Vor 30 Jahren starb Ayrton Senna

Heute vor 30 Jahren stand die Welt in der Formel 1still: Ayrton Senna verunglückte am 1. Mai 1994 in Imola tödlich. Erinnerungen an den unerreichten König der Formel 1.
Der Tod war jahrzehntelang ein ständiger Begleiter in der Formel 1. Oft traf es die Besten, wie Jochen Rindt 1970, Gilles Villeneuve 1982 oder 1968 Jim Clark, der bei einem Formel-2-Rennen starb. Nina Rindt, die ihren Mann bei einem Unfall in Monza verlor, sagte einst: „Immer, wenn ich ein schwarzes Kleid im Schaufenster sah, habe ich es gekauft. Ich wusste, ich würde es irgendwann brauchen.“ Nach der Einführung des Monocoque-Cockpits aus Kohlestofffasern Anfang der 1980er-Jahre wähnte man sich in der Königsklasse in der trügerischen Sicherheit, den einst so allgegenwärtigen Tod aus der Formel 1 vertrieben zu haben. Diese Illusion platzte vor 30 Jahren beim Rennwochenende in Imola.
Schock
„Du weißt, dass ich das nicht kann“, erwiderte Ayrton Senna seinem engen Vertrauten Sid Watkins am Nachmittag des 30. Aprils 1994 in Imola. Der Rennarzt hatte Senna vorgeschlagen, ja, mahnend darum gebeten, dass beide sofort aus der Formel 1 aussteigen und angeln gehen sollten. Einer Formel 1, die unter Schock stand, in der sich die Schleusen zur Hölle geöffnet hatten. Wenige Minuten zuvor war der Österreicher Roland Ratzenberger beim Qualifying tödlich verunglückt. Er krachte mit über 300 Stundenkilometern in eine Mauer, sein Genick brach. Senna hatte auf einem Monitor in der Box – so wie Millionen Zuschauer vor dem Fernsehgerät – gesehen, wie Ratzenbergers Kopf nach dem Aufprall schlaff nach unten hing, wie die Wiederbelebungsversuche keine Wirkung zeigten. Die Bilder ließen Senna zitternd und schluchzend zusammenbrechen, der Brasilianer stürzte emotional in einen Abgrund, was tags zuvor mit dem Unfall von Rubens Barrichello begonnen hatte. Watkins eröffnete Senna, dass der 34-Jährige alles erreicht hätte und es für ihn an der Zeit sei aufzuhören. Sofort. „Ich kann nicht aufhören“, wiederholte Senna. „Ich muss morgen fahren.“ Keine 24 Stunden später musste Watkins dem Südamerikaner nach dessen Unfall in der siebten Runde den Helm abnehmen. Senna lag im Sterben. „Er sah ruhig aus. Ich hob seine Augenlider, und es war klar, dass er massive Gehirnverletzungen hatte. Wir hoben ihn aus dem Cockpit und legten ihn auf den Boden. Dabei seufzte er, und obwohl ich absoluter Agnostiker bin, fühlte ich, wie ihn in diesem Moment seine Seele verließ.“

Vorahnung
Senna hatte viel Blut verloren, später wusste man, es waren zwei Liter. Was die Kopfverletzung des Williams-Piloten verursacht hat, ist ungeklärt. Sicher ist, dass sich eine Strebe der Radaufhängung durch Sennas Helm bohrte. Watkins äußerte zudem den Verdacht, dass Senna von einem Rad am Kopf getroffen worden war. Auch dass Sennas Kopf beim Aufprall gegen die Mauer schleuderte, ist denkbar. Das Herz des Champions schlug noch, als er an der Strecke verarztet wurde. Der Unfall war in der „Tamburello“-Kurve passiert. Jener Kurve, in der Senna ein Jahr zuvor stand und in einem Interview sagte, er habe das Gefühl, dass in dieser Kurve in diesem Jahr jemand sterben werde. Der tiefgläubige Senna hatte das Unglück kommen gesehen, das auf die Formel 1 zuraste. Aber er konnte nicht ahnen, dass es auch sein Leben kosten würde. In seiner Kolumne für die „Welt am Sonntag“ vom 1. Mai 1994 schrieb der 41-fache Rennsieger – er war belesen, spielte Klavier, sammelte Kunst – dass der Tod von Ratzenberger seine Bedenken verstärkt habe. „Tragische Bestätigung für meine Warnungen“, titelte er. Seiner Freundin offenbarte er am Vorabend seines Todes, er habe ein „ganz schlechtes Gefühl“ für das Rennen. Beim Fahrerbriefing am nächsten Morgen war Senna sehr emotional. Er sprach mit Gerhard Berger darüber, wie die Formel 1 sicherer zu machen sei. Auch mit Niki Lauda diskutierte er. In seiner unnachahmlichen Art mahnte dabei Lauda: „Wenn du als Leader das nicht in die Hand nimmst, werdet ihr euch alle umbringen.“ Senna nickte. Bei der Schweigeminute für Ratzenberger vor dem Start vergoss Senna bittere Tränen. Der WM-Favorit machte auf seine Vertrauten einen entrückten Eindruck. Er schien nichts um sich herum wahrzunehmen.

Heldentaten
Senna war zutiefst bedrückt – und er stand unter Druck. Nach seinem Wechsel zum übermächtigen Williams-Rennstall zur Saison 1994 wurde von ihm der Weltmeistertitel verlangt; der vierte nach 1988, 1990 und 1991. Weil nur die WM-Krone der Ausnahmestellung des Sohns eines Großgrundbesitzers und Industriellen gerecht wurde. Senna war ein Genie mit Herz, ein Getriebener, dessen Stern am hellsten strahlte, wenn die Bedingungen am schwierigsten waren. Weil ihn dann seine überragende Fahrzeugbeherrschung vollends auf eine andere Stufe hob. Wie 1993 in Donington, als mehrfach Regen einsetzte, zwischendurch aber jeweils die Strecke auftrocknete. Senna gewann mit über einer Minute Vorsprung.
Doch die noch junge WM von 1994 entwickelte sich nicht im Sinne von Senna, sein Williams FW16 entpuppte sich als halbfertig. Er war bei den beiden Auftaktrennen ausgeschieden, beide Rennen gewann Sennas neue Reizfigur Michael Schumacher. Zwei Jahre zuvor packte er den Deutschen gar am Kragen. Senna musste also in Imola liefern. Dabei offenbarte er in seiner Kolumne, dass Imola „technisch den wunden Punkt“ seines Williams-Renault bloßlegen würde. „Mein Auto reagiert auf solchen Strecken ein bisschen nervös.“

Tragödie
Es gibt nur Vermutungen, was den Unfall von Senna ausgelöst hat. Warum dessen Williams um 14.17 Uhr in der „Tamburello“-Kurve mit 306 Stundenkilometern von der Fahrbahn schoss, warum er geradeaus und ohne Gegensteuern im flachen Winkel in die Streckenbegrenzungsmauer krachte. Möglich ist ein Bruch der Lenkung. Tage zuvor wurde auf Wunsch von Senna die Lenkstange verlängert. Nach dem Unfall war die Stange an der Schweißstelle gebrochen, ob wegen der Fliehkräfte der „Tamburello“-Kurve und damit unfallursächlich oder durch den Aufprall bei 214 km/h bleibt für alle Zeit ungeklärt. Denkbar ist auch, dass der Wagen aufgrund der zu stark abgekühlten Reifen zwei Runden nach einer Safety-Car-Phase einen zu geringen Bodenabstand hatte.

Der Bolide könnte auf einer Bodenunebenheit so stark aufgesetzt haben, dass der Anpressdruck abriss und Senna die Kontrolle verlor. Dessen Teamkollege Damon Hill stützte diese Theorie, er mutmaßte, Senna hätte die Gefahr der kalten Reifen unterschätzt. 2014 offenbarte Williams-Konstrukteur Adrian Newey, ein Konstruktionsfehler von ihm könnte einen Strömungsabriss ausgelöst haben. Senna wurde mit dem Rettungshubschrauber zur Klinik Maggiore nach Bologna geflogen. Ohne, dass es Hoffnung gab. Fernsehbilder hatten zwar gezeigt, wie Senna nach dem Aufprall den Kopf bewegte, doch das waren nur mehr Reflexe. Im Klinikum wurde er an eine Herz-Lungenmaschine angeschlossen, seine fürchterlichen Kopfverletzungen waren ein herzzerreißender Anblick. Berger eilte zur Intensivstation, um sich von seinem Freund zu verabschieden; er ließ sich durch nichts davon abbringen. Um 18.40 Uhr wurde Senna für tot erklärt.

Charisma
Senna wurde just an jenem Punkt aus dem Leben gerissen, als die Persönlichkeit des charismatischen Champions zu reifen begann. Als der brillante Rennfahrer „immer mehr zu dem Menschen wurde, der er sein wollte“, erinnert sich seine Sprecherin. „Ayrton war nicht einfach. Alles, was er sagte, wurde auf die Goldwaage gelegt. Er hat nicht immer richtig gehandelt, sowohl auf als auch neben der Strecke.“ Legendär sind Sennas erbitterte Duelle mit Alain Prost. 1989 löste Senna in Suzuka einen Crash mit seinem McLaren-Teamkollegen aus, der die Geister schied. Ein Jahr später sicherte sich Senna just mit einer von ihm provozierten Kollision mit Prost seinen zweiten WM-Titel.Nein, das Bild des Heiligen, das heute von Senna gezeichnet wird, ist zu eindimensional. Senna war vielmehr anders. Nachdenklicher. Demütiger. Faszinierender. Besessener. Und eben: schneller. Sein Tod schockte die Welt. In Österreich sprachen Heinz Prüller und Gerhard Berger in der Radiosendung „Freizeichen“ darüber, wie es in der Formel 1 weitergehen konnte. Denn nach Sennas Tod war nichts mehr, wie es mal war.