Vorarlberg

“Im Herbst werden die Insolvenzen spürbar zunehmen”

23.08.2025 • 12:00 Uhr
"Im Herbst werden die Insolvenzen spürbar zunehmen"
Mitte Mai übernahm Nathaniel Heinritz die Standortleitung des Kreditschutzverbands 1870. Klaus Hartinger (5)

Der neue Standortleiter der KSV 1870, Nathaniel Heinritz, spricht im NEUE-Interview über die aktuelle Insolvenzentwicklung und gibt für die nächsten Monate eine beunruhigende Prognose ab.

Es gibt wohl einfachere Konjunkturlagen, um KSV-Standortleiter zu werden. Wie sind Sie dazu gekommen?
Nathaniel Heinritz: Ich bin ausgebildeter Jurist und habe zuletzt auch als Unternehmensjurist gearbeitet. Daher weiß ich aus erster Hand, was die Unternehmen im Hinblick auf rechtliche Themen, Zahlungsmoral und Insolvenz umtreibt. Dieses Rüstzeug, gepaart mit der Möglichkeit, den KSV in Vorarlberg als Standortleiter repräsentieren zu können – wegen dieser Kombination habe ich mich auf die Stelle beworben. Wie erwähnt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind aktuell sehr schwierig. Der KSV bietet mehrere Dienstleistungen an: Etwa sind wir Wirtschaftsauskunftei. Das heißt, Unternehmen können die Bonitätsauskunft über uns beziehen. Als weitere Säule haben wir das Forderungsmanagement, landläufig als Inkasso bekannt. Und wenn Insolvenz angemeldet wird, vertreten wir die Gläubiger vor Gericht. Das alles sind Services, die in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten wichtig sind.

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Vor seiner Tätigkeit beim KSV 1870 war Heinritz als Unternehmensjurist tätig.

Ihre Vorgängerin Regina Nesensohn sprach im Dezember davon, dass wir in Sachen Unternehmensinsolvenzen an das Niveau der Finanzkrise 2008 gelangen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Heinritz: Ich kann nur von der Insolvenzentwicklung im ersten Halbjahr 2025 berichten. Bei den Unternehmensinsolvenzen in Vorarlberg haben wir ein Minus von rund 21 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum 2024. Das geht gegen den Österreich-Trend. Aber die letzten zwei bis drei Jahre hatten wir einen Nachholeffekt: Aufgrund der Corona-Pandemie wurden viele Insolvenzen nicht eröffnet, davon gab es einen großen Rückstau und dieser ist jetzt abgebaut. Unsere Prognose für die zweite Jahreshälfte ist – auch aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage – dass die Unternehmensinsolvenzen wieder spürbar zunehmen werden. Vorarlberg ist keine Insel der Seligen, auch wir spüren Zollkonflikte, den Ukraine-Krieg und Russland-Sanktionen. Als exportorientiertes Bundesland werden wir in der zweiten Jahreshälfte an den negativen Österreich-Trend anknüpfen. Bei den Privatkonkursen sind wir mehr oder weniger auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr.

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Sie sprachen den entgegengesetzten Trend bei den Insolvenzen in Vorarlberg an. Welche Besonderheiten machen unseren Wirtschaftsstandort gegenüber anderen Bundesländern aus?
Heinritz: Einerseits haben wir in Vorarlberg einen anderen Branchenmix wie in anderen Bundesländern: Bei uns sind Weltmarktführer aus diversen Bereichen in ihrer Nische sehr erfolgreich tätig und dementsprechend robust aufgestellt. Andererseits ist Deutschland ein wichtiger Exportmarkt und in Vorarlberg erwartet man sich aufgrund der großen Investitionen, die die deutsche Regierung angekündigt hat, einen Konjunkturmotor. Ich glaube aber nicht, dass das ein langanhaltendes Ausnahmesiegel ist.

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Einen anderen Branchenmix und die Nähe zu Deutschland macht Heinritz als Hauptfaktor für die gegenläufige Insolvenzentwicklung in Vorarlberg aus.

In Vorarlberg sind 32 Prozent der Unternehmenspleiten auf Gründungsfehler zurückzuführen – bundesweit sind es 20 Prozent. Welche Fehler geschehen bei Firmengründungen am häufigsten?
Heinritz: Das ist für mich schwer im Detail zu beurteilen. Eine Erklärung kann sicherlich sein, dass Vorarlberg in Sachen Unternehmensgründungen – Stichwort Pioniergeist – überdurchschnittlich viele den Sprung in die Selbstständigkeit wagen und ein Unternehmen gründen. Wir wissen aus Statistiken, dass viele der Gründer es nicht schaffen, dass ihr Unternehmen einen Marktbestand hat. Das heißt, haben wir mehr Gründer, gibt es ein größeres Risiko, dass sie früher oder später Insolvenz anmelden müssen. Außerdem ist fehlendes Eigenkapital ein Thema. Dadurch ist die Vertrauensbasis bei potenziellen Geschäftspartnern nicht so groß.

"Im Herbst werden die Insolvenzen spürbar zunehmen"
Heinritz im Gespräch mit der NEUE am Sonntag in den Räumlichkeiten des KSV in Feldkirch.

Die Branchen mit den meisten Insolvenzen im ersten Halbjahr waren einmal mehr Handel, Gastronomie und Baugewerbe. Warum trifft es so häufig diese drei?
Heinritz: In der Handelsbranche ist insbesondere der Einzelhandel stark betroffen. Mit der fortschreitenden Digitalisierung und großen Online-Versandanbietern steht er schon länger unter Druck. Die Inflation verstärkt diese Dynamik. In Krisenzeiten stellt man bei privaten Haushalten eine größere Kaufzurückhaltung fest. Die Gastronomie ist generell häufig von Insolvenzen betroffen. Hier sind die Eintrittshürden vermeintlich kleiner als bei anderen Gewerben. Besonders kleinere Gastronomiebetriebe und Imbissbuden geraten aufgrund von hohen Energiepreisen und Personalkosten unter Druck. Auch hier merkt man die Kaufzurückhaltung: Eine Familie, die früher jedes Wochenende essen gegangen ist, tut das vielleicht nur noch einmal im Monat. Beim Baugewerbe merken wir die strengeren Kreditvergaberichtlinien für Banken. Gleichzeitig hat die Inflation zu teureren Rohstoffen und in weiterer Folge zu einem Auftragsrückgang geführt. Es ist sicherlich ein neues Phänomen, dass das Baugewerbe in Vorarlberg so stark betroffen ist.

“Eine Familie, die früher jedes Wochenende essen gegangen ist, tut das vielleicht nur noch einmal im Monat.”

Nathaniel Heinritz über die Gründe, warum es so viele Insolvenzen in der Gastronomie gibt.

Von 73 insolventen Betrieben im ersten Halbjahr wurde bei 28 gar kein Verfahren eröffnet. Worauf ist das zurückzuführen?
Heinritz: Wenn ein Verfahren abgewiesen wird, hat das damit zu tun, dass kein Vermögen zur Kostendeckung da ist. Das sind oftmals Anträge von öffentlich-rechtlichen Gläubigern wie der ÖGK oder dem Finanzamt. Damit vor Gericht überhaupt ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann, muss ein Kostendeckungsvermögen da sein. Ist das nicht gegeben, muss der Antragsteller einen Kostenvorschuss vorstrecken. In den genannten Fällen wird das nicht getan, weil für den öffentlich-rechtlichen Antragsteller klar ist: Da wird nicht mehr viel zu holen sein. Weil das häufig Unternehmen betrifft, die nur kleine Eigenkapitalrücklagen haben, gibt es hier eine steigende Tendenz.

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Deuten irgendwelche Anzeichen auf eine Verbesserung der Lage bei den Insolvenzen hin?
Heinritz: Der Blick in die Kristallkugel ist mir natürlich nicht möglich. Auf absehbare Zeit ist kein Turnaround ersichtlich – was 2025 angeht, aber voraussichtlich auch nächstes Jahr nicht. Das hat mit der gesamtwirtschaftlichen Wetterlage zu tun. Wichtig wird, dass die handelnden Personen in der Politik das Stimmungsbild wieder heben, indem sie Leuchtturmprojekte vorantreiben und nicht zu viele bürokratische Regularien auf die Unternehmen abladen. Ein moderater Lohnabschluss im Herbst wäre sicher auch hilfreich. Vor Kurzem wurde eine Studie veröffentlicht, wonach jedes zweite Unternehmen seine Stelle trotz Fachkräftemangel nicht nachbesetzt, eben weil die Wirtschaftslage so schlecht ist.

"Im Herbst werden die Insolvenzen spürbar zunehmen"
Eine Entspannung der Insolvenzlage ist für den KSV-Standortleiter noch nicht absehbar.

Sind Sie optimistisch, dass die Protagonisten in der Politik die genannten Punkte umsetzen?
Heinritz: Das kann ich in meiner Position nicht beurteilen. Aber unabhängig davon, wer am Ruder ist: Die Fakten liegen am Tisch. Der Wirtschaftsstandort Europa hat viele Themen, wie hohe Energiekosten und Inflation, die hausgemacht sind und wo es europäische Ansätze braucht, um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA wiederherzustellen.

Stichwort Europa: 2019 waren Sie Vorarlberger SPÖ-Spitzenkandidat bei der EU-Wahl. Wie viel Sozialdemokrat steckt im KSV-Standortleiter Nathaniel Heinritz?
Heinritz: Die zwei Jahre in der Politik sind ein Teil meiner Biografie, aber seitdem war ich als Unternehmensjurist aktiv. Wir als KSV sind überparteilich, daher spielt meine Vergangenheit in der Politik für die Funktion gar keine Rolle.

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Würden Sie ein politisches Comeback in Erwägung ziehen?
Heinritz: Nein. Ich bin seit sechs Jahren nicht mehr politisch aktiv und kein Parteimitglied mehr. Das war ein interessantes Kapitel, zu dem stehe ich auch, aber es ist abgeschlossen.

zur Person

Nathaniel Heinritz (37) hat am 15. Mai 2025 die Standortleitung des Kreditschutzverbands 1870 in Vorarlberg von Regina Nesensohn übernommen. Zuvor war der studierte Rechtswissenschaftler als Unternehmensjurist und bei der Arbeiterkammer tätig. Bei der EU-Wahl 2019 kandidierte er als Vorarlberger Spitzenkandidat der SPÖ.