Vorarlberg

Hinschauen: Wie man bei häuslicher Gewalt richtig reagiert

HEUTE • 11:08 Uhr
Hinschauen: Wie man bei häuslicher Gewalt richtig reagiert
Am 27. November werden die Lichter auf Orange geschaltet um auf häusliche Gewalt aufmerksam zu machen. Hartinger

In Österreich werden jedes Jahr dutzende Frauen von ihren (Ex-)Partnern getötet. Experten erklären, wie man reagieren kann, wenn man Gewalt im eigenen Umfeld vermutet.

Jedes Jahr werden in Österreich mehr Frauen als Männer ermordet. Allein letztes Jahr waren es 40 Fälle. Meist sind es Beziehungsdelikte in denen der Partner seine Gefährtin tötet.
Erst Ende September wurde ein 26-jähriger Mann zu lebenslanger Haft am Landesgericht Feldkirch verurteilt, nachdem er für die vorsätzliche Tötung seiner ehemaligen Lebensgefährtin schuldig gesprochen wurde. So soll er nach jahrelanger körperlicher Misshandlung die Mutter seiner zwei kleinen Töchter am Ufer der Bregenzerache erschlagen haben.

Die Frage nach dem Warum

Bei derart Meldungen eröffnen sich zwei Hauptfragen: „Wie konnte es so weit kommen?“ und „Was kann getan werden, damit derlei Vorfälle weniger, beziehungsweise möglichst gar nicht mehr vorkommen?“
Die NEUE hat sich mit der zweiten Frage an die Amazone und das Männercafe in Bregenz gewandt.

„Um Gewalt nachhaltig zu bekämpfen, müssen gesellschaftliche Strukturen und Denkmuster verändert werden,“ betont Brigitte Stadelmann von der Amazone. „Es braucht vor allem umfassende Bildung zu Geschlechterstereotypen, Programme zur Gewaltprävention und Maßnahmen, die die gerechte Aufteilung von Care-Arbeit fördern sowie, bis dahin, niederschwellige und spezifische Angebote für Betroffene.“

Markus Schwärzler vom Männer*café unterstreicht: „Gewalt betrifft uns alle, sie darf weder toleriert noch entschuldigt werden. Nur durch gemeinsames Handeln kann eine Gesellschaft entstehen, in der alle Menschen sicher leben.“

Jeder kann in seine Situation kommen, in der er mit dem Thema häusliche Gewalt konfrontiert wird. Die NEUE hat hierfür den Vereinen vier hypothetische Situationen genannt und gefragt, welche Reaktion darauf sie empfehlen würde.

Eine Vermutung

Angenommen, man hat das Gefühl, ein Freund oder eine Freundin lebt in einer von Gewalt geprägten Beziehung. Wie geht man da am besten vor?
Dazu antwortet Stadelmann: „In Kontakt und Beziehung bleiben, auch wenn sich die Freundin distanziert – das ist zentral,“ sagt Brigitte Stadelmann von der Amazone. Kontrolle und Isolation seien häufig Teil eines gewaltvollen Systems. „Man sollte Transparent mit der eigenen Befürchtung umgehen, aber ohne Druck oder Vorwürfe. Es besteht die Gefahr dass eine gewaltbetroffene Frau sich sonst zurückzieht und nicht mehr erreichbar ist.“ Zusätzlich rät das Männer*café, Gespräche behutsam zu führen und nicht zu urteilen. Gewaltbeziehungen seien komplex und oft von Scham und Angst geprägt. „Es geht darum, dass die betroffene Person das Gefühl hat, nicht allein zu sein und selbst die Kontrolle über ihr Handeln behält.“ Hilfreich sei, auf Beratungsstellen hinzuweisen oder gemeinsam Sicherheitsstrategien zu überlegen.

Zeuge sein

Auf die Frage hin, was getan werden soll, wenn man Zeuge von Gewalt wird, rät Stadelmann: „Wegschauen ist keine Option“, betont Stadelmann. „Aber Eingreifen soll immer mit Bedacht geschehen – eigene Sicherheit geht vor.“ Wer sich unsicher fühlt, könne andere Passantinnen ansprechen oder Polizei und Sicherheitspersonal hinzuziehen.
Auch das Männercafé rät dazu, „durch ruhige Ansprache oder Sichtbarkeit zu deeskalieren – etwa mit einem einfachen ‚Ist alles in Ordnung?‘.“
Wenn das zu gefährlich ist, könne auch das „Zeuge sein und später Hilfe holen“ ein wichtiger Beitrag sein.

Verharmloste Gewalt

Stellt man sich vor, man hat eine Kollegin, die kommt mit sichtbaren Verletzungen zur Arbeit kommt, sie diese aber herunter spielt und sagt, sie hätte ihren Partner schon auch geschlagen.
Für so eine Situation schlägt der Verein Amazone vor: „Es ist wichtig, die Bagatellisierung zu durchbrechen,“ sagt Stadelmann. „Klar benennen, dass körperliche oder psychische Gewalt niemals okay ist, und Unterstützung anbieten.“
Das Männer*café ergänzt: „Gewalt bleibt Gewalt, egal wer ‚anfängt‘.“ Entscheidend sei, zuzuhören, ohne zu verurteilen – und zu signalisieren, dass Hilfe jederzeit möglich ist.

Gewalt rechtfertigen

Angenommen, ein Freund erzählt, dass seine Lebensgefährtin ihn öfters wütend macht Er sagt, dass er sie liebt, aber manchmal muss er ihr auch einfach zeigen „wo ihr Platz ist“, sonst würde sie ihm auf dem Kopf rumtanzen. Wie reagiert man auf solch eine Aussage am besten?
„Wenn jemand sagt, er müsse seiner Partnerin zeigen, ‚wo ihr Platz ist‘, dann muss man widersprechen – klar und deutlich, “ so Stadelmann.
Markus Schwarzl vom Männer*café betont, dass gerade Männer Verantwortung übernehmen sollten: „Solche Aussagen dürfen nicht unbeachtet bleiben. Es braucht klare Haltung und Reflexion darüber, was dahinter steckt – häufig geht es um verletztes Selbstwertgefühl oder Machtansprüche.“

Psychische Gewalt

Beide Einrichtungen machen auch deutlich, dass Gewalt nicht nur auf körperlich Basis stattfindet. „Demütigung, Kontrolle, Isolation , auch das sind Formen von Gewalt,“ sagt Stadelmann.
Das Männer*café ergänzt: „Jugendliche müssen lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen und Empathie zu entwickeln.“ Dazu gehört auch dazu, dass man Rollenbilder hinterfragt und sichere Räume zu schaffen. Dazu gehören beispielsweise Frauenhäuser, Vereine und Beratungsstellen.

Ausblick

In den letzten Jahren wurden in Vorarlberg mehrere Femizide verzeichnet – zuletzt vor nicht einmal einem Monat in Kennelbach.
Trotz der erschütternden Fälle sehen beide Einrichtungen teils Fortschritte: Initiativen wie „StoP – Stadtteile ohne Partnergewalt“ und der Nationale Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen (2025) setzen verstärkt auf Prävention, Aufklärung und niedrigschwellige Hilfsangebote.
Trotzdem wird bedauert, dass diese Maßnahmen in Vorarlberg derzeit leider mehr eingeschränkt anstatt ausgebaut werden.