Thema Demenz – “Ich habe die Zeit geliebt”

”Sie muss nichts, sie darf alles”,– Dagmar Ullmann-Bautz über die Pflege ihrer demenzkranken Mutter.
Wenn Dagmar Ullmann-Bautz über die Jahre spricht, in denen sie ihre Mutter pflegte, dann tut sie das mit einer bemerkenswerten Ruhe und Liebe.
„Ich habe die Zeit geliebt“, sagt sie ohne Zögern. „Und es war mir nie zu viel.“ Seit über zehn Jahre lang begleitet sie ihre an Demenz erkrankte Mutter, die ersten fünf davon besonders intensiv. Eine Zeit, die sie heute als „Geschenk“ bezeichnet.
Die Theaterpädagogin und Leiterin des ANARTtheater in Hard befasst sich mit diesem Thema nicht nur in der Praxis, sondern auch künstlerisch. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Daniela Egger brachte sie ein Theaterstück zum Thema Demenz auf die Bühne. „Es ist mir wichtig, über diese Erfahrung zu sprechen“, sagt sie. „Denn ich weiß, wie sehr es helfen kann, Geschichten von anderen zu hören.“
Reise in ein fremdes Land
Ullmann-Bautz beschreibt die Demenz ihrer Mutter als eine Art Reise, nicht nur für die Erkrankte, sondern auch für die Angehörigen. Dazu zieht sie folgenden Vergleich: „Demenz ist wie eine Reise in ein fremdes Land. Du sprichst die Sprache nicht, kennst die Gepflogenheiten nicht. Wenn du dich dort wohlfühlen willst, musst du dich darauf vollkommen einlassen und komplett in die Welt der Person eintauchen.“ Sie selbst hat früh erkannt, dass es nichts bringt, den neuen Alltag mit Rationalität oder Korrektur zu begegnen.
„Wenn meine Mutter etwas sagte, das nicht stimmte, dann habe ich sie nicht verbessert. Ich bin stattdessen in ihre Welt eingetaucht“, erzählt sie gegenüber der NEUE. Diese besondere Haltung hat den Umgang miteinander verändert und die Beziehung vertieft. „Wenn du da mitgehst und dich dieser neuen Welt öffnest, dann habt ihr es fein miteinander.“
Struktur und Zuwendung
In den ersten fünf Jahren pflegte sie ihre Mutter gemeinsam mit ihrer Schwester und war daneben voll berufstätig. Die beiden organisierten sich stets genau untereinander: „Wir hatten genaue Tagespläne, wer wann kommt und wer was übernimmt.“ Trotz der Belastung erinnert sie sich an diese Zeit mit Wärme. „Ich habe es als intensive, schöne Jahre erlebt.“
Ein wesentlicher Teil dieser Pflege war auch Aktivierung. Also den Geist und Körper der Mutter möglichst lange fit zu halten. „Wir haben jeden Tag eine Stunde Gehirntraining und eine Stunde Körpertraining gemacht“, erzählt sie. Vom Kreuzworträtsel bis zu einfachen Rechenaufgaben – stets angepasst an die Fähigkeiten der Mutter. „Wichtig ist, herauszufinden, was jemand noch kann, und genau dort anzusetzen. Und dann loben, loben, loben.“

Kreuzfahrt
Auch Reisen gehörten dazu, sogar ein paar Kreuzfahrt wurde gemeinsam unternommen. „Sie hat das genossen“, erinnert sich Dagmar Ullmann-Bautz. „Gerade die Crewmitglieder auf dem Schiff hatten ein unglaublich gutes Gespür und auch Verständnis für alte Menschen.
Offener Umgang mit Demenz
Ein großes Anliegen von Dagmar Ullmann-Bautz ist der offene Umgang mit Demenz. „Als meine Mutter erkrankte, war das Thema noch stark tabuisiert“, erinnert sie sich. Viele Freunde der Familie hätten den Kontakt abgebrochen. „Sie wussten nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten.“
Heute beobachtet sie Fortschritte: „Es gibt Demenzcafés, es gibt Projekte wie ‚Aktion Demenz‘, die auch in Schulen gehen. Das ist so wichtig.“ Trotzdem bleibe noch viel zu tun. „Menschen mit Demenz werden zu schnell ausgeschlossen. Dabei tun sie niemandem weh. Sie brauchen nur Menschen, die sie annehmen.“
„Sie muss nichts, sie darf alles “, lautet dabei das Motto. Am Ende des Gesprächs fasst Dagmar Ullmann-Bautz ihre Haltung in einem Satz zusammen, der ihre Pflegephilosophie prägnant beschreibt: „Sie darf alles, sie muss nichts – solange es ihr oder anderen nicht schadet.“ Dieser Satz steht für eine Haltung der Liebe, der Freiheit und des Respekts. Für eine Tochter, die gelernt hat, loszulassen.
„Wir haben in dieser Zeit so viel gelacht wie nie zuvor“, sagt Ullmann-Bautz. Die Demenz mag ihrer Mutter vielleicht viele Erinnerungen genommen haben aber gleichzeitig einiges an Freiheit und Gelassenheit geschenkt. „Sie war immer sehr darauf bedacht, dass alles ganz korrekt abläuft. Mit der Demenz hat sie dann aber das Loslassen gelernt.
„Lesung & Gespräch“ zum Thema Demenz
Wie in den letzten Jahren veranstaltet die Aktion Demenz in Kooperation mit der Landesbüchereistelle in verschiedenen Vorarlberger Bibliotheken die Veranstaltungsreihe „Lesung & Gespräch“ „Das Konzept hat sich bewährt und wird wirklich sehr gerne angenommen“, sagt Daniela Egger, Leiterin der Aktion Demenz. Mit dem Alter sind viele Menschen von einer Demenz betroffen und die Familien stehen vor der Frage, was nun auf sie zukommen wird.
Bei der kostenlosen Veranstaltungsreihe „Lesung und Gespräch“ rückt ein kurzer literarischer Einstieg die Gespräche und Erzählungen in den richtigen Rahmen. Anschließend sprechen eine pflegende Angehörige und eine Fachkraft aus Medizin und Pflege. Sie berichten über persönliche Erfahrungen, diskutieren philosophische Gedanken zum Vergesse. Betroffene oder Interessierte dazu eingeladen, ihre Fragen zu stellen, von ihren Erfahrungen zu berichten.
Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist erforderlich.
Termine
Dornbirn: Donnerstag, 16. Oktober, 19 Uhr, Stadtbibliothek Dornbirn, Schulgasse 44a, Tel. 05572/3064820, E-Mail stadtbibliothek@dornbirn.at
Blons: Dienstag, 21. Oktober, 19 Uhr, Walserbibliothek Blons, Blons 9, Tel. 0664/8469500, E-Mail blons@walserbibliothek.at
Götzis: Montag, 17. November, 19 Uhr, Bibliothek Götzis, Am Garnmarkt 5, Tel. 05523 64551, E-Mail bibliothek@goetzis.at
Lauterach: Mittwoch, 26. November, 19 Uhr, Bibliothek Lauterach, Montfortplatz 16, Tel. 05574 7160123, E-Mail biblio@bibliothek-lauterach.at
Bregenz: Freitag, 28. November, 19 Uhr, Pfarrheim St. Gallus, Kirchplatz 1, Tel. 0650 620 77 52, E-Mail roswitha.wiltschi@cable.vol.at