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„Lieber Paragrafen abschaffen als die Gestaltungsbeiräte“

13.09.2025 • 18:00 Uhr
„Lieber Paragrafen abschaffen als die Gestaltungsbeiräte“
Andreas Pfeifer leitet die Bauverwaltung Montafon. Stiplovsek

Bauverfahren, Bewilligungen, Widmungen und besonders aktuell: die rechtmäßige Nutzung von Maisäßgebäuden. Die NEUE am Sonntag traf Andreas Pfeifer von der Montafoner Bauverwaltung in Schruns.

NEUE am Sonntag: Worin bestehen ihre Aufgaben und Funktionen?

Andreas Pfeifer: Ich bin als Leiter der Bauverwaltung Montafon tätig. An dieser Verwaltungsgemeinschaft sind fast alle Montafoner Gemeinden – mit der Ausnahme von Gaschurn und Stallehr – beteiligt. Unsere zentrale Aufgabe besteht darin, die baurechtlichen Agenden zu bearbeiten. Wir sind die ausführende Hand, die vorbereitet, prüft und begleitet. Die endgültige Entscheidung fällen nach wie vor die Bürgermeister, die im Baugesetz ganz klar als oberste Bauinstanz vorgesehen sind.

„Lieber Paragrafen abschaffen als die Gestaltungsbeiräte“
Pfeifer spricht sich für den Rechtsstaat aus, sieht aber Probleme in der Gesetzgebenung.Stiplovsek

NEUE am Sonntag: Warum haben Sie sich für diese Aufgabe entschieden?

Pfeifer: Ich war Ersatzmitglied in der Gemeindevertretung in Schruns unter Bürgermeister Erwin Bahl. Dadurch war ich in den Bauausschüssen tätig und konnte die Umsetzung von Projekten mitverfolgen. Parallel dazu war ich zehn Jahre lang in einem Architekturbüro angestellt. Irgendwann stand ich an dem Punkt: Entweder ich mache mich selbstständig oder ich verändere etwas Grundsätzliches. Der damalige Bürgermeister lud mich auf einen Kaffee ein, und dieses Gespräch entpuppte sich dann als mein Bewerbungsgespräch. Mir wurde eine Perspektive eröffnet, die über einzelne Projekte hinausging – nämlich die Gründung der Bauverwaltung Montafon. Eine entscheidende Weichenstellung in meinem Leben.

NEUE am Sonntag: Ihre Ausbildung liegt in der Architektur. Der jetzige Beruf hat aber auch viel mit Recht zu tun. Wie schaffen Sie den Spagat?

Pfeifer: Das war tatsächlich eine Herausforderung. Ich habe Architektur studiert, im Büro gearbeitet und hatte mit juristischen Fragen fast nichts zu tun. Heute hingegen dreht sich vieles um Baurecht, Raumplanung und Verfahren. Dass ich einmal regelmäßig vor Gericht sitzen würde, hätte ich mir nie träumen lassen. Aber ich sehe es nicht als Nachteil, kein Jurist zu sein. Im Gegenteil: Als Architekt habe ich einen anderen Blickwinkel. Juristen sind gezwungen, streng nach Paragrafen zu denken, ohne Fehler machen zu dürfen. Als Nicht-Jurist kann ich hier etwas freier und mit einer gesunden Portion Hausverstand argumentieren.

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Die NEUE am Sonntag im Gespräch mit dem gebürtigen Schrunser.Stiplovsek

NEUE am Sonntag: In der Architektur geht es ebenfalls um Interpretation. Gerade beim Ortsbild sind die Vorgaben aber oft schwammig: Wie gehen Sie damit um?

Pfeifer: Ein spannendes Feld. Es geht nicht nur um die Gestaltung der Gebäude selbst, sondern um die Maßstäblichkeit und Setzung der Gebäude – also um den Freiraum und wie die Gebäude in der Umgebung in Erscheinung treten. Wir haben in Vorarlberg zum Glück die Gestaltungsbeiräte. Sie prüfen, beraten und verbessern Projekte. In Schruns haben wir seit vielen Jahren gute Erfahrungen damit gemacht. Die Menschen sehen oft nur das fertige Projekt und wissen gar nicht, wie es ohne Gestaltungsbeirat ausgesehen hätte. Der Unterschied ist enorm. Natürlich polarisiert Gestaltung: Nicht jeder hält ein Ergebnis für schön. Aber in Summe erhöhen die Beiräte die Qualität der Baukultur deutlich.

NEUE am Sonntag: Die Industriellenvereinigung kritisiert, dass es zu viele Beiräte gebe, besonders in Vorarlberg. Außerdem wird die Unabhängigkeit der Mitglieder infrage gestellt.

Pfeifer: Ein Gestaltungsbeirat ist für alle Beteiligten zunächst ein Mehraufwand. Er kostet Zeit, er kostet Geld. Für Bauherren bedeutet er zusätzliche Hürden. Entscheidend ist: Was am Ende herauskommt, ist besser. Was die Unabhängigkeit betrifft: Architekten in Beiräten sind professionelle Leute. Wenn es irgendwo eine Befangenheit gibt, tritt das Mitglied zurück – das zeigt die Praxis. In Schruns haben wir bewusst externe Experten eingesetzt, aus dem Bregenzerwald, aus Bregenz, ja sogar aus der Schweiz. Damit wollten wir vermeiden, dass persönliche Verflechtungen eine Rolle spielen.

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Pfeifer mit einem klaren Bekenntnis zu den Gestaltungsbeiräten.Stiplovsek

NEUE am Sonntag: Trotzdem werden dadurch die Verfahren verlängert. In anderen europäischen Ländern sind diese teilweise in einem Drittel der Zeit abgewickelt. Was sagen Sie dazu?

Pfeifer: Ich bin grundsätzlich für Verwaltungsvereinfachung. Aber das Schlagwort „Entbürokratisierung“ ist oft ein bisschen Augenauswischerei. Vieles ist hausgemacht, weil wir als Gesellschaft immer mehr absichern wollten. Lieber Paragrafen abschaffen, als die Gestaltungsbeiräte. Es gibt den Bauherrn, der sich über zu viele Vorschriften beschwert. Und den Nachbarn, der sagt: Es gibt viel zu wenige Vorschriften. Beiden recht zu geben, ist unmöglich. Die Landesregierung hat uns Bauämter aufgefordert, Vorschläge einzubringen, wie man das Bau- und Raumplanungsgesetz vereinfachen könnte. Wir haben Vorschläge zur Vereinfachung gemacht. Tatsächlich wurden überwiegend zusätzliche Vorschriften gefordert. Das zeigt das Dilemma.

NEUE am Sonntag: Großprojekten werden aber oft durch anonyme Anzeigen Steine in den Weg gelegt und sie werden unnötig in die Länge gezogen. Wie bewerten Sie das?

Pfeifer: Wir leben in einem Rechtsstaat. Das bedeutet: Jeder hat das Recht, Einspruch zu erheben. Das ist mühsam, ja. Aber es ist auch ein Schutz. Verwaltung ohne Einspruchsmöglichkeiten wäre nur unter einem Diktator möglich – und das will niemand. Das Problem ist die Balance: Verfahren dürfen nicht endlos dauern, gleichzeitig muss Rechtsschutz für Betroffene bestehen. 

„Lieber Paragrafen abschaffen als die Gestaltungsbeiräte“
Ein Wunsch des Verwaltungsspezialisten: die Änderung des Baugesetzes.Stiplovsek

NEUE am Sonntag: Kommen wir zu einem besonders heiklen Thema: den Maisäßen. Warum sind diese Fälle so emotional?

Pfeifer: Im Montafon gibt es rund 1500 Maisäße, davon 922 Wohngebäude. Ursprünglich waren sie rein landwirtschaftlich genutzt – Existenzgrundlage vieler Familien. Heute ist diese Nutzung verschwunden, stattdessen dominiert die Freizeitnutzung. Investoren kaufen Grundstücke, wollen Ferienhäuser bauen. Gleichzeitig wächst der Druck von außen – durch Tourismus, E-Biker, Wanderer. Je mehr Menschen unterwegs sind, desto mehr Anzeigen gibt es. Viele glauben, wir würden aktiv kontrollieren. Das stimmt nicht. Wir suchen nicht nach Verstößen. Aber wenn eine Anzeige hereinkommt, müssen wir handeln. Dann entsteht schnell ein Flächenbrand: Der eine zeigt den anderen an, der Nachbar reagiert – und plötzlich hat man eine Kette von Verfahren.

NEUE am Sonntag: Viele Bürger argumentieren: „Ich nutze das Haus seit Jahrzehnten.“

Pfeifer: Leider gilt das baurechtlich nicht. 50 Jahre sind aus menschlicher Sicht viel, baurechtlich aber nichts. Das Problem ist: In Vorarlberg gibt es keine Möglichkeit, alte Schwarzbauten nachträglich rechtlich zu sanieren. Andere Bundesländer kennen solche Regelungen, mit Stichtagen von 30 oder 35 Jahren. Das würde uns enorm helfen.

NEUE am Sonntag: Was ist mit alten Bewilligungen?

Pfeifer: Ein schriftlicher Bescheid schafft Rechtssicherheit – selbst wenn er schlecht ist. Ein mündlicher Bescheid ohne Protokollierung hingegen existiert nicht. Problematisch ist, wenn nachträglich Abweichungen gebaut wurden. Dann muss geprüft werden: Sind sie bewilligungspflichtig? Können sie saniert werden? Das macht viel Arbeit und sorgt für Konflikte.

NEUE am Sonntag: In der Bevölkerung herrscht oft das Gefühl: Manche dürfen alles, andere nichts.

Pfeifer: Der Grundsatz ist klar: Das Gesetz gilt für alle. Aber es stimmt, dass Unterschiede spürbar sind. Wohlhabende Bauherren treten mit Anwälten und Planern auf, die jedes Schlupfloch kennen. Normale Bürger tun das nicht. Das bedeutet nicht, dass Reiche mehr bekommen – aber sie nutzen die Spielräume professioneller aus.

NEUE am Sonntag: Haben Sie Versuche erlebt, Sie persönlich zu beeinflussen?

Pfeifer: Glücklicherweise nein. Bestechungsversuche oder Geschenkkörbe hat es nicht gegeben. Wir arbeiten sehr transparent. Wichtig ist, mit den Menschen zu reden, ihnen die Lage zu erklären. Der schlimmste Weg wäre, Bescheide einfach kommentarlos zuzustellen. Und wenn jemand eine Beschwerde einlegt, ist das sein gutes Recht. Wir kochen alle nur mit Wasser. Auch unsere Bescheide können aufgehoben werden – das passiert selten, aber es kommt vor. Das gehört zu einem Rechtsstaat.

NEUE am Sonntag: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Pfeifer: Vor allem eine gesetzliche Möglichkeit, ältere teilweise „schwarz“ errichtete Bauten rechtlich zu sanieren. Damit ließen sich viele Konflikte entschärfen. Und: Weniger neue Vorschriften, mehr Klarheit. Das wäre eine echte Entlastung.

„Lieber Paragrafen abschaffen als die Gestaltungsbeiräte“
Andreas Pfeifer leitet seit 2010 die Bauverwaltung Montafon. Stiplovsek

Zur Person

DI Andreas Pfeifer ist 58 Jahre alt und lebt in Schruns. Er ist Leiter der Bauverwaltung Montafon, verheiratet und Vater von drei Kindern. Er verbringt seine Freizeit gerne aktiv in der Natur – sei es mit dem Mountainbike, auf Skitouren oder bei Ausflügen ins Freie.

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(NEUE am Sonntag)