Doppeltes Foul an Alessandro Hämmerle

Erst wird Alessandro Hämmerle bei der WM im großen Finale als Führender von Martin Nörl zu Sturz gebracht. Dann lehnt die Jury den logischen Protest ab. Die Hintergründe.
Alessandro Hämmerle war gestern nach einem beeindruckenden Wettkampf im großen Finale auf dem Weg zu Gold, auf dem Weg zum Weltmeistertitel. Der Olympiasieger bewies, dass er nach wie vor der schnellste Mann im Feld ist. Obwohl er nach seiner Gehirnerschütterung sechs Wochen pausieren musste und vor zehn Tagen noch überhaupt nicht abschätzen konnte, ob er bei der Weltmeisterschaft in Bakuriani antreten kann. Die Symptome von der Gehirnerschütterung waren immer noch nicht abgeklungen, gewisse Augenbewegungen lösten nach wie vor Schwindelgefühle bei ihm aus.
Abgedrängt
Deshalb kann die gestrige Leistung des Montafoners gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Vom Therapieraum aufs oberste Podest bei der WM – in einem rasanten Kontaktsport wie Snowboardcross eigentlich unmöglich. Hämmerle wäre es gestern gelungen.
Wenn, ja wenn der Deutsche Martin Nörl bei einem waghalsigen Überholmanöver im großen Finale Hämmerle in einer Linkskurve nicht erst von der Piste gedrängt hätte und dann auf Hämmerles Linie weitergefahren wäre, statt seine eigene Linie zu halten und somit Hämmerle Platz zu lassen. „Izzi“ stürzte, der WM-Titel war dahin.

Der Olympiasieger rappelte sich nach dem Sturz auf und kam als Vierter ins Ziel. Eine WM-Medaille, nämlich Bronze, hätte es trotzdem werden müssen. Denn der Vizeweltmeister von 2021 legte ob Nörls Aktion natürlich Protest ein – und eigentlich gab es bei der Aktion des Deutschen keinen Interpretationsspielraum. Die Bilder zeigten eindeutig, dass Nörl mit seinem Manöver Hämmerles Sturz auslöste. Klarer kann ein Foul im Snowboardcross kaum sein.
Nörl hatte bei seinem Überholmanöver nämlich gar nicht die nötige Geschwindigkeit, um an Hämmerle vorbeizukommen. Hätte er den Vorarlberger nicht nach außen über die Strecke abgedrängt, wären die beiden Seite an Seite über den bevorstehenden Sprung gegangen. Die Attacke wäre misslungen. Selbst nachdem er abgedrängt wurde, war Hämmerle praktisch gleichauf mit Nörl – obwohl Hämmerle fast den Zaun berührte und wieder zurück auf den Kurs ziehen musste. Vor dem Sprung zog Nörl dann erneut nach außen, Hämmerle blieb damit vor der Kante samt Tor kein Platz mehr und stürzte, siehe die drei Standbilder aus der ORF-Übertragung.

Abgeschmettert
Die fällige Disqualifikation blieb nach minutenlanger Überprüfung trotzdem aus, was „Izzi“ im Ziel zu Tränen rührte und in Rage brachte. So hat man den 29-Jährigen noch nie gesehen. Der Olympiasieger rang um Fassung: „Meiner Meinung nach reicht es jetzt. Es ist eine Frechheit! Beim Weltcuprennen in Cervinia gab es einen ähnlichen Vorfall, ich weiß nicht, ob da die Farben einer gewissen Flagge bevorzugt werden. Beim letzten Rennen bin ich genau gleich aus dem Rennen genommen worden, auch da ist nichts passiert. Im Nachhinein wird mir dann gesagt, dass es eigentlich ein Foul war, aber dafür kann ich mir nichts kaufen.“

Reine Willkür
Hämmerle, der als fairer Sportsmann weit über die Landesgrenzen hinaus geschätzt wird und nicht für emotionale Überreaktionen bekannt ist, zielte bei seiner Aussage auf den SBX-Renndirektor der FIS ab: den Deutschen Uwe Beier. Nach Meinung vieler bevorzugte Beier zuletzt mehrfach deutsche Boarder. Seine Protest-Behandlungen beruhen jedenfalls auf keiner klaren Regelauslegung und werden im Weltcuptross längst als reine Willkür wahrgenommen.
Beier hatte gestern den Juryvorsitz, nach exklusiven NEUE-Informationen sprach sich der Deutsche klar für eine Ablehnung des Hämmerle-Protests aus. Mit Peter Krogoll gehörte ein weiterer Deutscher der stimmberichtigen Jury an.
Mit dem Franzosen Tobie Jacquemoud saß zudem gar ein sportartfremder FIS-Delegierter in der Jury; Jacquemond stammt aus dem Skicross. Wie es zu so einer Jurybesetzung kommen kann, noch dazu bei einer WM, ist völlig unerklärlich. Die Abstimmung endete 3:1 für eine Ablehnung des Protestes, einzig Ex-Boardercrosser Alberto Schiavon bewertete die Aktion von Nörl als Foul und stimmte im Sinne des Protests. Inzwischen hat der ÖSV auch schriftlichen Protest eingereicht, was eher symbolischen Wert hat. Die Erfolgsaussichten stehen de facto bei null.

Linie
Zum Sturz selbst sagte Hämmerle: „Ich wusste, dass es Martin an der Stelle innen probiert, das kann er ja machen, wenn er meint, aber dann muss er seine Linie halten. Ich war mit dem Schwung früher fertig, er quert meine Linie, touchiert sogar meine Brettspitze, ich muss Richtung Zaun ausweichen, dann kommt noch eine Kompression, ich hatte null Chance und vor dem Sprung ist er auch noch auf meine Seite. Ich kann mir nichts vorwerfen. Außer vielleicht, dass ich ihn vorher umfahren hätte müssen, aber das ist nicht mein Stil.“ Nörl hingegen fand es „doof“, dass er im Ziel so lange auf die Bestätigung des Rennergebnisses warten musste.
Wie es auch sei. Hämmerle steigerte sich gestern von Lauf zu Lauf, hatte die Abgebrühtheit, nach dem Achtelfinale das Brett zu wechseln und dominierte seine Heats nach Belieben – und fuhr vorneweg. Er konnte zwar wie erwartet seiner Konkurrenz nicht vollends enteilen, was dem Windschatten geschuldet war. Der dreifache SBX-Weltcupsieger fuhr aber auch taktisch ein hervorragendes Rennen. Bis er eben im großen Finale unmittelbar bei der letzten Zwischenzeit von Nörl abgeräumt wurde. Danach hätte Hämmerle nur noch der langgezogene Zielhang vom Weltmeistertitel getrennt.
Nörl jubelte auf den letzten Streckenmetern zu früh und wurde noch vom Niederösterreicher Jakub Dusek überholt. Luca Hämmerle schied im Achtelfinale aus und wurde 17. Wahl-Vorarlberger Julian Lüftner scheiterte bereits in den Pre-Heats und musste sich mit Rang 33 begnügen. Heute findet der Teambewerb statt, das Team Österreich bilden Jakob Dusek und Pia Zerkhold.
WM zu Ende
Für die Vorarlberger Delegation ist damit die SBX-WM zu Ende. Hämmerle kehrt ohne Medaille zurück, seine Leistung kann trotzdem nicht hoch genug eingeschätzt werden. Und das wirklich wichtige ist: Hämmerle hat keine Nachwehen vom Sturz, obwohl er mit dem Hinterkopf auf den Untergrund prallte. Vielleicht soll es so sein, dass der Gaschurner bis zur Heim-Weltmeisterschaft 2027 im Montafon auf seinen großen WM-Moment warten muss.