Sport

Jónsson offen: „Das tut mir in der Seele weh“

11.05.2025 • 08:30 Uhr
Jónsson offen: „Das tut mir in der Seele weh“
Jónsson in der Harder Kabine. Der Isländer machte einen bedrückten Eindruck. Dietmar Stiplovsek

INTERVIEW. Am Samstag beginnt für den Alpla HC Hard die Halbfinalserie gegen die Fivers. Die Roten Teufel müssen dabei ein erstes Mal auf den 26 Monate lang gesperrten Ivan Horvat verzichten. Im Sport-Talk spricht Hard-Coach Hannes Jón Jónsson auch darüber, was die Geschehnisse mit seinem Team machten.

Das erste Thema kann natürlich nur das Foul von Ivan Horvat an Markus Mahr sein. Was sagen Sie dazu, dass Horvat bis 30.6.2027 gesperrt wurde?
Hannes Jón Jónsson:
(überlegt) Ich bin sprachlos. Und das möchte ich an dieser Stelle auch bleiben. Wir haben uns als Verein dazu entschlossen, Berufung gegen das Urteil einzulegen, wir haben dazu eine Mitteilung veröffent­licht, ich bitte Sie um Verständnis, dass ich dieser Mitteilung nichts hinzufügen möchte.

Möchten Sie trotzdem darauf eingehen, wie Sie das Foul von Horvat an Mahr erlebt haben?
Jónsson:
Wir waren alle betroffen und besorgt um Markus.

Dann machen wir einen Perspektivenwechsel, für den möglicherweise einige Bregenz-Fans kein Verständnis haben: Wie geht es Ivan Horvat?
Jónsson:
Danke für diese Frage, Sie sind der erste Journalist, der sich dafür interessiert, wie es Ivan mit all dem geht. Es geht ihm sehr schlecht, das alles be­lastet ihn sehr.

Ich frage vorsichtig nach: Wie geht es weiter?
Jónsson:
Ich bin zum ersten Mal in so einer Situation, die Mannschaft ist geschockt. Es ist gut, dass die Liga pausiert, wir stecken mitten in einem Prozess, alles zu verarbeiten. Und um das Ganze auf eine sportliche Ebene zu bringen: Uns fehlt mit Ivan ein Schlüsselspieler für die entscheidende Saisonphase. Ivan ist so ein überragender Handballspieler und so ein feiner Kerl, er und seine Familie sind super integriert bei uns im Verein. Er hatte so eine großartige Zeit bei uns, und dann bleibt am Ende so eine Geschichte übrig. Das tut mir in der Seele weh.

War es im Nachhinein gesehen richtig, Bregenz zu picken?
Jónsson:
Es war eine rein sportliche Entscheidung von uns, zu der ich auch persönlich stehe. Wir haben von den letzten zwölf Spielen nur eins gegen Bregenz verloren, und diese Niederlage ist drei Jahre her. Die Bilanz hat also klar für uns gesprochen. Oder machen wir einen Schritt zurück. Zur Wahl standen für uns als Grunddurchgangssieger Schwaz, Linz, Bregenz und Vöslau. Schwaz ist meiner Meinung nach die beste der vier Mannschaften, die es nicht in die Top vier geschafft haben. So ein starkes Team pickst du nicht freiwillig. Nach der letztjährigen Finalniederlage Linz zu wählen, wäre dumm gewesen. Und wie unbequem Vöslau ist, haben wir im ÖHB-Cup-Halbfinale gesehen. Es war eine logische Entscheidung, Bregenz zu nehmen, wir haben ja in der Woche vor dem Pick im letzten Grunddurchgangsspiel auch gegen Bregenz gewonnen: Zwar nur mit einem Tor Vorsprung, aber wir hatten das Gefühl, dass wir die bessere Mannschaft waren. Außerdem hatten wir durch den Pick eine ausverkaufte Halle, Bregenz übrigens auch. Nach unserem Pick habe ich teilweise gehört, Bregenz zu wählen sei eine Provokation – das stimmt überhaupt nicht! Bregenz war Siebter nach dem Grunddurchgang, und irgendwen mussten wir nehmen. Sportlich gesehen war die Entscheidung richtig, wir sind in zwei Spielen weitergekommen. Außerdem hätte so eine Szene wie die zwischen Ivan und Markus auch in jeder anderen Partie passieren können.

Der Sport geht bei der Nachbetrachtung des Derbys völlig unter.
Jónsson:
Leider! Es waren zwei richtig geile Spiele. Ich muss Bregenz ein Kompliment aussprechen. Ich habe jedes der 25 Bregenzer Saisonspiele gesehen, da waren Spiele dabei, bei denen sie wirklich nicht gut waren. Aber gegen uns haben sie, mit Ausnahme vom ÖHB-Cup-Spiel, immer das Maximum herausgeholt. Das Viertelfinale gegen Bregenz war österreichisches Top-Niveau.

Wie schwierig war es vor dem Viertelfinale, das Halbfinalaus beim Final Four im ÖHB-Cup wegzustecken?
Jónsson:
Das war richtig schwierig, weil wir unbedingt den ÖHB-Cup gewinnen wollten. Vöslau hat in der zweiten Halbzeit auf sieben Feldspieler umgestellt und es dabei etwas anders gespielt, als es üblich ist. Wir haben keine Lösung dafür gefunden und waren danach sehr enttäuscht. Aber im Sport kommt immer die nächste Aufgabe, wäre es das letzte Saisonspiel gewesen, hätte uns das Spiel wahrscheinlich sehr lange beschäftigt.

Fragt man sich nach so einer Halbfinalniederlage, warum man erneut so ein wichtiges Spiel um einen Titel verloren hat – oder hatte die Niederlage gegen Vöslau nichts mit dem Meisterfinale im Vorjahr gegen Linz zu tun, als Hard in Spiel drei nach einer Zwei-Tore-Führung in der Verlängerung noch verloren hat?
Jónsson:
Nein, da haben wir keinen Zusammenhang hergestellt. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Wir mussten gegen Linz auf Karolis Antanavicius und auf Ivan Horvat verzichten, die beide verletzt ausgefallen sind. Trotzdem hat uns am Ende nur ein Tor auf den Titel gefehlt. Ich glaube nicht, dass eine andere Mannschaft in Österreich den Ausfall von zwei solch wichtigen Schlüsselspielern so gut weggesteckt hätte. Die Niederlage gegen Vöslau ist eine taktische Denkaufgabe für die Zukunft.

Mein Eindruck war, dass Hard gegen Bregenz so ein bisschen die Leichtigkeit fehlte. Hat das Siegtor von Antanavicius in der letzten Sekunde von Spiel zwei das Momentum wieder zurückgeholt?
Jónsson:
Mit Blick auf das, was noch kommt in dieser Saison, war die Schlussphase in Bregenz sehr wichtig. Wir haben da in den letzten knapp 20 Minuten ohne Nico Schnabl und ohne Ivan Horvat gespielt, mit Lukas Fritsch musste ein 19-Jähriger eine große Verantwortung übernehmen. Ivan ist nicht zu ersetzen, doch Lukas musste seine Rolle übernehmen. Er hatte auch vor dem Ausschluss von Ivan sehr gute Szenen in den beiden Spielen gegen Bregenz, aber nach dem Ausschluss von Ivan hat er es dann einfach nur noch überragend gemacht. Elf seiner elf Körperkontakte waren legale Fouls, er hatte drei Würfe und hat drei Tore erzielt. Das heißt, Lukas hat eine 100-Prozent-Leistung gegen Bregenz gezeigt. Ich würde aber gerne noch etwas zu unserer bisherigen Saison anmerken.

Wie immer an der Stelle: Die Platzfrage stellt sich nicht, das Interview wird so lange, wie es wird.
Jónsson:
Wir haben in dieser Saison nur drei Spiele verloren, dass eins davon das ÖHB-Cup-Halbfinale war, ist bitter, aber in einem Spiel kann immer alles passieren. Wir haben in dieser Saison viele Spiele dominiert, wir haben auch mehrfach Spiele gewonnen, bei denen wir in Rückstand lagen. Gegen unseren nächsten Gegner, die Fivers, lagen wir zehn Minuten vor Schluss mit fünf Toren in Rückstand und holten noch einen Punkt. Das werden in der Halbfinalserie alle in den Köpfen drin haben. Oder wenn wir von großen Spielen sprechen: Anfang März spielten wir in Bruck gegen die BT Füchse, das war das Duell Erster gegen Zweiter, wir waren überragend, hatten bis zu neun, zehn Tore Vorsprung.

Trotzdem klappte gegen Bregenz weit nicht alles.
Jónsson:
Das ist natürlich richtig. Wir haben über die gesamte Saison hinweg gesehen im Angriff sehr gut funktioniert, wir haben mit relativ hohem Abstand die meisten Tore geworfen. In den Viertelfinalspielen gegen Bregenz sind wir im Angriff etwas hektisch geworden, das können wir besser. Wobei unser Tempospiel auch gegen Bregenz funktionierte. Die erste, zweite, dritte Welle war sehr gut, 19 unserer 30 Tore in Bregenz haben wir entweder direkt nach einem Tempoangriff erzielt oder durch einen Siebenmeter, den wir dabei herausgeholt haben. Es waren also auch gegen Bregenz gute Dinge dabei im Angriff. Ich nehme aus den Bregenz-Spielen mit, dass unsere Abwehr sehr gut funktioniert, wir haben da eine System­umstellung gemacht, mit der wir defensiv noch stabiler geworden sind.

Können Sie nach einer engen Play-off-Partie eigentlich schlafen?
Jónsson:
Ja, ich kann eigentlich immer gut schlafen. Natürlich beschäftigt mich das Spiel, aber ich löse das immer so, dass ich noch vor dem Schlafengehen das Spiel anschaue. Ich mag das nicht, mit einem Bauchgefühl zu einem Spiel ins Bett zu gehen, an der Seitenlinie hast du einen viel emotionaleren Blick auf das Spiel als danach am Bildschirm, da kriegst du die Fakten sozusagen Schwarz auf Weiß geliefert. Wenn ich mir das Spiel angeschaut habe, sind meine Gedanken sortiert, dann kann ich am nächsten Morgen gleich mit den Planungen für das nächste Spiel beginnen.

Jónsson offen: „Das tut mir in der Seele weh“
Hard-Trainer Jónsson zeigte sich im Gespräch so nachdenklich wie noch nie. Dietmar Stiplovsek

Ohne abschweifen zu wollen: Feiern Sie nach Siegen auch etwas?
Jónsson:
Absolut, wobei feiern in den meisten Fällen ein zu großes Wort ist. Ich setze mich gerne hin und trinke ein, zwei Bier oder ein Glas Wein und versuche runterzukommen. Ich rede mit den Leuten in der Halle, danach fahre ich nach Hause, und wenn alle schlafen gegangen sind, schaue ich mir eben noch das Spiel an.

Wie unterscheidet sich eigentlich das Handballspiel in den Play-offs vom Spiel im Grunddurchgang?
Jónsson:
Grundsätzlich durch nichts. Das Spiel dauert zwei Mal 30 Minuten, es stehen jeweils sieben Spieler am Feld – der Unterschied ist: Jeder geht ans Maximum, keiner gibt ein Spiel verloren, egal wie hoch der Rückstand ist. Das Besondere ist, du kannst in zwei Spielen deine Saison retten, oder, wenn ich das so sagen darf, du kannst sie in zwei Spielen verkacken. Wenn Bregenz gegen uns weitergekommen wäre, wäre alles vergessen gewesen, was davor war. Wenn wir ausgeschieden wären, hätte der Grunddurchgang nichts mehr gezählt. Das ist das Schöne und das Gnadenlose an den Play-offs. Ob der Modus gerecht ist oder nicht, dazu hat jeder seine eigene Meinung, und für beide Perspektiven gibt es gute Argumente. Fairer ist es sicher, wie man es in Deutschland spielt, da gibt es 34 Spieltage, und am Ende ist der Meister, der ganz oben steht. Bei dem Modus wären wir mehr oder weniger durch. Nach 22 Spielen hatten wir 7 Punkte Vorsprung. Aber die Play-offs sind einfach geil, es geht in jedem Spiel um alles, das fasziniert die Menschen, die Berichterstattung ist deutlich umfangreicher, und jeder der acht Vereine hat die Chance, Meister zu werden. Letztes Jahr ist mit Linz der Achte nach dem Grunddurchgang Meister geworden, so was ist unmöglich bei einem reinen Ligamodus.

Inwieweit ist der Spielrhythmus in den Play-offs eine Herausforderung, Hard trifft Samstag, Dienstag und mitunter wieder Samstag auf die Fivers?
Jónsson:
Körperlich ist der Rhythmus natürlich ein Brett, aber das ist für beide Teams gleich. Die Vorbereitung ist gar nicht so intensiv. Vor dem zweiten und dritten Spiel fängst du bei der Analyse ja nicht mehr bei null an, mir macht es riesig Spaß, in einer Best-of-three-Serie die Details zu finden.

Hard hat in dieser Saison schon drei Mal gegen die Fivers gespielt: Können die Fivers Sie überhaupt noch überraschen, oder ist relativ klar, was da für ein Gegner wartet?
Jónsson:
In fast jedem Spiel ergibt sich eine Überraschung, weil sich der Gegner etwas ausgedacht hat. Prinzipiell haben die Fivers seit Jahren ihr Spielsystem, das sie sehr gut umsetzen, es ist auch bekannt, für welche Art Handball wir in Hard stehen. Ich glaube, sowohl Fivers-Trainer Peter Eckl als auch ich haben eine Vorstellung davon, was auf uns zukommt.

Gehen Sie bei der Taktik eher auf die Stärken des Gegners ein oder legen Sie Ihr Augenmerk darauf, das eigene Spiel durchzuziehen?
Jónsson:
Das ist eine großartige Frage, weil das tief in den Sport hinein geht. Ich versuche mehr und mehr, auf das zu schauen, was wir gut machen. Das ist eine Philosophie-Frage, mit der ich mich seit zwei Jahren ganz intensiv beschäftige. Es ist ein schmaler Grat: Du kannst die Stärken des Gegners ja nicht völlig ausblenden, aber wenn du dich immer nur mit dem beschäftigst, was dich bedroht, wenn du immer nur an die Fehler denkst, lassen Sie es mich so sagen: Wenn du immer nur das Negative in den Fokus rückst, dann ziehst du auch das Negative an. Ich bin jetzt 35 Jahre im Handballsport unterwegs, 27 Jahre davon war ich Spieler. Worauf konzentriert man sich bei einer Spielnachbesprechung? Auf die Fehler. Ich kann mich aus Spielerzeiten an Videoanalysen erinnern, nach denen wir Spieler rausgegangen sind und jeder das Gefühl hatte: Wir können ja gar nichts, so viele Fehler, wie wir machen. Ich lege mehr und mehr auch einen Fokus darauf, was wir gut machen – denn auch bei dem, was wir gut machen, können wir noch besser werden. Wenn man zum Beispiel einem Kind immer nur sagt, was es falsch macht und nie lobt, dann macht das etwas mit dem Kind. Man muss ein Kind bestärken, das setzt viel positive Energie und Ehrgeiz frei, noch besser werden zu wollen. Bei einem Handballspieler ist das nicht viel anders. Wahnsinn, worüber wir in unserem Gespräch alles sprechen. Ich finde das super.

Dürfen Play-off-Spiele auch Spaß machen?
Jónsson:
Wenn einem so große Spiele nicht Spaß machen, dann ist man an der falschen Stelle. Ich erinnere mich an unser erstes Fivers-Spiel in dieser Saison. Nach dem Warmmachen will man als Trainer immer etwas Sinnvolles sagen. Wir sind zusammengekommen, ich hatte eine Gänsehaut, und alles, was ich sagte war: „Männer, ist das geil.“ Natürlich stehen bei einem Spiel alle unter Spannung, doch auch, wenn es von außen so ausschaut, dass alle so ernst sind, weil die Spieler ein grimmiges Gesicht machen: die haben schon alle Spaß. Denn für diesen großen Spiele trainierst du ein ganzes Leben lang.

Mir ist bewusst, dass Trainer ungerne über Einzelne sprechen – ich versuche es trotzdem: Was sagen Sie zur Saison von Samuel Wendel?
Jónsson: Ich hatte hohe Erwartungen an Sam, aber er hat sie noch bei Weitem übertroffen. Er bringt gefühlt in der 55. Minute dieselbe Intensität aufs Spielfeld wie in der 5. Minute. Sam hat eine Wurfquote von 85 Prozent. Sam hat vom ersten Tag an überzeugt.

Dann versuche ich es mit noch einem Namen: Golub Doknic.
Jónsson:
Golub ist der Wahnsinn. Er spielt eine sehr, sehr große Saison, wobei ich Lukas Gurskis mitnehmen will: Unser Torhüterduo spielt eine große Saison. Aber natürlich sticht Golub heraus, weil er etwas mehr spielt. Er ist 43 Jahre alt und hat sich, das ist unglaublich, in den vergangenen Jahren noch verbessert. Er bringt den Ball schneller ins Spiel, das hat sein Torhüterspiel geändert. Es liegt auch an Golub, dass wir im Schnitt sechs Tore mehr erzielen als vor fünf Jahren. Golub ist jetzt noch eine Klasse stärker.

Geht Hard mit dem formulierten Ziel in die weiteren Spiele, dass man Meister werden will?
Jónsson:
Der Fokus liegt nicht auf dem Meistertitel. Wir stehen vor der nächsten Etappe, gegen die Fivers wollen wir den nächsten Schritt machen. Unser Fokus liegt dabei nicht auf der Serie an sich, sondern auf dem ersten Spiel am Samstag. Wenn du vom Titel redest, womöglich schon beim ersten Training im Juli, dann baust du Druck auf, sprichst von einem Ziel, das du erst in einem Jahr erreichen kannst. Jetzt ist es zwar kein Jahr mehr, bis der Meistertitel vergeben wird, aber immer noch einen Monat. Das Ziel kann noch bis zu sechs Spiele entfernt sein – und das wichtigste Spiel ist immer das nächste. Der Unterschied zwischen Können und Müssen ist enorm. Wir sprechen nicht vom Titel, sondern davon, das nächste Spiel gewinnen zu wollen. Auch für Ivan.