„Sonst endet sie als steuerbare Quotenfrau“

Nach Michael Walchhofer kandidiert auch Renate Götschl bei der ÖSV-Präsidenten-Wahl. Nicola Werdenigg mit den Hintergründen.
Die Kandidatur von Renate Götschl für die ÖSV-Präsidenten-Wahl Anfang Juni kommt selbst für Insider überraschend. Wie interpretieren Sie ihre Kandidatur?
Nicola Werdenigg: Ich kenne Renate nicht persönlich. In meiner Erinnerung war sie eine sehr sympathische und authentische Athletin, die ihre Frau gestanden hat, wenn es Ungerechtigkeiten gab – was eine sehr lobende Eigenschaft ist, die sie als ÖSV-Präsidentin auch brauchen würde. Da müsste sie Härte und Durchsetzungsvermögen beweisen. Das traue ich ihr grundsätzlich zu. Ich bin mir allerdings unsicher, ob sie bei ihrer Kandidatur alles das bedacht hat, vor allem, dass sie sich als Präsidentin sehr schnell von ihrem Unterstützer und dann Vorgänger Peter Schröcksnadel emanzipieren muss. Denn ich bin mir sehr sicher, dass er nicht will, dass sein Lebenswerk umgekrempelt wird. Genau das braucht es aber, damit der ÖSV zukunftsfit wird. Oder anders ausgedrückt: Ein ÖSV ohne Peter Schröcksnadel kann nicht weiterhin auf Peter Schröcksnadel zugeschnitten sein.

Was muss denn, ganz allgemein, ein ÖSV-Präsident, eine ÖSV-Präsidentin für das Amt mitbringen?
Werdenigg: Das ist eine sehr gute Einstiegsfrage, weil sie gleich zur Sachebene hinführt und wir eben nicht über Sympathie oder dergleichen sprechen. Wer auch immer auf Peter Schröcksnadel nachfolgt, braucht gute Management-Qualitäten, sollte Erfahrung im Leadership haben, also bereits bewiesen haben, Menschen und ein Unternehmen führen zu können. Nicht zuletzt braucht der Nachfolger oder die Nachfolgerin sehr viel Zeit, es ist nämlich ein Fulltime-Job, den ÖSV zu führen. Man darf sich da wirklich nicht davon blenden lassen, dass der Präsidentenposten formal ein Ehrenamt ist. Darüber hinaus muss der neue starke Mann oder die neue starke Frau beim ÖSV wie angedeutet ganz viel Robustheit mitbringen, nur so lassen sich die verkrusteten Strukturen im Verband aufbrechen, nur so lässt sich der Verband neu aufstellen.
Welche Aufgaben warten konkret entweder auf Renate Götschl oder Michael Walchhofer?
Werdenigg: In der ersten Phase steht eine Bestandsaufnahme an, der ÖSV ist ja ein sehr großer Verband. Letztlich braucht der ÖSV eine völlig neue Außendarstellung, denn in den vergangenen 30 Jahren war eben alles auf Peter Schröcksnadel abgestimmt. Man muss sich das so vorstellen, wie wenn man eine Firma übernimmt. Es gilt die internen Abläufe kennenzulernen, die Menschen, die Kunden, im Fall vom ÖSV also die Fans und die Breitensportler, aber auch die Angestellten, also die Trainer, Betreuer und Athleten. Es geht darum Entscheidungen in der Personalstruktur zu treffen, ohne externen Berater wird das alles gar nicht zu schaffen sein.
Was ja auch viele unterschätzen: Der ÖSV hat einen Umsatz von annähernd 100 Millionen Euro und ist damit ein Großunternehmen. Sportliches Know-how ist sicher hilfreich, aber der ÖSV-Boss muss vor allem wirtschaftliche Kompetenz haben.
Werdenigg: Und in diesem Bereich warten einige heiße Eisen. Es braucht viel mehr Transparenz. So könnten dem Verband zum Beispiel eines Tages die steuerlichen Sonderregelungen auf den Kopf fallen, als Weltcup-Veranstalter gibt es in Österreich Steuererleichterungen, die komplett verschwiegen werden. Dann braucht es Grundsatzentscheidungen zum Trainerstab und dem Service-Thema: Will man sich weiterhin so einen großen Service- und Betreuerstab leisten? Wenn ja, dann braucht es Großsponsoren, um Großsponsoren für den ÖSV zu gewinnen oder diese zu halten braucht es ein gutes Netzwerk; und es braucht für die Finanzierung des Systems einen guten TV-Vertrag, bei dem es verschiedenste Interessen in Ruhe abzuwägen gilt. Eine Fehlentscheidung darf man sich da nicht leisten.
Der neue ÖSV-Boss muss agieren, kann nicht verwalten.
Werdenigg: Es stehen sehr wichtige Entscheidungen bei sehr großen Zukunftsthemen an. Der ÖSV braucht eine Digitalisierungs-Offensive, wie geht man mit dem Klimawandel um, auch im Zusammenhang mit dem Tourismus? Dann natürlich die Genderfrage mit der so überfälligen Gleichstellung der Geschlechter, und da sprechen wir nicht nur vom Anpassen der Preisgelder. Frauen sollen endlich wichtige Funktionärsposten übernehmen und auch Trainerin sein können. Es braucht die starke Einbindung der Landesverbände, der Mitglieder und der Wintersportklubs. Das alles umzusetzen bei den vorhandenen Strukturen wird eine riesengroße Aufgabe.

Michael Walchhofer führt zusammen mit seinem Bruder drei Hotels, Renate Götschl war nach ihrer Karriere Hausfrau und Mutter. Inwieweit bringen die beiden das Profil für die von Ihnen beschriebenen Aufgaben als ÖSV-Präsident mit?
Werdenigg: Ich sehe nicht, warum offensichtlich so unbedingt ein ehemaliger Top-Athlet den ÖSV übernehmen muss. Meiner Meinung nach ist es nicht so wichtig, wie gut der neue ÖSV-Präsident Skifahren kann, ich bin sogar überzeugt davon, dass es das unwichtigste oder eigentlich sogar gar kein Kriterium im Anforderungsprofil ist; oder eben sein sollte. Ehemalige Top-Sportler haben zu Beginn ihrer Amtszeit sicher einen Bonus, aber der ist schnell weg, danach werden sie sogar eher härter denn milder beurteilt. Weil alle noch die sympathischen Auftritte der betreffenden Sportler vor Augen haben, mit einem lockeren Spruch auf der Lippe und der Goldmedaille um den Hals. Und plötzlich müssen diese Personen weittragende wirtschaftliche Entscheidungen treffen – und ihre Qualifikation dafür ist, dass sie vor 10, 15 Jahren einige Hundertstel schneller den Berg hinuntergefahren sind als die anderen. Plötzlich sind sie in der Rolle sich bewähren zu müssen, und das im Fokus der Öffentlichkeit. Der ÖSV wurde immer von Menschen mit wirtschaftlichem Hintergrund, von Akademikern geführt. Es hat schon seinen Grund, warum nur wenige ehemalige Sportgrößen hauptverantwortlich einem großen Verband vorstehen. Viele repräsentieren, manche leiten Teilbereiche – und scheitern oft genug dabei, weil die Aufgabenstellung eine völlig andere ist.
Toni Innauer dagegen war als Nordischer Direktor beim ÖSV höchst erfolgreich und hätte alles mitgebracht um ÖSV-Präsident zu werden.
Werdenigg: Ja, nur leider will er nicht, und ich bin mir auch unsicher, ob er gewollt gewesen wäre. Denn er hätte die alten Zöpfe abgeschnitten. Es gäbe in Österreich, wenn es denn unbedingt ein ehemaliger Top-Athlet sein muss, in dieser Riege durchaus potenzielle Kandidaten für das ÖSV-Präsidentenamt, aber die lassen alle ihre Finger davon. Die Fallhöhe, gerade für einen ehemaligen Top-Sportler, ist zu groß. Ein Manager aus der Wirtschaft mit einer Affinität für den Wintersport würde sich viel leichter tun.

Klingt nach Klaus Pekarek – er hat im letzten Moment aber abgesagt. Pekarek ist Ehrenpräsident des Kärntner Skilandesverbands, war Generaldirektor der Raiffeisenlandesbank Kärnten, ist Aufsichtsratsvorsitzender bei Uniqa. Wäre er der ideale neue ÖSV-Boss gewesen?
Werdenigg: Ich hätte ihn favorisiert und ich weiß auch, dass er die Unterstützung der Landesverbände gehabt hätte. Leider kommt für ihn die ÖSV-Wahl ein Jahr zu früh, weil er nicht von heute auf morgen einfach so den Uniqa-Aufsichtsratsvorsitz verlassen kann und will. Die Frage ist, ob es sinnvoll ist, einen so fähigen Kandidaten auszuschließen, nur weil er das Amt nicht sofort übernehmen kann. Das eine Jahr ließe sich überbrücken. Wobei ich damit nicht sagen will, dass Götschl oder Walchhofer es nicht können, aber sie müssten sich eben erst bewähren, während bei Pekarek klar ist, dass er es kann.

Peter Schröcksnadel setzt sich für Renate Götschl ein – und so, wie sich die Dinge innerhalb weniger Tage entwickelt haben, wird sie die Wahl auch gewinnen. Walchhofer hat betont, dass er seine Kandidatur aufrecht hält, er hätte den Landesverbänden sein Konzept detailliert vorgelegt. Hat er sein Konzept vielleicht zu detailliert präsentiert – sprich: Greift da die Angst vor Veränderung um sich?
Werdenigg: Michael Walchhofer hat sich jedenfalls von Schröcksnadel emanzipiert. Konkret geht es darum, dass der ÖSV sieben Veranstaltungs- und Vermarktungs-GmbHs hat, der Plan von Schröcksnadel ist es, diese Gesellschaften in einer Holding unter ein Dach zu bringen – und er will Geschäftsführer dieser Holding sein. Walchhofer hat diesen Plan abgelehnt, nur darum ist ja Schröcksnadel auf die Suche nach einem zweiten Kandidaten gegangen.

Frei herausgefragt: Wäre Ihrer Meinung nach Schröcksnadel der Schattenpräsident, wenn Götschl die Wahl gewinnt?
Werdenigg: Die Gefahr ist riesengroß, die wäre umgekehrt auch bei Michael Walchhofer gegeben, wobei er sich eben schon von Schröcksnadel gelöst hat und klargestellt hat, dass er sein eigenes Programm durchzieht. Es steht für mich außer Frage, dass Schröcksnadel nicht von heute auf morgen einfach seine Macht abgibt und in Zukunft nur noch Fliegenfischen geht. Ein Mensch, der so lange an der Macht war und dem Macht so wichtig ist, will weiterhin bestimmen und sucht sich für gewöhnlich Wege dafür. Zumal er auch starke wirtschaftliche Interessen hat, er hat seine Unternehmen sehr eng an den ÖSV gekoppelt, wie zum Beispiel Feratel und Sitour.
Soll heißen: Bei Ihnen als Frauenrechtlerin schlagen in Bezug auf die Götschl-Kandidatur zwei Herzen in der Brust?
Werdenigg: Ich freue mich riesig darüber, dass endlich eine Frau für den Posten im Gespräch ist und Renate wirklich aussichtsreich ist. Mit der Einschränkung, dass ich ihr ans Herz lege, sich als Präsidentin von Schröcksnadel und den patriarchischen Strukturen und Einflüssen beim ÖSV zu emanzipieren. Sie muss eindrücklich „nein“ sagen können, sonst endet sie als das, was ihr viele bereits jetzt nachsagen: als steuerbare Quotenfrau.
Womit dem ÖSV nicht geholfen wäre, der Frauenbewegung nicht und ihr selbst ja auch nicht?
Werdenigg: So ist es. Wenn Sie die Wahl gewinnt, und das wird sie, weil sie die wichtigen Landesverbände hinter sich hat, dann muss sie ihren Weg gehen. Sonst tut sie auch sich selbst keinen Gefallen. Klar ist für mich: Wenn sie angegriffen oder diskriminiert wird, dann wird sie in mir eine starke Verbündete haben.