“Unser Bildungssystem muss endlich im 21. Jahrhundert ankommen”

Zuletzt wurden Forderungen nach einer Abschaffung der Schulnoten laut. Auch die Matura steht in der Kritik. Ist unser Schulsystem noch zeitgemäß?
Die „Wiener Konferenz“, eine Art Landesparteitag der SPÖ-Fraktion aus der Hauptstadt, ist eher selten von nationaler Bedeutung. Und doch löste sie vor rund zwei Wochen eine große Welle der Empörung aus, deren Wogen bis nach Vorarlberg schlugen. Die Wiener SPÖ bereitete auf ihrer Konferenz nämlich einen Antrag vor, der die Abschaffung von Noten in der Schule vorsah. Auch die Matura solle abgeschafft werden, geht es nach den Wiener Sozialdemokraten.
Kritik an der Benotung
Wie kontrovers dieser Vorschlag ist, zeigt sich an der Reaktion der Bundespartei der SPÖ. Diese trägt laut einem Bericht des Standards eine Reform der Matura zwar mit, nicht aber die Abschaffung der Schulnoten. Die Bildungssprecherin der SPÖ in Vorarlberg, Manuela Auer, gibt sich auf Anfrage der NEUE am Sonntag diplomatisch: „Ich denke, es sollte den Lehrkräften im Volksschulbereich zumindest freigestellt sein, ob sie Ziffernoten vergeben wollen oder nicht. In einem ersten Schritt könnte dazu wieder die Wahlfreiheit zur verbalen und schriftlichen Beurteilung umgesetzt werden.“ Grundsätzlich sieht sie das Notensystem allerdings kritisch. Mit dem Start der Schulzeit beginne „ein langjähriger Leidensweg für Kinder und ihre Familien“. Schuld sei der Leistungsdruck, bei dem die Ziffernbewertung eine große Rolle spiele. Eine schlechte Bewertung führe zu Frust und Demotivation bei den Schülern. „Je später also eine Benotung durch Ziffernnoten stattfindet, umso besser“, hält die Landtagsklubvorsitzende deshalb fest.

Auch die Matura in ihrer jetzigen Form hält Manuela Auer nicht für zeitgemäß. „Wer 12 oder 13 Jahre lang in der Schule war und jede Schularbeit und Prüfung mitgeschrieben hat, sollte am Ende seiner Schullaufbahn nicht einen zusätzlichen Prüfungsmarathon absolvieren müssen. Ein positives Abschlusszeugnis im letzten Schuljahr und eine weitgreifende Abschlussarbeit wären hier eine Alternative. So ein Modell würde auch der Vorbereitung auf den Eintritt in die Berufswelt deutlich mehr entsprechen.“, sagt Auer. Sie sagt: „Unser Bildungssystem muss endlich im 21. Jahrhundert ankommen.“
Ausweitung der Vorwissenschaftlichen Arbeit
Ähnliches fordert die Landesschulsprecherin der AHS, Noemi Christa: „Es sollte mehr Wert auf den Weg zur Matura gelegt werden. Die Matura selbst ist nur eine Momentaufnahme.“ Auch Christa schlägt eine Abschlussarbeit als Ersatz vor: „Die vorwissenschaftliche Arbeit sollte ausgeweitet werden. Das fächerübergreifende wissenschaftliche Arbeiten bildet viel mehr von dem ab, was die Schüler können.“ Eine Abschaffung des Ziffernnotensystems begrüßt die Landesschulsprecherin: „Ich finde es absurd, dass das Wissen eines Schülers anhand einer Zahl bewertet werden soll.“ Stattdessen bevorzugt sie eine ausführlichere Form der Bewertung: „Mit einem konstruktiven Feedback der Lehrperson, egal ob verbal oder schriftlich, kann viel besser auf die Stärken und Schwächen der Schüler eingegangen werden.“

Bildungsdirektion ist gegen Abschaffung
Die Bildungsdirektion kann den Ideen von Manuela Auer und Noemi Christa wenig abgewinnen. Eine generelle Abschaffung der Noten lehnt man auf Anfrage der NEUE am Sonntag ab, hält jedoch fest: „Sehr wohl können wir uns vorstellen, dass die Volksschulen wieder mehr Autonomie bei der Umsetzung einer alternativen Leistungsbeurteilung bis inklusive der dritten Schulstufe erhalten, wie es bereits bis 2018 der Fall war. Im Moment ist dies schulautonom nur bis zur zweiten Klasse möglich.“ Ab der ersten Sekundarstufe seien Noten wichtig zur Leistungsorientierung für die Schüler. Ein individuelles Feedback, wie von der Landesschulsprecherin gefordert, begrüßt auch die Bildungsdirektion, allerdings als Ergänzung zu Ziffernnoten.
Auch an der Matura will die Bildungsdirektion festhalten, sie verweist darauf, dass im Falle einer Abschaffung neue Zugangsregeln für Universitäten und Hochschulen geschaffen werden müssten. Allerdings hebt die Behörde auch hervor: „Selbstverständlich ist es wichtig, die Prüfungsformate laufend zu evaluieren. Reines Auswendiglernen von Faktenwissen ist nicht mehr zeitgemäß.“
Nicht mehr zeitgemäß ist für Landesschulsprecherin Noemi Christa noch deutlich mehr im Schulsystem: „Viele Schüler gehen zur Schule, weil sie müssen. Noten, Prüfungen und der Leistungsdruck saugen die Neugierde aus den Schülern heraus. Dabei soll die Schule und der Erwerb von Wissen Spaß machen.“ Manuela Auer geht sogar noch weiter: „Der Notenwahnsinn, Stress und Druck, der rund um den Schulwechsel bei den Zehnjährigen auftritt, muss endlich ein Ende haben. Österreich braucht eine gemeinsame Schule, die der Vielfalt der Bevölkerung und der Verschiedenheit der Kinder und Jugendlichen gerecht wird.“ Ob solche Vorschläge umgesetzt werden, hängt nicht zuletzt von der Nationalratswahl nächstes Jahr ab.