Politik

Das Dilemma der ukrainischen Kampfmoral

13.11.2023 • 13:53 Uhr / 3 Minuten Lesezeit
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(C) IMAGO/UKRINFORM/ABACA

Die ukrainischen Streitkräfte tun sich auf der Suche nach Freiwilligen zunehmend schwerer. Daran hilft auch der allgemeine Durchhaltewille wenig.

Der ukrainische Meinungsforscher Wolodymyr Paniotto gab jüngst dem „Spiegel“ gegenüber an, dass drei Viertel der Ukrainerinnen und Ukrainer bereit seien „so lange wie nötig“ kämpfen zu wollen.

Kein Scheinfrieden

Ein Zeugnis dafür, dass auch im zweiten anstehenden Kriegswinter die Bevölkerung nicht müde ist, ihre Freiheit für einen Scheinfrieden opfern zu wollen. Das Einfrieren des Konfliktes würde nicht dessen Ende bedeuten, sondern der Russischen Föderation Zeit geben, ihren ramponierten Ruf auf dem Parkett internationaler Diplomatie wieder zu normalisieren und im selben Atemzug zu versuchen, sich für einen neuen Angriff in Stellung zu bringen.

Doch abgesehen davon, dass keine Anzeichen dafür ersichtlich sind, Russland wäre auf irgendeine Weise an einem „Frieden“ interessiert, muss die Frage erlaubt sein, wie kriegswillig die ukrainische Bevölkerung wirklich ist. Mag man in Umfragen zwar zum äußersten bereit sein, wird es jedoch bei konkreten Schritten zunehmend schwieriger, Front-Freiwillige zu finden. Mittlerweile werden vermehrt jene eingezogen, die nicht in den Krieg ziehen wollen. Seit Kriegsbeginn haben sich zudem über 20.000 Wehrpflichtige ins Ausland abgesetzt, obwohl Deserteuren bis zu zwölf Jahre Haft drohen.

Verlust der Besten

Während Russland sich nicht nur seiner Häftlinge entledigt, die Welle um Welle in den Tod geschickt werden, sondern generell eine Kultur des Todes zelebriert, hat die Ukraine Generationen ihrer besten Männer und Frauen verloren. Kampferfahrene und motivierte Soldaten sind zu Hunderttausenden gestorben oder wurden aufs Gröbste verstümmelt. Nahezu jeder Ukrainer hat tote Familienmitglieder oder Freunde zu beklagen. Für Wiedergekehrte beginnt nach der physischen „Gesundung“ oft das psychische Leid.

Die ukrainische Gesellschaft hat mit den Leben ihrer Besten das höchste Gut geopfert, das man sich vorstellen kann. Doch werden die Ukrainer verstehen müssen, dass, um Russland „so lange wie nötig“ die Stirn bieten zu können, viele weitere dieser Opfer gebracht werden müssen. Ob man dazu nicht nur gegenüber Meinungsforschern auch weiterhin bereit sein wird, ist fraglich. Klar ist, dass mehr militärische Unterstützung aus dem Westen geholfen hätte, nicht vor dieser Entscheidung zu stehen.