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So geht es mit der ehemaligen Spinnerei in Feldkirch-Gisingen weiter

HEUTE • 12:00 Uhr
So geht es mit der ehemaligen Spinnerei in Feldkirch-Gisingen weiter
Tobias Forer-Pernthaler, Vorstand der F.M.Hämmerle Holding AG. führte die NEUE durch das Fabriksgelände. Stiplovsek

Wo einst Garn gesponnen wurde, wächst ein neues Stück Stadt. Auf dem denkmalgeschützten Areal in Feldkirch-Gisingen sollen Wohnungen, Gewerbeflächen und öffentliche Räume entstehen. Ab Dezember wird die Fabrik zunächst temporär bespielt.


Wer durch das kürzlich eröffnete Quartier „Illufer“ spaziert, sieht, wie sehr sich Feldkirchs Stadtteil Gisingen hier verändert hat. Das Gebiet zwischen Hämmerlestraße und Ill, nur wenige Fahrminuten von der Innenstadt entfernt, wurde von der F.M. Hämmerle Holding AG in den letzten zwanzig Jahren etappenweise bebaut. Heute finden sich hier unter anderem 220 Wohnungen, ein Nahversorger sowie Dienstleistungs- und Gewerbebetriebe. Zwischen den Neubauten stehen auch historische Gebäude: Die sogenannte Direktorenvilla und das Buchhalterhaus gehörten zur Spinnerei, die das wirtschaftliche Leben in Feldkirch mehr als ein Jahrhundert lang geprägt hat.

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74.500 Quadratmeter

Das Fabriksgelände, einen Steinwurf weiter stadtauswärts, umfasst rund 74.500 Quadratmeter. Die Werkshalle und das firmeneigene Wasserkraftwerk – eine der frühesten erhaltenen Energieerzeugungsanlagen Österreichs – stehen seit 2005 unter Denkmalschutz. Wer das Eingangstor an der repräsentativen Fassade betritt, unternimmt eine Zeitreise ins vorige Jahrhundert. Alte Schilder weisen den Weg zu den Abteilungen, im sogenannten Sprechzimmer hängt eine Kreidetafel. Das Dach der 10.000 Quadratmeter großen Halle wird getragen von einem Wald aus gusseisernen Stützen. In der Schlosserei liegen die Werkzeuge bereit, als hätten die Arbeiter erst gestern ausgestempelt. Hinter der Halle steht eine Lokomotive aus Zeiten der Donaumonarchie in einem Schuppen. Die Werksbahn, die erste elektrische Normalspurbahn Österreichs, wurde für die Zufuhr der Baumwolle und den Garntransport genutzt.

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Die denkmalgeschützte Halle ist 10.000 Quadratmeter groß. Stiplovsek

Zwischennutzung

Nach Jahren des Stillstands sollen der Verwaltungstrakt und ein kleiner Teil der Halle wieder belebt werden. Ab Dezember ist eine Zwischennutzung geplant, die mit einem Adventmarkt als Auftakt beginnt. „Wir möchten in den nächsten Jahren ausprobieren, welche Nutzungen hier langfristig funktionieren könnten“, sagt Vorstand Tobias Forer-Pernthaler, als er die NEUE durchs weitläufige Areal führt. Viele Menschen in Gisingen hätten über Generationen in der Spinnerei gearbeitet. „Jetzt möchten wir das Areal öffnen und den Gisingern etwas zurückgeben.“

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Lukas Böckle erstellt ein Zwischennutzungskonzept. Hartinger

Mit der Zwischennutzung ist Lukas Böckle beauftragt. Der Vorarlberger Architekt leitet die in Wien ansässige Agentur für Leerstandsmanagement Nest. Zu seinen bisherigen Projekten zählen eine Zwischennutzung in der Wiener Krieau sowie die Villa Müller am Ardetzenberg in Feldkirch, die er vor einigen Jahren zu einer Kulturplattform und Pension machte. „Derzeit evaluieren wir die Potenzialflächen für die Aktivierung dieses besonderen Ortes“, sagt Böckle. Er spricht von einem Experimentierfeld für neue Nutzungen und niederschwellige Formate, etwa Ateliers, Pop-up-Gastronomie oder kleine Veranstaltungen. Geplant sei, Synergien mit lokalen Vereinen und Initiativen zu schaffen, um das Areal schrittweise zu öffnen und mit Leben zu füllen.

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Die repräsentative Fassade der ehemaligen Spinnerei. Wo einst Garn gesponnen wurde, wächst ein neues Stück Stadt. Auf dem denkmalgeschützten Areal in Feldkirch-.Gisingen sollen Wohnungen, Gewerbeflächen und öffentliche Räume entstehen. Ab Dezember wird die Fabrik zunächst temporär bespielt.Stiplovsek

Herausforderungen

Die langfristige Nachnutzung der denkmalgeschützten Halle ist wohl eine der größten Herausforderungen des Projekts. Sie erfordert Lösungen für Belichtung, Schallschutz und flexible Raumanpassung, ohne die historische Struktur zu verändern. „Für diese Aufgabe braucht man Herzblut. Sonst wird es eine 08/15-Geschichte und das ist nicht der Anspruch, den ich habe“, sagt Forer-Pernthaler. „Box-in-Box-Module“ könnten seiner Ansicht nach eine vielseitige Nutzung ermöglichen. „So kann in einem Teil der Halle ein klassisches Büro entstehen, daneben vielleicht eine kleine Werkstatt, eine Restauration oder sogar ein kleiner produzierender Betrieb“, erklärt er. „Wir haben im Vorfeld bereits eine Potenzialanalyse machen lassen, und die zeigt deutlich: Für Nutzungen wie Büro, Dienstleistung oder Gastronomie gibt es am Standort mehr als genug Nachfrage“, sagt Forer-Pernthaler. Er bekomme jetzt schon Anfragen, etwa von Ärzten oder Büros, die sich für Flächen interessieren.

Die ehemaligen Baumwolllager, die – anders als das Verwaltungsgebäude, die Halle und das Kraftwerk – nicht unter Denkmalschutz stehen, sollen ebenfalls erhalten bleiben und könnten künftig für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden. Zwischen Halle und dem sogenannten Hämmerle-Wald ist eine neue Bebauung mit Wohnungen und Gewerbeflächen vorgesehen. Die in früheren Medienberichten genannten Größenordnungen – 300 bis 350 Wohnungen und rund 5000 bis 6000 Quadratmeter Gewerbefläche – sind laut Forer-Pernthaler derzeit noch nicht fixiert. „Diese Zahlen werden im laufenden Planungsprozess weiter konkretisiert“, sagt er. Ziel sei es, ein zukunftsfähiges Stadtteilzentrum für Gisingen zu entwickeln, das Wohnen, Leben und Arbeiten an einem Ort vereint.

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Das Kraftwerk, ebenfalls Ende des 19 Jahrhunderts erbaut und später adaptiert, läuft noch wie geschmiert und produziert fleißig Strom. Stiplovsek
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Schalttafel aus Marmor mit historischen Anzeigeneinrichtungen. Stiplovsek

Kooperativer Planungsprozess

Für die städtebauliche Entwicklung des Spinnerei-Areals läuft seit 2024 ein kooperativer Planungsprozess, an dem neben der Abteilung Stadtplanung der Stadt Feldkirch auch politische Vertreterinnen und Vertreter, das Bundesdenkmalamt, die Landesraumplanung, der Landesgestaltungsbeirat und der Fachbeirat für Architektur und Stadtplanung beteiligt sind. Laut Tobias Forer-Pernthaler verlaufe die Zusammenarbeit mit Stadt, Land und den beteiligten Fachgremien „von Beginn an hervorragend“. Parallel arbeitet ein international besetztes Planungsteam an den städtebaulichen Konzepten, darunter das renommierte Architekturbüro MVRDV aus Rotterdam, das unter anderem in Tokyo, Paris, Oslo und Madrid große Projekte realisiert hat.

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Auch die ehemalige Schlosserei soll samt Schmiedeofen erhalten bleiben. Stiplovsek
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Zeitplan

Mit dem Entwurf eines Gesamtkonzepts wurde bereits ein erster Meilenstein erreicht. Das Papier wurde von der Begleitgruppe abgestimmt und Ende September im Planungsausschuss der Stadt Feldkirch vorgestellt. In den nächsten Monaten soll der Gesamtrahmenplan fertiggestellt werden. Zum Jahresende 2025 sind wieder Informationsabende geplant, bei denen die Ergebnisse des Planungsprozesses der Bevölkerung präsentiert werden. Die Umsetzung des Projekts ist in mehreren Etappen vorgesehen. Erste Bauabschnitte sollen ab 2032/2033 beginnen.

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Bürgermeister Manfred Rädler. Hartinger

Stadt wünscht sich eine erträgliche Entwicklung

Die Stadt Feldkirch begleitet das Projekt eng. Bürgermeister Manfred Rädler (ÖVP) spricht sich für eine schrittweise und für Gisingen verträgliche Entwicklung der Neubauten aus. Ebenso wichtig sei der Erhalt und die Aufwertung des Hämmerle-Wäldchens. Stadtrat Thomas Spalt (SPÖ) betont aus stadtplanerischer Sicht den sparsamen Umgang mit Grund und Boden, die Schaffung von Freiräumen, eine gute Durchwegung sowie die Zugänglichkeit des Quartiers. Dass eine neue Bebauung auch mehr Verkehr bringe, sei der Stadt bewusst. Spalt verweist darauf, dass die denkmalgeschützte Halle derzeit noch von einem Logistikbetrieb genutzt wird, diese Nutzung aber irgendwann entfällt. Dadurch werde der Schwerverkehr deutlich abnehmen. Zugleich solle das Gelände künftig besser an den Stadtbus und das Radwegenetz angebunden werden.

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Im sogenannten Sprechzimmer hängt noch eine Kreidetafel. Stiplovsek


Auch die Bevölkerung ist in den Planungsprozess eingebunden. Bereits im Juni 2024 lud F.M. Hämmerle zu einer ersten Informationsveranstaltung auf dem Gelände. Besucherinnen und Besucher konnten die Hallen besichtigen und ihre Anregungen und Ideen einbringen. In den Rückmeldungen wünschten sich viele einen Mehrwert für Gisingen, etwa Räume für Vereine, Freizeit- und Sportangebote, Kinderbetreuung oder medizinische Versorgung. Auch die Reduktion des Lkw-Verkehrs wurde häufig genannt.

Interview / Rundgang mit Denkmalschützerin Barbara Keiler.
Denkmalschützerin Barbara Keiler. Hartinger

Das sagt der Denkmalschutz

Auch das Bundesdenkmalamt begleitet den Prozess aufmerksam. Für Barbara Keiler, Leiterin der Abteilung Vorarlberg, ist es wichtig, dass die ursprüngliche Funktion des Standorts als Erinnerung erlebbar bleibt und durch einen neuen Funktionsmix ergänzt wird. „Das Typische an dieser Anlage ist der Flachbau, das sollte auch weiterhin ablesbar sein“, sagt Keiler. Die Überbauung der Halle war im Planungsprozess ein großes Thema. Laut Tobias Forer-Pernthaler gibt es eine Variante, die auch vom Denkmalschutz bestätigt wird und eine punktuelle Überbauung vorsieht. Ziel sei es, durch gezielte Eingriffe eine bessere Belichtung zu ermöglichen, ohne die historische Struktur zu verändern.

Forer-Pernthaler versteht den Umgang mit der Geschichte als Teil der Identität des Projekts. „Der Denkmalschutz ist für uns kein Bremsklotz, sondern ein Statement. Wir wissen, wie man mit Geschichte umgeht“, sagt er. Die Denkmalschützerin kann das nur bestätigen. Das Unternehmen habe etwa mit dem Steinebach-Areal gezeigt, dass es sich seines industriegeschichtlichen Erbes bewusst ist. Auch dort sei man verantwortungsvoll mit der denkmalgeschützten Bausubstanz umgegangen.

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Quartier Illufer. Stiplovsek

Aus der Geschichte

Die Spinnerei Hämmerle in Feldkirch-Gisingen wurde zwischen 1892 und 1894 errichtet – nach Plänen des Schweizer Architekten Carl Arnold Séquin-Bronner, der auch die Kammgarnspinnerei in Hard und die Rote Fabrik in Zürich entwarf. Die große Halle war auf Licht, Belüftung und bessere Arbeitsbedingungen ausgelegt. Ein Fortschritt, der den Fabriksbau in Vorarlberg prägte.

Zum Ensemble gehörten neben der Produktionshalle ein eigenes Wasserkraftwerk, die Direktorenvilla, das Buchhalterhaus und drei Meisterhäuser. Das Kraftwerk, erbaut 1892 bis 1894, nutzte die Wasserkraft der Ill zunächst zur mechanischen Kraftübertragung der Spinnmaschinen. Später wurde die Anlage erweitert und lieferte auch elektrischen Strom – für die Beleuchtung der Fabrik und den Betrieb der eigenen Werksbahn, einer der ersten elektrischen Normalspurbahnen Österreichs.

Über ein Jahrhundert lang prägte die Spinnerei das Leben in Gisingen. Der wirtschaftliche Strukturwandel und der Konkurrenzdruck aus Asien und Osteuropa führten schließlich zum Niedergang der Textilproduktion. 2016 wurden die letzten Maschinen abgestellt, womit die Alternativverwertung der Bestandsliegenschaften begann. Halle, Kraftwerk und die Wohnhäuser stehen seit unter Denkmalschutz.

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Die Spinnerei im Jahr 1959.
Sammlung Historische Schrägluftaufnahmen, Vorarlberger LandesbibliotheK