_Homepage

Schulstart nach Scheidung – Stresstest für Kinder

13.09.2025 • 18:00 Uhr
Schulstart nach Scheidung – Stresstest für Kinder
Katharina Moriggl (l.) und Sonja Baldauf von Rainbows Vorarlberg. Stiplovsek

Der Schulbeginn ist für Kinder ein aufregender Moment. Doch wenn sich die Eltern trennen, kann er auch schnell zur Belastungsprobe werden. Rainbows Vorarlberg bietet professionelle Unterstützung an.

Die ersten Schultage nach den Ferien sind für alle Kinder aufregend. Für jene, deren Eltern sich gerade getrennt haben, sind sie jedoch mehr als ein Neubeginn – sie werden zum Stresstest. Zwischen zwei Haushalten, zwei Stundenplänen und oft auch zwei Welten müssen sie Orientierung finden, während andere unbeschwert mit Freundinnen und Freunden ins Klassenzimmer stürmen.
„Die vertraute Familie, so wie das Kind sie kennt, gibt es plötzlich nicht mehr. Das löst Unsicherheit aus, dazu kommen Gefühle wie Trauer, Wut, Angst oder Überforderung“, beschreibt Sonja Baldauf, pädagogische Leiterin von Rainbows Vorarlberg, die Situation. Manche Kinder entwickeln körperliche Symptome wie Bauchschmerzen oder Schlafstörungen, andere ziehen sich zurück. „Es gibt aber auch Kinder, die nach außen stark und fröhlich wirken. Doch das bedeutet nicht, dass sie innerlich schon mit der Trennung fertig sind.“

Scheidungskinder-schulstart
Wenn sich Eltern trennen, kann der Schulbeginn schnell zur Belastungsprobe für die Kinder werden. sos-kinderdorf

Unterstützung

Rainbows, unter dem Dach von SOS-Kinderdorf, unterstützt Kinder in Trennungssituationen dabei, Gefühle auszudrücken und neue Stabilität zu finden. In Gruppen oder Einzelbegleitungen lernen sie, dass alle Emotionen erlaubt sind – auch jene, die im Alltag oft keinen Platz haben. „Wir möchten den Kindern vermitteln, dass sie nicht falsch sind, wenn sie traurig, wütend oder verunsichert sind“, erklärt Baldauf. „Wenn sie merken, dass andere Ähnliches erleben, fällt eine große Last von ihnen ab. Sie spüren: Ich bin nicht allein.“

Schulstart nach Scheidung – Stresstest für Kinder
Katharina Moriggl und Sonja Baldauf im Gespräch mit der NEUE am Sonntag. Stiplovsek

Unsicherheit

„Ein neuer Schulstart ist ohnehin eine große Herausforderung. Wenn dann noch im Sommer eine Trennung passiert, kommt eine zusätzliche Belastung dazu“, betont auch Katharina Moriggl, Diplompädagogin bei Rainbows. „Während andere Kinder unbeschwert in die Schule starten, fragen sich manche: Wer bringt mich heute? Wer unterschreibt mein Mitteilungsheft? Solche scheinbar kleinen Fragen können riesige Unsicherheit auslösen.“ Viele überlegen zudem, ob sie Mitschülerinnen und Mitschülern von der Trennung erzählen sollen. „Manche möchten unbedingt, dass es niemand erfährt. Andere wollen, dass es bekannt ist, möchten aber nicht darüber sprechen“, berichtet Moriggl. Gemeinsam sei ihnen jedoch ein Wunsch: einfach nur Kind sein – nicht „das Kind mit getrennten Eltern“.

Schulstart nach Scheidung – Stresstest für Kinder

Wichtige Bezugspersonen

Eltern und Pädagogen spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Kindern in dieser Phase Sicherheit zu geben. „Lehrpersonen sind für Kinder sehr wichtige Bezugspersonen. Wenn sie über die Familiensituation informiert sind, können sie Verhalten besser einordnen und das Kind im Alltag auffangen“, weiß Moriggl. Auch die Klassengemeinschaft könne helfen, indem sie das Kind nicht ausgrenzt, sondern einbezieht.

Zu den Personen

Name: Sonja Baldauf
Geboren: 11. Juli 1986
Familienstand: Verheiratet
Beruf: Pädagogische Leitung
Hobbys: Fußball, Hund Arco, Natur

Name: Katharina Moriggl
Geboren: 8. September 1986
Familienstand: Verheiratet, zwei Kinder
Beruf: Diplompädagogin
Hobbys: Bücher, kreative Dinge, Natur

Fokus auf das Kind

Für die Eltern selbst ist die Trennung ebenfalls eine enorme Herausforderung. „Wichtig sind klare Absprachen – immer mit dem Fokus auf das Kind“, so die Diplompädagogin. Konflikte sollten möglichst im Hintergrund bleiben. „Ganz entscheidend ist, dass das Kind nicht zum Boten zwischen Mama und Papa wird. Es braucht Struktur, Klarheit und das Gefühl: Ich darf beide Eltern lieben.“ Kinder sehnen sich nach solchen klaren Rahmenbedingungen. „Wenn Erwachsene verlässlich handeln, entsteht wieder Orientierung. Kinder wissen dann: Ich kann mich darauf verlassen, dass Absprachen gelten.“

Schulstart nach Scheidung – Stresstest für Kinder
Die Räumlichkeiten von Rainbows in Hohenems. Stiplovsek


Eine große Bedeutung hat auch die sogenannte Exklusivzeit. „Kinder wünschen sich Zeit mit beiden Eltern. Nach einer Trennung gibt es aber meist klare Aufteilungen. Exklusive Zeit nur mit Mama oder Papa ist dann besonders wichtig – vor allem, wenn neue Partner dazukommen“, erklärt Baldauf. Manche genießen sogar, dass sie mehr ungeteilte Aufmerksamkeit erhalten als zuvor. Problematisch werde es hingegen, wenn neue Partner zu schnell eine Rolle spielen. „Das Kind sollte unbedingt vorbereitet werden – und nur, wenn es sich wirklich um eine stabile, längerfristige Beziehung handelt“, sagt Baldauf. „Ständig wechselnde Partner sind sehr belastend. Außerdem sollten beide Elternteile informiert sein, damit das Kind nicht in unangenehme Situationen gerät.“

Rainbows

Rainbows wurde 1983 in den USA gegründet. Damals gab es für Kinder und Jugendliche nach einer Trennung oder Scheidung der Eltern kaum Möglichkeiten, professionelle Unterstützung zu bekommen. 1991 kam das Angebot auch nach Österreich. In Vorarlberg gibt es Rainbows-Gruppen seit 2019. Heute unterstützt Rainbows österreichweit – von Vorarlberg bis ins Burgenland – Kinder und Jugendliche nach Trennung, Scheidung oder auch nach dem Tod eines Elternteils. Seit 1991 haben österreichweit bereits mehr als 33.000 Kinder Unterstützung erhalten. In Vorarlberg arbeitet eine teilzeitangestellte Landesleiterin zusammen mit zwei nebenberuflichen Mitarbeiter*innen am Projekt Rainbows. Träger von Rainbows Vorarlberg ist das SOS-Kinderdorf. Der Sitz der Organisation in Vorarlberg befindet sich in Hohenems.

Vielfältige Angebote

Um Familien zu unterstützen, bietet Rainbows vielfältige Angebote. „Wir beraten Eltern – oft schon vor der Trennung“, sagt Baldauf. Dazu gehört auch die gesetzlich vorgeschriebene Paragraf-95-Beratung. Für Kinder gibt es Gruppen- und Einzelbegleitungen. Die Gruppen umfassen Kinder zwischen vier und zwölf Jahren, Jugendliche nehmen eher Einzelangebote in Anspruch. Diese laufen jeweils über acht Einheiten, zweimal im Jahr – im Herbst und im Frühjahr. „Wir arbeiten kreativ – mit Malen, Basteln, Spielen und Geschichten. So gelingt es den Kindern leichter, über ihre Gefühle zu sprechen“, beschreibt Katharina Moriggl. Begleitende Elterngespräche sind fester Bestandteil des Programms, denn auch die Eltern brauchen Orientierung und Entlastung.
Seit Juni gibt es zudem die Möglichkeit einer professionellen Besuchsbegleitung. Dabei erhalten Familien eine sichere Struktur, damit Kinder den Kontakt zu beiden Elternteilen halten können.

Scheidungskinder-schulstart
Früh Hilfe suchen, kann die ganze Familie entlasten. sos-kinderdorf

Hemmschwellen abbauen

Ein großes Anliegen ist den Mitarbeiterinnen von Rainbows, Hemmschwellen abzubauen. „Nicht alle Eltern trauen sich, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Manche haben Hemmungen, weil sie denken, sie müssten das allein schaffen“, sagt Baldauf. „Dabei gilt: Lieber früh Hilfe suchen als zu spät – das entlastet die ganze Familie.“ Mit der richtigen Unterstützung können Kinder ihre Anpassungsfähigkeit entfalten. „Kinder sind unglaublich stark, wenn sie begleitet werden“, betont Moriggl. „Jedes Kind sollte die Chance haben, den Schulstart nicht als zusätzliche Krise, sondern als echten Neubeginn zu erleben.“