Entsiegelungsboom: Warum viele Vorarlberger jetzt ihre Böden aufreißen

Immer mehr Vorarlberger entfernen Asphaltflächen – häufig kostengünstig in Eigenregie. Die NEUE zeigt ihre Beweggründe und nennt konkrete Kosten.
Von Katja Grundner
Das Thema Entsiegelung rückt immer stärker in den Fokus: Der Tennisclub Mäder hat gerade erst ein solches Projekt abgeschlossen. Andreas Jordan aus Rankweil hat bereits einen konkreten Umgestaltungsplan für seine asphaltierte Einfahrt. Und der Verein Bodenfreiheit macht unter anderem mit Workshops und einem Gewinnspiel auf das Thema aufmerksam.
Tennisclub Mäder hat entsiegelt
Norbert Kilga, Vorstandsmitglied des TC Mäder, hat sich hartnäckig dafür eingesetzt, dass die circa 70 Quadratmeter große Vorplatzfläche zwischen Spielplatz und Klubheim entsiegelt wird. „Dort hat im Sommer immer die Sonne draufgebrannt und es gab keine Beschattung. Es war einfach notwendig“, erzählt der 72-Jährige.

Kerstin Riedmann, Geschäftsführerin des Vereins Bodenfreiheit, beschreibt Kilgas Wahrnehmung in Zahlen: „Asphalt erhitzt sich im Sommer bis zu 60 Grad. Eine begrünte Fläche, die Feuchtigkeit speichert, liegt bei 30 Grad und drunter. Das ist ein großer Unterschied.“

„Auch beim Kinderspielplatz gab es nur ein kleines Sonnensegel als Schutz. Bei sowas läuten bei mir die Alarmglocken – da muss man was tun, dachte ich mir“, führt Kilga aus. Somit wurde beim Spielplatz ein Baum gesetzt und auch das Entsiegelungsprojekt wurde mit dem Setzen mehrerer Bäume Ende Mai zum Abschluss gebracht.

Die Kosten wurden durch viel Eigenleistung und freundschaftliche Unterstützung so gering wie möglich gehalten. Rund 1000 Euro habe der TC Mäder selbst bezahlt. Die Kosten für die Bepflanzung seien von der Gemeinde übernommen worden. „Mäder ist schon lange eine umweltbewusste Gemeinde und ich war viel mit dem Bürgermeister im Austausch“, sagt der Pensionist aus Mäder. Auch er selbst sei immer schon ein sehr umweltbewusster Mensch gewesen.
Entsiegeln in Eigenregie
Andreas Jordan hat bereits vor drei Jahren eine rund vier Quadratmeter große Fläche vor seiner Garage entsiegelt. Im Winter hatte sich auf dem Betonstück immer wieder glattes Eis gebildet, worauf er mehrmals ausgerutscht war. „Ich habe die Fläche aufgebrochen, stattdessen mit Schotter bedeckt und seitdem ist das Ganze im Winter kein Problem mehr. Ich brauche auch kein Salz mehr streuen“, erzählt der Rankweiler.

Nun hat er sein nächstes Entsiegelungsprojekt geplant: die rund 50 Quadratmeter große Einfahrt. „Die große Asphaltfläche ist einfach nicht schön“, beschreibt der 54-Jährige sein Motiv. Wie beim TC Mäder wird auch er die Kosten für die Entsiegelung durch persönlichen Einsatz möglichst gering halten. Nur für gewisse Arbeitsschritte will er sich professionelle Unterstützung holen. „Diese Art von Arbeit macht mir Spaß und ist ein wichtiger Ausgleich zum Alltag“, äußert der in der Lebensmittelbranche tätige Fabrikleiter.

Denselben Ausgleich findet er bei der Gartenarbeit und beim Bergsteigen, beziehungsweise beim schlichten Sein in der Natur. „Umweltbewusstsein ist etwas, das mich mehr und mehr beschäftigt hat, vor allem rund ums Haus herum. Denn hier habe ich freie Hand und kann oft schon mit kleinen Mitteln gute Ergebnisse erzielen“, berichtet Jordan. Er gestaltet seinen Garten so naturnah wie möglich und kultiviert Gewächse wie Sonnenblumen, Kartoffeln und Brombeeren – ein bewusster Schritt zurück zum Ursprung.
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Tipps für das Entsiegeln
Falls man sich für eine kostengünstige Entsiegelung interessiert, aber nicht wie Jordan das Wissen zum Selbermachen oder wie Kilga die Kontakte zur unentgeltlichen Unterstützung hat, ist der Vorarlberger Verein Bodenfreiheit die richtige Adresse. Zu den zentralen Aufgaben der anerkannten Umweltorganisation gehören Projekte, darunter „BODAguat – Einfach Entsiegeln und Begrünen“.
Infos zum Verein Bodenfreiheit
- Gründung: 2011
- Hauptfinanzierung: Spenden und Mitgliedschaft
- Hauptaufgaben: Bewusstseinsbildung rund um die Lebensgrundlage Boden, Veranstaltungen und Vorträge, Vertreten des Themas in der Öffentlichkeit und Politik (Einbringen in Auflageverfahren, Schreiben von Stellungnahmen zu Gesetzesanpassungen, etc.), konkreter Erhalt von Freiflächen durch Ankauf und Dienstbarkeiten
Teil des Projekts sind Folder und kostenlose Workshops, die auch völlig Unerfahrene dazu befähigen sollen, das Entsiegeln eigenständig umzusetzen. Unter anderem wird gezeigt, wo man die nötigen Maschinen ausleihen und niederschwellige Unterstützung anfordern kann.

Beim Workshop wird der Ablauf nicht nur von einem Erdbaufachmann und einer Landschaftsplanerin erklärt, sondern auch praktisch demonstriert. Führt man eine Entsiegelung in Eigenregie durch, belaufen sich laut dem Verein Bodenfreiheit die Kosten für einen rund 13 Quadratmeter großen Kfz-Stellplatz auf etwa 300 Euro.

Privatleute im Raum Vorderland-Feldkirch können bis zum 30. Juni über das Projekt BODAguat zwei Entsiegelungen gewinnen.
Ungefähre Kosten in Vorarlberg für eine 13 Quadratmeter Entsiegelung (entspricht einem KFZ-Stellplatz):
- Die Ausleihe eines Trennschleifers im Fachmarkt für den Asphaltschnitt kommt auf rund 75 Euro pro Tag.
- Entsorgungskosten des Asphalts kosten um die 40 Euro pro Tonne. Bei 13 Quadratmetern ist mit circa 2,5 Tonnen Abbruchasphalt zu rechnen. Je nach Asphaltdicke – im Privatbereich meist um die 8 cm – fallen die Kosten etwas höher aus.
- Für 2,5 Tonnen Material zur Neuverfüllung (Flickschotter oder Betonkies, je nach weiterer Nutzung der Fläche) statt dem Asphalt können Euro 35 Euro pro Tonne angesetzt werden.
- Die benötigten 0,5 Kubikmeter Kompost (wichtig: keimfrei durch Heißrotte) kommen auf 20 Euro.
- Hinzu kommt das Saatgut mit ebenfalls um die 20 Euro.
- Summe: rund 300 Euro
- (Angaben des Vereins Bodenfreiheit in Brutto-Preisen)
„Unser Ziel ist es zu zeigen, dass man auch als Privatperson etwas tun und bewirken kann, nicht nur die Gemeinde“, sagt Kerstin Riedmann aus Weiler. Der Verein zur Erhaltung von Freiräumen wurde von genau solchen Menschen gegründet. Eine Gruppe an Bürgern hatte festgestellt, dass gemeinschaftliche Freiräume zunehmend verschwinden. „Zum Beispiel ein Fußballplatz oder ein Rodelhügel, die verbaut worden sind. Flächen, die für die Allgemeinheit wichtig sind“, führt die 44-Jährige aus. „Diese Gruppe an Bürgern wollte nicht nur jammern, sondern konkret etwas tun. Dadurch ist dann die Idee des Vereins entstanden, mit dem Ziel über Ankauf und Dienstbarkeiten Flächen dauerhaft freizuhalten und öffentlich zur Verfügung zu stellen.“
Gefahren von Versiegelung
Gudrun Sturn ist Landschaftsarchitektin und ihre Arbeit wird vor allem durch ihre Werte bestimmt: sozial, nachhaltig und klimabewusst. Eine solche Einstellung ist laut der Expertin auch vermehrt bei Kunden gefragt. In der Praxis bedeutet dies unter anderem viel Begrünung, das Setzen von Bäumen und Entsiegeln. „Mir ist es auch wichtig, für mehr Artenvielfalt zu sorgen. Denn eigentlich ist die Biodiversitätskrise so groß wie die Klimakrise“, betont die 48-Jährige. „Es gibt noch viel Unwissen, aber man stößt immer wieder auf offene Ohren.“

Die Selbstständige aus Röthis erwähnt neben dem Rückgang der Biodiversität auch ein wachsendes Überschwemmungsrisiko, bedingt durch versiegelte Flächen und fehlende Grünräume. Da Regenwasser nicht mehr versickern kann, gelangt es rasch in die Kanalisation und überlastet diese zunehmend. „Entsiegelt bedeutet nicht unbedingt bewachsen. Aber jede Entsiegelung ist besser als Asphalt“, versichert Sturn. „Ich merke, dass viele oft frustriert sind und das Gefühl haben, nicht viel gegen die Klima- und Biodiversitätskrise tun zu können. Aber mit vielen kleinen Schritten kann man auch große Dinge bewirken.“
(NEUE)