Er zeigt Blinden, was auf der Festspielbühne passiert

Die Bregenzer Festspiele machen mit einer Live-Audiodeskription erstmals auch blinden Gästen ein vollständiges Opernerlebnis möglich.
Ein Mann steht mit weit geöffneten Armen auf der Bühne, seine Brust bebt. Rauch zieht über den Boden, irgendwo schreit ein Chor. Wer sehen kann, erlebt in diesem Moment ein Zusammenspiel aus Licht, Bewegung, Kostüm und Klang. Wer nicht sehen kann, dem bleibt das akustische Fragment.

Dass es auch anders geht, zeigen die Bregenzer Festspiele. Am 28. Juli boten sie auf Initiative des Hauptsponsors Casinos Austria bei einer Aufführung der Hausoper Œdipe von George Enescu eine Live-Audiodeskription für blinde und sehbehinderte Menschen an. Parallel zur Vorstellung im Großen Saal des Festspielhauses wurde jede sichtbare Regung auf der Bühne präzise beschrieben, live eingesprochen von Sebastian Kaufmann.

Opernpremiere für Sportsprecher
„Es war auch meine erste Oper. Ich bin sonst bei Bundesliga-Spielen oder beim Song Contest im Einsatz“, sagt der Sprecher im Interview. Für das Projekt bereitete sich der 39-Jährige mit einem Videomitschnitt der Generalprobe vor. Drei- bis viermal sah er sich die Inszenierung an, fertigte Notizen an, plante Pausen zwischen den Gesangslinien und erstellte ein Sprecher-Skript. „Ich sage nur was passiert, nicht ob jemand schlecht singt oder sich schwach bewegt. Das Publikum soll sich selbst ein Bild machen“, erklärt Kaufmann.

Blinde Musikerin im Publikum
Silvia Habisch hat das getan. Die 67-jährige Bregenzerin ist blind geboren, sieht sie fast nur Konturen zwischen hell und dunkel. Farben, die speziell in der Inszenierung der Festspiele von zentraler Bedeutung sind, kennt sie dennoch: „Wenn die Sonne scheint und etwas knallrot ist, erkenne ich die Farbe.“
Gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Blinden- und Sehbehindertenverbands nahm sie an der Aufführung teil.

„Ich war erstaunt, wie viel da los war auf der Bühne. Das habe ich nur durch die Beschreibung erfahren“, schildert Habisch.

Die gebürtige Tirolerin spielt Flöte im Sonnenorchester Salzburg, einem Ensemble mit blinden und sehbehinderten Musikern. Die anspruchsvolle Oper Œdipe erlebte sie dennoch als Herausforderung: „Ohne der in Brailleschrift gedruckten Einführung wäre ich überfordert gewesen. Da der dritte Akt aus einem vertonten Gespräch besteht, hätte ich ihn ohne die Deskription nicht verstanden.“ Gerade das Nebeneinander von Musik und beschreibendem Kommentar empfand die Bregenzerin als ungewohnt. „Ich war hin- und hergerissen. Manchmal hätte ich einfach der Musik zuhören wollen, dann aber wieder nichts verstanden, wenn ich den Ton leiser drehte.“ Eine kurze inhaltliche Einführung vor jedem Akt hätte ihr geholfen, den Überblick zu behalten. Habischs Resümee der Audiodiskreption lässt sich als sehr wertvoll, aber noch ausbaufähig zusammenfassen. Uneingeschränkt begeistert hingegen ihre Urteil zu Œdipe: „Bläser, Sänger, Chor, alle Musiker waren unglaublich gut. Da ist der Freischütz nichts dagegen, auch wenn er mir auch gefallen hat.“

In Echtzeit übersetzten
Auch für Kaufmann war das Format Neuland. Als langjähriger Sportkommentator ist er gewohnt, in Echtzeit zu beschreiben, was er sieht. Die Herausforderung liegt in der Gleichzeitigkeit. Im Gegensatz zu Filmen oder Sportübertragungen bietet die Oper keine festen Pausen für Kommentare. Musik, Gesang und Szene laufen parallel. „Man muss sich alles, was man sieht, merken und sofort in Sprache übersetzen“, erklärt der gebürtige Salzburger. Da die Oper auf Französisch gesungen wurde, las er auch die deutschen Übertitel vor. Dabei orientierte sich Kaufmann an Kostümen, Farben und Raumaufteilung. „Weißer Nebel, der sich blau verfärbt, ein roter Hintergrund mit Holzstruktur. Solche Details sind wichtig. Denn auch blinde Menschen können sich etwas unter Himmelblau oder Blutrot vorstellen.“

Habisch kann sich dem nur Anschließen. „Wie die Künstler angezogen und was für Farben den Akten zugeordnet sind, das fand ich sehr interessant. Die Augen wären ja umsonst, wenn man ohne sie alles umfassen könnte“, lacht die Frohnatur mit heiterer Stimme.
Technisch umgesetzt wurde das Angebot über eine drahtlose Höranlage mit Kopfhörern. Knapp 100 an der Zahl, sollen sie zukünftig auf allen Bühnen des Hauses zum Einsatz kommen.