“Trump ist zum Schluss gekommen: Putin ist nicht normal”

Der ukrainische Botschafter Vasyl Khymynets spricht im NEUE-Interview über Trumps massive Waffenlieferungen, Österreichs Neutralität und wieso der Angriffskrieg 2022 auf die Ukraine aus seiner Sicht vermeidbar gewesen wäre.
Herr Botschafter, was führt Sie zu Ihrem Besuch nach Vorarlberg?
Vasyl Khymynets: Jeder Botschafter ist interessiert, das Land zu bereisen, möglichst viele Menschen kennenzulernen und Kontakte zu knüpfen. Das hilft uns Diplomaten, effektiv zu arbeiten. In meiner Situation, geprägt durch den Krieg, ist es mir wichtig, die Menschen in Österreich zu erreichen. Ihnen persönlich Danke zu sagen für die Aufnahme der Ukrainer und für die humanitäre Hilfe. Auf der anderen Seite ist es uns wichtig, die Menschen aufzuklären – Stichwort Desinformation. Leider liefert Putin jeden Tag Beweise, dass er ein Terrorist, ein Mörder und ein Kriegsverbrecher ist. Anders kann man es nicht erklären, wenn Russland binnen einer Woche 1800 Drohnen, mehr als 1200 gelenkte Fliegerbomben und 83 Raketen auf Köpfe der friedlichen Zivilbevölkerung wirft. Das sind Beispiele, die ich den Menschen zeige. Und sie verstehen, dafür gibt es keine Rechtfertigung.

Donald Trump kündigte Anfang der Woche massive Waffenlieferungen an die Ukraine an und drohte russischen Handelspartnern mit 100-Prozent-Zöllen. Wie haben Sie das aufgenommen?
Khymynets: Das Ausmaß der Zerstörung, die Brutalität, der tägliche Terror, getötete Zivilisten und Kinder – dieser Krieg hätte schon längst beendet werden sollen. Das war auch das Ziel von Präsident Trump. Zunächst gab er Putin zu verstehen: Waffenstillstand, um dann einen nachhaltigen und gerechten Frieden zu verhandeln. Putin hat das alles abgelehnt. Die Ukraine unterstützte das vom ersten Tag an. Doch nach fast jedem Gespräch hat Putin mit Bombardements und Morden an Zivilisten reagiert. Auch Trump hat verstanden: Es lohnt sich nicht mehr, mit Putin zu sprechen. Nur eine Strategie lohnt sich: Frieden durch Stärke. Wir sind sehr dankbar, dass Präsident Trump das verkündet hat und die Ukraine mit den USA und den europäischen Partnern gemeinsam an dieser Strategie weiterarbeiten wird.
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Wie sieht ein Plan nach dem Motto „Frieden durch Stärke“ aus?
Khymynets: Putin will keinen Frieden, er kann nur dazu werden. Einerseits durch militärische Stärke – indem der Ukraine geholfen wird, sich militärisch zu verteidigen und militärische Infrastruktur in Russland zu zerstören. Andererseits, indem Russlands Einnahmequellen gestoppt werden. Denn finanzielle Ressourcen, etwa aus Ölexporten, gehen nur in Putins Kriegskasse. Wir alle gemeinsam können schaffen, dass der Preis für diesen Krieg so hoch wird, dass Putin nicht in der Lage ist, ihn fortzuführen.

Zunächst hat sich Trump auf die Seite Putins gestellt, jetzt will er die Ukraine unterstützen. Wie zuversichtlich sind Sie, dass mit seiner Hilfe der Krieg endet?
Khymynets: Ich glaube nicht, dass Trump sich auf die Seite von Putin gestellt hat. Vielleicht war seine Strategie, mit Putin als normalem, psychisch gesundem Politiker zu sprechen. Aber Trump, wie auch alle anderen europäischen Politiker, ist zum Schluss gekommen: Putin ist nicht normal. Nur ein Politiker, der psychisch nicht gesund ist, kann so einen brutalen Krieg führen und so viele Menschen töten lassen, um minimale Gewinne zu erreichen. Die Verluste der Russen sind enorm: Hunderttausende Menschen, über 400 Flugzeuge und über 11.000 Panzer hat Russland schon verloren. In diesem Krieg wurde Russland als Militärmacht entzaubert. Noch haben sie Menschen und Putin nutzt seine einzige Chance, sie als Kanonenfutter an die Front zu schicken. Trump hat verstanden, mit Putin kann man nicht reden, weil er nur auf den weiteren Krieg fokussiert ist. Daher blieb für ihn nichts anderes übrig als das, was er nun beschlossen hat. Ich glaube, das ist für die ganze Welt eine gute Entscheidung. Letztendlich geht es um uns alle.
Nur ein Politiker, der psychisch nicht gesund ist, kann so einen brutalen Krieg führen und so viele Menschen töten lassen, um minimale Gewinne zu erreichen.
Vasyl Khymynets über Wladimir Putin
Inwiefern?
Khymynets: Es geht darum, dass wir alle gemeinsam diesen Krieg beenden und den Respekt vor dem Völkerrecht wieder herstellen. Mit dem Krieg, den Putin seit 2014 gegen die Ukraine führt, ist das Völkerrecht mit Füßen getreten worden. Das hat auch andere Despoten auf den Plan gerufen, zum Beispiel in Nordkorea. Wenn statt dem Völkerrecht das Recht des Stärkeren gilt, ist das der Weg ins Nirgendwo.

Vielerorts, auch in Österreich, werden Stimmen lauter, die auf ein Ende des Kriegs ohne weitere Eskalation der Ukraine drängen. Wie reagieren Sie auf Appelle à la „Frieden um jeden Preis“?
Khymynets: Sie haben recht, immer wieder gibt es solche Aufrufe. Wenig überraschend decken die sich immer mit der Haltung Russlands. Seit es diesen Krieg führt, sehe ich wenig derartiger Appelle an Russland. Aber wenn die internationale Gemeinschaft sich für die Hilfe der Ukraine interessiert, wird diese Kampagne hochgepusht. Ich reagiere darauf sachlich und konkret. Was ist die Ursache dieser Situation? Russland, Putin, sein imperialistischer Krieg. Er will die Ukraine zerstören, er stellt die Existenz des ukrainischen Staates infrage. Es gibt einen Aggressor und ein Opfer. Das Völkerrecht besagt, das Land, welches Ziel der Aggression ist, kann mit internationaler Hilfe rechnen. Diese Hilfe wird geleistet. Aus der Vergangenheit wissen wir: Die Länder, die sich verteidigen, bleiben in der Geschichte. Jene, die aufhören, sich zu verteidigen, verschwinden von der politischen Karte.
„Aus der Vergangenheit wissen wir: Die Länder, die sich verteidigen, bleiben in der Geschichte. Jene, die aufhören, sich zu verteidigen, verschwinden von der politischen Karte.“
Vasyl Khymynets zu Forderungen nach einem “Frieden um jeden Preis.”
Der Verfassungsschutz deckte Frühjahr 2025 ein russisches Desinformationsnetzwerk in Österreich auf. Waren Sie davon überrascht? Und wie gefährlich schätzen Sie diese Kampagnen ein?
Khymynets: Ich bin nicht überrascht, weil wir schon viele Jahre vor 2022 mitverfolgt haben, dass Russland einen gefährlichen hybriden Krieg führt: militärisch, aber auch via Desinformation. Das Ziel ist, Europa zu spalten und dadurch zu schwächen. Vergessen wir nicht, wie Russland 2008 Georgien überfallen hat. Wahrscheinlich haben sie getestet, wie die Welt reagiert – aber es gab keine Reaktion. Dann bekam der Aggressor mehr Appetit und griff 2014 die Krim an. Wiederum verstand er, dass er weitergehen kann. Wir haben gewarnt, diese Gefahr nicht zu unterschätzen. Leider ist das, was im Februar 2022 passiert ist, eine konsequente Entscheidung von Putin. Wir sehen auch weiterhin, wie stark diese Desinformation ist, wenn Politikexperten in den Medien russische Narrative verbreiten. Es gibt die Meinungsfreiheit. Aber wenn man als Sprachrohr Russlands agiert, um dem Aggressor Beihilfe zu leisten, ist das Propaganda für einen völkerrechtswidrigen Krieg.

Denken Sie, bei einer konsequenteren Reaktion Europas auf die Angriffe in Georgien und die Krim wäre der Ukrainekrieg 2022 vermeidbar gewesen?
Khymynets: Eindeutig. Vergessen wir auch den auch Abschuss von Flug MH17 durch die Russen nicht, auch da gab es keine Konsequenzen. Es ging so weit, dass Putin in Großbritannien und anderen Ländern Gegner seines Regimes ermorden ließ. Für mich als Botschafter – das sehe ich besonders hier in Österreich – gibt es einen systematischen Fehler. Die Experten aus dem Westen versuchen Putin immer aus Sicht eines europäischen Politikers zu verstehen, für den Werte zählen, Menschenleben ein Gut sind und soziale Standards existieren. Aber Putin ist ein Despot, solche Kategorien sind ihm fremd. Er hat nur ein Ziel: Herrschaft. Er wollte quasi eine Sowjetunion 2.0 aufbauen und mit der Eroberung der Ukraine wäre er ganz nahe am Ziel gewesen. Wer hätte ihn dann in Europa stoppen können? Die Welt hat auch auf die Situation davor nicht adäquat reagiert. Alles begann mit seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007. Während die Welt gerätselt hat, was er meint, hat er nur gelacht. Weil alles nach seinem Plan lief.
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Der Krieg schreitet jetzt schon fast dreieinhalb Jahre fort. Merken Sie in Österreich eine gewisse Kriegsmüdigkeit?
Khymynets: Ich sehe weiterhin starke Empathie und die Bereitschaft zu helfen. Das gibt uns Mut und Hoffnung. Auch die Gemeinden engagieren sich, zum Beispiel mit Partnerschaften. Ein gutes Beispiel ist die Stadt Bregenz. Sie hat letztes Jahr eine Partnerschaft mit Jaremtsche gestartet. Auch heuer war eine Delegation aus Bregenz in der Westukraine. Sie wollen helfen, sie verstehen die Lage, in der sich die ukrainische Bevölkerung befindet. Solche Fälle gibt es mehr und mehr. Dafür bin ich dankbar.

Wie bewerten Sie Österreichs Neutralität? Hätten Sie sich neben der humanitären Unterstützung Österreichs auch militärische Hilfe erhofft?
Khymynets: Die Ukraine respektiert den neutralen Status Österreichs. Wir erwarten nicht, dass Österreich uns militärisch hilft. Die humanitäre Hilfe ist Ausdruck der Menschlichkeit. Als Botschafter zeige ich immer, dass jedes Rettungsfahrzeug und jedes medizinische Gerät bei den Menschen ankommt. Dafür danke ich sehr, auch Ihren Leserinnen und Lesern. So wird die gemeinsame ukrainisch-österreichische Geschichte geschrieben.
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Zur Person
Vasyl Khymynets (*1970) ist seit Oktober 2021 ukrainischer Botschafter in Österreich. Bereits von 1997 bis 2001 war er zweiter Sekretär an der ukrainischen Botschaft in Österreich, ehe er in verschiedenen Tätigkeiten im ukrainischen Außenministerium und an der Botschaft in Deutschland arbeitete. Er ist studierter Germanist.