Kommunalwahlen in der Türkei: Gewinnt Erdogans AKP Istanbul zurück?

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Im Fokus der heute statt findenden Kommunalwahlen in der Türkei steht die Millionenmetropole Istanbul und die Hauptstadt Ankara. Mit ersten offiziellen Ergebnissen wird am späteren Sonntagabend gerechnet.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Partei AKP haben sich am Sonntag bei landesweiten Kommunalwahlen einem Stimmungstest gestellt. Rund 61 Millionen Menschen in 81 Provinzen waren dazu aufgerufen, Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalpolitiker zu wählen. Rund zehn Monate nach der Wiederwahl Erdogans wird mit Spannung erwartet, ob es der islamisch-konservativen AKP gelingen wird, die Metropole Istanbul und die Hauptstadt Ankara zurückzugewinnen.
Die Stimmabgabe bei der Kommunalwahl in der Türkei wurde am Nachmittag beendet. Die Wahllokale waren im Osten des Landes bis 15.00 Uhr MESZ geöffnet, im Westen bis 16.00 Uhr MESZ. Nach der Schließung der letzten Wahllokale habe die Auszählung begonnen, sagte der Leiter der Wahlbehörde Ahmet Yener am Sonntag. Mit ersten Ergebnissen wurde am Abend gerechnet.
In Istanbul, dem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des Landes, wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem AKP-Kandidaten Murat Kurum (47) und dem amtierenden Bürgermeister Ekrem Imamoglu (53) von der Mitte-Links-Partei CHP vorausgesagt.
Im Südosten des Landes überschatteten tödliche Zwischenfälle die Abstimmung. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen wurden zwei Menschen getötet. In der Kurdenmetropole Diyarbakir wie auch in der Provinz Siirt seien Streitigkeiten rund um die Wahl eskaliert, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. In Diyarbakir wurden dabei auch elf Menschen verletzt, und in Siirt vier. Bei den Auseinandersetzungen seien die Beteiligten mit Schusswaffen, Steinen und Stöcken aufeinander losgegangen. Die prokurdische Partei DEM (vormals HDP), die im Südosten große Unterstützung hat, teilte auf Anfrage mit, den Vorfall in Diyarbakir zu prüfen.
Die landesweite Wahl findet unter schwierigen Vorzeichen statt: Die hohe Inflation könnte Erdogans Partei Stimmen kosten. Viele haben mit den steigenden Preisen für Lebensmittel und explodierenden Mieten zu kämpfen; viele junge Menschen würden einer Umfrage zufolge am liebsten das Land verlassen. Die Opposition, die bei der Parlaments- und Präsidentenwahl 2023 noch im Bündnis antrat, gilt als zerstritten und tritt nicht mehr geschlossen an.
Imamoglu hatte Erdogans regierender AKP 2019 die Macht in Istanbul entrissen und damit 25 Jahre der Regierung islamisch-konservativer Parteien beendet. Die AKP ließ die Wahl damals annullieren. In der zweiten Runde gewann Imamoglu mit noch größerem Abstand – der Erfolg gilt als schwerster Rückschlag in Erdogans politischer Karriere. In Istanbul hatte einst auch Erdogans politischer Aufstieg seinen Anfang genommen, als er 1994 zum Bürgermeister gewählt wurde.
Erdogan sagte am Sonntag bei seiner Stimmabgabe, er hoffe, die Wahl nun werde den Beginn einer „neuen Ära“ markieren. 20 Prozent aller Stimmen werden in Istanbul abgegeben.
Sollte Imamoglu erneut gewinnen, wird seine Position als möglicher künftiger Präsidentschaftsanwärter gestärkt. Sollte hingegen der AKP-Kandidat siegen, warnen Beobachter, dass Erdogan sich bestärkt fühlen könnte, neue Grenzen auszuloten. Er könnte demnach etwa eine Verfassungsänderung anstreben, um sich eine weitere Amtszeit zu sichern, was die aktuelle Verfassung verbietet.
Die Wahl ist auch bedeutend für die Zukunft der kurdischen Minderheit im Land. Die prokurdische Partei DEM hofft auf Wahlsiege im Südosten, wo sie traditionell große Unterstützung hat, aber einer starken AKP gegenüber steht. Die Partei hatte unter dem Namen HDP bei den vergangenen Kommunalwahlen 65 Bürgermeisterposten gewonnen – die Regierung in Ankara ließ einen Großteil der Politiker aber wegen Terrorvorwürfen des Amtes entheben und durch Zwangsverwalter ersetzen. Erdogan unterstellt der prokurdischen Partei Terrorverbindungen, was diese zurückweist. In der südosttürkischen Metropole Diyarbakir wurde am Sonntag ein Mensch getötet, elf weitere Personen wurden verletzt, nachdem ein Streit über die Wahl eines Gemeindevorstehers ausgeartet war, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete.
Der Wahlkampf galt als unfair – ein Großteil der Medien in der Türkei steht unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung. Größere Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung wurden zunächst nicht gemeldet. Die Partei DEM teilte mit, in der südosttürkischen Provinz Sanliurfa hätten Regierungsbeamte versucht, an mehr als einer Urne abzustimmen. Man habe dies verhindert und dokumentiert.