermann Bickels beherzter Kampf um sein geliebtes Maisäß

Unzählige Erinnerungen verknüpft Hermann Bickel (85) mit seinem Kleinod im Montafon. Nach Jahrzehnten mühevoller Instandhaltung sieht sich der pensionierte Schreiner mit dem Rückbaubescheid konfrontiert – ein NEUE-Lokalaugenschein und eine Anfrage an das Land Vorarlberg.
Zehn Minuten vom Tschaggunser Ortszentrum entfernt befindet sich der seit Jahrzehnten im Familienbesitz befindliche Maisäß von Hermann Bickel.
„Ich kann mich noch gut daran erinnern, als ich im Jahre 1945 von meinem Vater auf die Hütte meiner Tante geschickt wurde – gerade als die Franzosen ins Tal kamen, um das Montafon von den Nazis zu befreien“, schildert der rüstige 85-Jährige seine ersten Erinnerungen an den Maisäß auf der Fahrt zu besagtem Objekt.

Kampf vor Gericht
Der Dornbirner kämpft vor Gericht gegen einen Bescheid, der ihn zum Rückbau seines Stalls verpflichtet, den er gemeinsam mit dem Mann seiner verstorbenen Tante vor rund 50 Jahren in spartanischer Form ausgebaut hat – damals noch auf mündliche Zusage des zu jener Zeit amtierenden Bürgermeisters Both an den Vorbesitzer.

„Ich könnte es ja nachvollziehen, wenn wir den Stall zu einem Chalet ausgebaut hätten. Das war aber in keinster Weise der Fall. Im Innenraum befindet sich weder fließendes Wasser noch sanitäre Einrichtungen. Im oberen Stock des ehemaligen Kuhstalles haben wir neben Schlafkammern in Eigenregie eine kleine Stube und ein Plumpsklo installiert. Im besten Gewissen, dass dies alles bekannt sei. Und es hat auch noch nie ein Fremder hier genächtigt, der Stall wurde nur von meiner Familie und mir genutzt, nie untervermietet“, zeigt sich der gelernte Schreiner enttäuscht ob der Entscheidung der Behörden, die das Objekt nun infrage stellen.

Emotionale Zeitreise in die Vergangenheit
Betritt man das zugegeben sehr spärlich eingerichtete Holzhaus, dreht man das Rad der Zeit zurück und wird Teil der Lebensgeschichte des geschickten Handwerkers. Stolz zeigt der 85-jährige Hermann Bickel die selbst angefertigten, kunstvoll und auf die minimalistischen Begebenheiten des vorhandenen Raums zugeschnittenen Kästen und Vitrinen. Oder das Stockbett, in dem sein Sohn Hanno eine unbeschwerte Kindheit im Montafon erleben durfte. Und die Kochnische, auf die ihm seine inzwischen verstorbene Frau den Nachmittagskaffee zubereitet hat, wenn er von der beschwerlichen Holzarbeit zurückgekehrt ist.

Umso unverständlicher ist für den Senior die Entscheidung der Behörden, die ihm aufgrund des fehlenden, schriftlichen Baubescheides eine Nutzung des Stalls untersagen.
Meldung der Ferienwohnung. Besonders bitter stößt Bickel auf, dass man erst jetzt einen Rückbau der Umbauten, die man Anfang der 1970er-Jahre in Angriff genommen hatte, fordert. Zumal die Gemeinde Tschagguns seit Jahrzehnten in Kenntnis der Nutzung gewesen ist, wie auch der ihn vertretende Rechtsanwalt Bernd Widerin bestätigt.

Gesetzesänderung im Jahr 1993
„Mit der Änderung des Raumplanungsgesetzes 1993 wurden Besitzer derartiger Objekte aufgefordert, diese bei der Gemeinde zu melden. Dem ist unser Mandant noch im selben Jahr vorschriftsgemäß nachgekommen, sowohl für sein Maisäßgebäude als auch die Räumlichkeiten in dem umgebauten Stall – ohne Untersagungsbescheid, zu dem die Gemeinde nach Rechtslage bereits vor 30 Jahren verpflichtet gewesen wäre. Und auch die vorgeschriebene Zweitwohnsitzabgabe hat die Gemeinde über Jahre gerne kassiert, in zweifacher Form.“

Mühevolle Instandhaltung. Ebenfalls unverständlich für den mit einem Rückbau konfrontierten Eigentümer ist die Tatsache, dass man die jahrzehntelangen Bemühungen, dieses auch für die Montafoner Kulturlandschaft in seiner Außenhülle typischen Gebäudes instandzuhalten, nicht honoriert. „Natürlich haben wir die Tenne spärlich ausgebaut. Aber wenn wir die Fassade nicht geschirmt hätten, nicht einen neuen Dachstuhl aufgebaut oder jüngst das Haus mit Lärchen-Schindeln gedeckt hätten, wäre von diesem Stall schlicht und ergreifend nichts mehr übrig gewesen“, führt der sichtlich enttäuschte bald 90-Jährige weiter aus.

„Und nun zu fordern, den Stall in seinen Urzustand zurückzuversetzen, kommt einem Schildbürgerstreich gleich. Hier fehlt unseres Erachtens jegliche Verhältnismäßigkeit und die Behörde schießt weit über das Ziel hinaus. Abgesehen davon, dass mögliche Verfehlungen, wie jene am Sibratsgfäller Krähenberg, über Jahre ausjudiziert werden könnten, während hier offenbar am ‚kleinen Mann‘ ein Exempel statuiert wird“, argumentiert Jurist Bernd Widerin.

Bürgermeister möchte laufendes Verfahren nicht kommentieren
Auf NEUE-Anfrage beim zuständigen Bürgermeister Herbert Bitschnau, mit dessen Vater Eduard, ebenfalls bereits Tschaggunser Ortsvorsteher, es Hermann Bickel auch schon zu tun gehabt hätte, folgte nur die Auskunft, dass man sich zu einem laufenden Verfahren nicht äußern möchte. Kleines Detail am Rande: Bitschnau ist seit heuer außerdem oberster Montafoner Standesvertreter. Jener Institution, die offenbar in vollster Kenntnis über die Nutzung des Gebäudes die Schindeleindeckung des Grabser Maisäßgebäudes finanziell gefördert und unterstützt hat.

Verhandlung am Landesverwaltungsgericht Bregenz
Ob Hermann Bickel sein geliebtes Kleinod, das er mit unzähligen Erinnerungen an seine Kindheit, seine Familie und seine verstorbene Gattin verknüpft, zurückbauen muss, entscheidet sich erstinstanzlich heute am Landesverwaltungsgericht in Bregenz.

Die Stellungnahme von Bernd Widerin, der den rüstigen Pensionär vertritt, schließt mit folgendem Zitat: „Der Gedanke, dass das gegenständliche Verfahren wie ein Kapitel aus Kafkas Roman ‚Der Prozess‘ verstanden werden könnte, ist sicher abwegig, aber nicht ganz irreal.“

Vier Fragen an Landesrat Marco Tittler
Aktuell häufen sich Fälle, in denen gerade Besitzer von sogenannten Maisäßen mit Überprüfungen oder im schlimmsten Falle Abbruchbescheiden konfrontiert werden. Ist das Land davon in Kenntnis beziehungsweise worauf könnte diese Häufung zurückzuführen sein?
Marco Tittler: An das Land sind bis dato lediglich Einzelfälle durch die Gemeinden herangetragen worden.
Inwiefern ist für sie die Kritik der Bürger nachvollziehbar, dass sie seit Jahren Zweitwohnsitzabgaben entrichten, nun aber mit Rückbau- oder Abrissbescheiden konfrontiert werden. Teilweise über 30 Jahre später?
Tittler: Das Land als Gesetzgeber in Angelegenheiten der Raumplanung und des Baurechts gibt den rechtlichen Rahmen für den Vollzug vor. Die örtliche Raumplanung ist Aufgabe der Gemeinde im Rahmen des eigenen Wirkungsbereichs. Auch die Baubehörde, die grundsätzlich der Bürgermeister ist, ist auf Gemeindeebene angesiedelt. Dementsprechend können die angesprochenen Anlassfälle des Vollzugs der genannten Gesetze nicht vonseiten des Landes bewertet oder kommentiert werden.
Wie schwierig ist die Zusammenarbeit zwischen Baubehörde, in diesem Fall den Gemeinden, der Bauverwaltung und des Landes Vorarlberg?
Tittler: Aus Sicht des Landes ist die Zusammenarbeit zwischen dem Land und den Gemeinden beziehungsweise Baurechtsverwaltungen eine gute.
Inwiefern denkt das Land Vorarlberg an eine Anpassung solcher Fälle im bestehenden Baugesetz?
Tittler: Als eines der ersten Projekte im Rahmen des Bürokratieabbaus wird es in den kommenden Monaten einen Prozess zur Überarbeitung der raumplanungs- und baurechtlichen Regelungen geben. In diesem Zusammenhang wird eine breite Einbindung aller Stakeholder stattfinden. Wir gehen davon aus, dass die entsprechenden Anlassfälle von den Gemeinden eingemeldet werden, sodass diese allenfalls eine Berücksichtigung in diesem Prozess finden können.
(NEUE Vorarlberger Tageszeitung)